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Jenny Schon: "Wo sich Gott und die Welt traf. Zeitzeugen erinnern sich der ersten Jahre nach dem Mauerbau."

© promo

Berlin-Buch: Auf nach Sibirien

Jenny Schons Buch "Wo sich Gott und die Welt traf" erzählt die Geschichten von Menschen, die nach dem Mauerbau nach Berlin zogen.

Was brachte einen Menschen dazu in eine Stadt zu ziehen, die sich praktisch im Ausnahmezustand befindet? Eine Stadt, die wie eine Insel in einem Staat liegt, der an den Ortsgrenzen Stacheldraht und Betonmauern errichtet hatte, um sie zu isolieren. Was brachte Menschen dazu nach dem Mauerbau im August 1961 nach West-Berlin zu ziehen? Dieser Frage geht Jenny Schon in ihrem Buch "Wo sich Gott und die Welt traf" nach. Mit Hilfe des Tagesspiegels hat sie persönliche Geschichten von Menschen gesammelt, die nach dem Bau der Berliner Mauer in die Stadt zogen, um hier zu leben oder die die Teilung der Stadt vor Ort miterlebten.

Als Renate Rothbarth im Winter 1961 den Entschluss fasste, aus der schwäbischen Kleinstadt Schmiden in das frisch abgeriegelte Berlin ziehen zu wollen, waren ihre Eltern alles andere als begeistert. "Das schlug ein wie eine Bombe und glich dem Versuch, sich in die sibirische Steppe abzusetzen", schreibt sie. Auch auf dem Arbeitsamt habe man noch versucht ihr den Umzug auszureden. „Wollet sie desch au wirklich?“, schwäbelte der Vermittler Rothbarth zu und erinnerte sie an die Gefahren der isolierten Stadt. Doch die Entscheidung stand fest: "Jetzt war Solidarität mit West-Berlin angesagt", erinnert sie sich.

Ulrich Litzke war Funker bei der Bundeswehr. Vom Mauerbau erfuhr er auf einem Manöver in der Lüneburger Heide aus dem Radio, als er in seiner dienstfreien Zeit gerade im Funkwagen Musik hörte. Seine Geschichte zeigt auch, wie ernst die Lage am 13. August 1961 war und das niemand abschätzen konnte, ob die Lage in Berlin eskalieren würde. So erinnert sich Litzke, wie die Militärübung abgebrochen wurde und die Panzer mit scharfer Munition bestückt sofort in ihre Heimatkasernen zurück gebracht wurden. Trotzdem hielt ihn dies nicht davon ab, nur einige Monate später im April 1962 nach Berlin zu ziehen, denn die Stadt übte mit ihrer kulturellen Vielfalt noch immer einen großen Reiz auf ihn aus und die "Jetzt-erst-recht"-Mentalität, mit der die eingemauerten Berliner der Festungsstimmung trotzten, hatte Litzke nachhaltig beeindruckt.

Die zahlreichen Geschichten unterbricht Herausgeberin Schon immer wieder mit Erinnerungen an ihre eigene Vergangenheit. Auch sie war im Winter 1961 nach Berlin gezogen – und bis heute geblieben. Ihre ersten Eindrücke finden sich auch in den anderen Erzählungen wieder: Die massiven Kriegsschäden, der schwefelige Gestank der Braunkohlegruben, die gewöhnungsbedürftige "Berliner Schnauze". Doch neben diesen abschreckenden Kulturschocks spürte sie auch ein starkes Gefühl des Zusammenhalts.

Das Buch schafft es mit seinen vielen Einzelerzählungen ein Gesamtbild West-Berlins nach dem Mauerbau zu zeichnen und die vielen individuellen Geschichten und Beweggründe zu einem Mosaik zusammenzufügen, das die Stimmung im Westteil der geteilten Stadt beschreibt. Es zeichnet darüber hinaus ein Berlin, dessen damaliger Geist eigentlich bis heute erhalten geblieben ist. Die Stadt ist bis heute ein Schmelztiegel unterschiedlichster Menschen, deren individuelle Motivationen und Hintergründe die hier herrschende Vielfalt ausmachen.

Jenny Schon: Wo sich Gott und die Welt traf. Zeitzeugen erinnern sich an die ersten Jahre nach dem Mauerbau. Geest-Verlag, Vechta 2011. 296 S., 12,50€. Das Buch ist im Shop des Tagesspiegel am Askanischen Platz 3 erhältlich.

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