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Literatur: Fremd soll alles bleiben

Schreiben als Risiko: Dieter Wellershoff sammelt seine essayistischen Interventionen

Die Epigonen sterben nicht aus, nein, sie vermehren sich unablässig. Sie reüssieren mit Texten, die schnell erfassbare Oberflächenreize haben, demonstrativ ihre eigene Machart signalisieren und sich bei Wettbewerben gut in kleinen Portionen vorlesen lassen. Dieser Befund stammt nicht aus unseren Tagen der „Fräuleinwunder“ und der formulierungsflinken Popautoren, sondern ist vierzig Jahre alt. Schon 1967, in einem Essay über die Mechanismen des Literaturmarktes, hat Dieter Wellershoff die déformation professionelle beschrieben, die jedem Autor droht, der sich den Kommunikationsformen des Literaturbetriebs bereitwillig überlässt. Dann entsteht nämlich der Typus des „außenorientierten“ Schriftstellers, der zwar die Codices der eigenen Zunft genau kennt, aber über den Tellerrand nicht mehr hinauszublicken vermag: „Sehr früh“, so Wellershoff damals, „bahnt die Kulturindustrie den Talenten den Weg und hat sie dann ständig unter Einfluss und Kontrolle, macht aus ihnen Schriftsteller, die nur noch mit Schriftstellern umgehen und schließlich nur noch etwas über Literatur wissen und Literatur herstellen, die sich nur mit sich selbst befasst.“

Der mittlerweile 81-jährige Wellershoff war schon immer ein Ausnahmeessayist, der mit literaturhistorischem Wissen jede saisonfixierte Literaturkritik blamierte. Seit vierzig Jahren propagiert er einen „Realismus“, der unser Vertrautsein mit der Lebenswelt zerschlägt und sich über „die Wiederherstellung der Fremdheit“ an verbannte Erfahrungen herantastet. Wenn Wellershoff nun seine essayistischen Interventionen aus den Jahren 1998 bis 2006 bündelt, dann demonstriert er mit einem gewissen Bekenntnisstolz Kontinuität. Auch in diesen Aufsätzen, Reden und autobiografischen Exkursen beschreibt er die Literatur wieder als imaginäre Probebühne, auf der alle Möglichkeiten des Lebens durchgespielt werden können.

Wer sich durch gelegentliche Wiederholungen und Überschneidungen nicht irritieren lässt, kann hier das Lebensbild eines Schriftstellers zusammenfügen, der als Lektor bei Kiepenheuer & Witsch und später als freier Schriftsteller stets das Abenteuer der freien literarischen Existenz gesucht hat. Als junger Kriegsteilnehmer hatte Wellershoff den Untergang des Dritten Reiches miterlebt. Als er nach dem Krieg eine Familie gegründet und zwei Kinder zu versorgen hatte, musste er sich mit Gelegenheitsarbeiten für den Funk über Wasser halten und lebte einige Jahre an der Armutsgrenze.

Aus einer Auftragsarbeit des damals noch nicht 30-Jährigen entstand eine scharfsinnige Studie über Gottfried Benn („Gottfried Benn – Phänotyp dieser Stunde“), die heute noch Bestand hat. Aus den Erfahrungen dieser Zeit erwächst Wellershoffs Ingrimm gegenüber der Larmoyanz heutiger Schriftsteller, die sich einen Rechtsanspruch auf ein subventioniertes Stipendiatendasein erhoffen. So sind jene Exkurse in Wellershoffs neuem Buch sehr schroff ausgefallen, in denen er sich mit dem „riskanten Beruf des Schriftstellers“ beschäftigt. Da wird Wellershoff auch mal ungerecht gegenüber jüngeren Kollegen. Noch viel ungnädiger geht er aber mit Benn um. Ein halbes Jahrhundert nach seiner epochalen Studie erkennt er in Benn und seiner expressiv aufgeladenen Rhetorik nur noch einen „Bußprediger alten Stils“, der einer gottverlassenen Welt ihre Verderbtheit vorhält.

Das spricht für Wellershoffs intellektuelle Unabhängigkeit. In seinen eigenen Romanen entwirft er immer neue Modelle krisenhafter Situationen, in denen die Helden dem Sog einer versteckt sich anbahnenden Katastrophe erliegen und ihr Lebensdesaster nicht abwenden können. Den Grund für diese Faszination an Konstellationen des Zusammenbruchs hat er in seinem neuen Essayband lapidar zusammengefasst: „Literatur muss gefährlich sein, oder sie ist belanglos.“

Dieter Wellershoff: Der lange Weg zum Anfang. Zeitgeschichte, Lebensgeschichte, Literatur.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 336 Seiten, 19,90 €.

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