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Hör BÜCHER: Im gelben Bereich

Jens Sparschuh buchstabiert das gute Benehmen

Je länger Philipp Tinglers „ABC des guten Benehmens“ lief, desto länger wurde mein Gesicht. Verstehe ich keinen Spaß mehr? Sicher, es liegt an mir: Meine Erwartung war eine andere. Gut, dafür kann der Autor ja nichts. Aber es gibt so viele heikle Situationen im täglichen Leben, dass ich mich frage, ob ein derartiges Abc sich wirklich damit begnügen sollte, Überlebenstipps für die Gespenster einer pausenlos im Small Talk befindlichen „eventorientierten Nonstop-Gesellschaft“ zu geben? Alle Vorurteile, die man gegenüber derlei Ratgebern haben kann, bestätigt dieses Hörbuch. Hauptsache, unter allen Umständen: Form wahren; bloß nicht ausrutschen auf dem glatten Gesellschaftsparkett; mehr Schein als Sein etc. Beim Zuhören musste ich an Oscar Wildes Formel denken: „A cynic is a man who knows the price of everything and the value of nothing“. Solch eine Benimm-Fibel ist bestimmt nicht der Ort, um gesellschaftliche Spielregeln neu zu erfinden oder gar eine Werte-Diskussion zu führen, aber wenn Tingler in der Rubrik „Speed Partying“ empfiehlt, in einer raschen strategischen Runde sich mit wenigstens zehn „maßgeblichen“(!) Gästen zu unterhalten, frage ich mich: In was für eine Gesellschaft bin ich hier geraten?!

Doch, ja, solche Menschenjäger kenne auch ich. Man unterhält sich – und sie spähen über deine Schulter hinweg, ob sie nicht jemand Wichtigeren entdecken. Meine brennende Frage hier: Ist es erlaubt, derlei Figuren umstandslos den lauwarmen Sekt über das Jackett zu kippen? Ja! Nicht nur erlaubt – aus seelenhygienischen Gründen streng geboten; sonst kriegen den Frust doch nur wieder andere ab.

Dass ein Autor seine Antipathien und Idiosynkrasien pflegt, ist in Ordnung. Wenn er dies aber öffentlich tut, sollte er den Versuch einer Begründung machen. Ich gebe zu, seine Polemik gegen Abercrombie-&-Fitch-T-Shirts trifft mich – ich trage selber welche. Aber wieso soll man jeden Kontakt mit Leuten abbrechen, die Nordic-Walking-Stöcke haben?

Es ist diese Attitüde des Bescheidwissens, des Sich-auf-der-sicheren-Geschmacksseite-Wähnens, die mich misslaunig stimmte. In der an sich verdienstvollen Rubrik über Sprache und Stil gibt es eine merkwürdige Inkonsequenz: Die Redewendung „im grünen Bereich“ brandmarkt Tingler als eine „der abgeschmacktesten Metaphern aller Zeiten.“ Na schön. Wieso aber beginnt dann der nächste Passus mit der Wendung „Im roten Bereich bewegt sich…“? Immer wieder ist von einem Richie die Rede, der als „der beste Ehemann von allen“ apostrophiert wird, ohne dass es einen Hinweis darauf gäbe, dass diese Wendung Kishons „bester Ehefrau von allen“ entlehnt ist. Zeugt derlei etwa von gutem Benehmen? Nein.

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