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Auf diesem Archivfoto zählt ein fünfjähriger Junge sein gespartes Taschengeld - gerade die Kinderarmut steigt trotz aller politischen Versprechen weiter.

© dpa/Jens Kalaene

Kinderarmut steigt auf Rekordniveau: Neue Zahlen erhöhen Handlungsdruck auf Bundesregierung

Erstmals seit vielen Jahren ist die Zahl derer, die als arm gelten, nicht weiter gestiegen. Doch gerade bei Kindern, insbesondere von Alleinerziehenden, hält die Entwicklung an.

In Deutschland wachsen 21,8 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in armen Verhältnissen auf. Auf diesen „noch nie gemessenen traurigen Rekordwert“ hat der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinem am Dienstag vorgestellten Armutsbericht über das Jahr 2022 hingewiesen.

Im Jahr zuvor hatte die Quote noch bei 21,3 Prozent gelegen. In der Gesamtbevölkerung ist die Armut erstmals seit 2006 minimal zurückgegangen ist – auf 16,8 Prozent. Dem Bericht zufolge sind vor allem Kindern von Alleinerziehende und in Großfamilien betroffen. Die vom Paritätischen Wohlfahrtsverband errechnete Armutsquote gibt an, wie viele Menschen mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung liegen.

Die Linke wie die Union im Bundestag machten am Dienstag auch die Ampelkoalition für die Entwicklung verantwortlich. „Kinder sind ein Segen. Das Schlimmste, was passieren kann ist, dass sie zu einem Armutsrisiko werden“, sagte das Sozialausschussmitglied Ottilie Klein (CDU) dem Tagesspiegel: „Für uns als Union ist klar: Wir brauchen zielgenaue finanzielle Unterstützung für Familien, gute Bildungsmöglichkeiten und Investitionen in das soziale Hilfenetz. All das liefert die Ampel nicht.“ .

Als „grotesk und kaltherzig“ bezeichnete es Linken-Bundesgeschäftsfüherin Katina Schubert, wenn Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vor den anstehenden Haushaltsberatungen davon spreche, dass im Sozialbereich der Gürtel enger geschnallt werden müsse.

Ampel setzt auf Kindergrundsicherung

Das Bundesfamilienministerium warb vor dem Hintergrund der neuen Zahlen erneut für die Kindergrundsicherung, die im Jahr 2025 eingeführt werden soll und derzeit zwischen den Ampelfraktionen im Bundestag verhandelt wird.

Man müsse, sagte Ekin Deligöz (Grüne), die parlamentarische Staatssekretärin des Ministeriums, dem Tagesspiegel, „an den Strukturen und den Grundursachen von Armut ansetzen, so wie wir es bei der Kindergrundsicherung vorhaben“. Mit dem Gesetz würden die bisherigen Leistungen unbürokratisch vereint, es werde „schneller, einfacher und direkter Kinder vor Armut schützen und gleiche Chancen schaffen“.

Fachleute äußern seit vielen Monaten allerdings auch Kritik an dem Konzept. Sie befürchten, dass die Kindergrundsicherung die Lage für Familien sogar noch komplizierter machen könnte, weil neue Schnittstellen zu anderen Leistungen entstehen.

„Einige unserer Maßnahmen zur Armutsbekämpfung wie der höhere Mindestlohn oder das gestiegene Wohngeld greifen bereits – bei den Kindern leider noch nicht“, sagte Leni Breymaier, die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, dem Tagesspiegel. „Der Bericht bestärkt uns darin, dass wir mit der Kindergrundsicherung auf dem richtigen Weg sind. Auch die garantierte Ganztagsbetreuung vom Jahr 2026 an wird die Lage verbessern.“ Allerdings ist absehbar, dass der Anspruch in der Fläche im Jahr 2026 noch nicht umsetzbar sein wird.

Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch forderte in diesem Zusammenhang auch einen höheren Mindestlohn. Dazu müsse das Verfahren zur Anpassung in der Mindestlohnkommission reformiert werden. Nur so könnte die Lohnuntergrenze auf 60 Prozent des mittleren Lohns steigen: „2024 wären das 14 Euro, 2025 15 Euro Mindestlohn.“ Dafür hatte sich auch der Paritätische Wohlfahrtsverband selbst ausgesprochen.

Widerspruch kam aus Bundestagsfraktion der FDP: „Wie so oft sind die Forderungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands eher ein Wohlstandsrisiko: Staatliche Einmischung und höheren Sozialtransfers sorgen für weniger Wettbewerbsfähigkeit und eine stagnierende Wirtschaft“, sagte dagegen stellvertretende Fraktionschef Christoph Meyer dem Tagesspiegel: „Gegen Armut helfen nur gut bezahlte Jobs in einer wachsenden Wirtschaft. Daher brauchen wir Steuersenkungen und Bürokratieabbau“.

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