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Die Taliban beschneiten massiv die Rechte der Frauen.

© dpa/Ebrahim Noroozi

Update

Nach heftiger Kritik: Ausnahmen bei Taliban-Arbeitsverbot für Frauen in NGOs

Weil sie sich angeblich nicht regelkonform verschleiert haben sollen, wollen die Taliban für Frauen ein Arbeitsverbot in NGOs durchsetzen. Nun soll es offenbar Ausnahmen geben.

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Ein Arbeitsverbot der Taliban für Frauen in Nichtregierungsorganisationen sieht einem Sitzungsprotokoll zwischen Vertretern der UN und der islamistischen Führung in Afghanistan zufolge mehrere Ausnahmen vor.

Weibliche Angestellte der Vereinten Nationen und ausländische Angestellte von NGOs seien davon ausgenommen sowie alle Frauen, die im Gesundheitsbereich arbeiteten, heißt es in einem Protokoll eines Treffens des Wirtschaftsministers der Taliban, Din Mohammed Hanif, mit dem geschäftsführenden Chef der UN-Mission in Afghanistan (Unama), Ramiz Alakbarov.

Das Treffen fand am Montag statt, das Protokoll liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Zuerst hatte die ARD darüber berichtet. Die Taliban reagierten am Dienstag zunächst nicht auf eine Anfrage zu dem Treffen.

Das Arbeitsverbot hatte im Land und international heftige Reaktionen hervorgerufen. Mehrere für das Land wichtige Hilfsorganisationen, darunter das International Rescue Committee (IRC), die Norwegische Flüchtlingshilfe (NRC) oder auch die Welthungerhilfe, setzten bereits ihre Arbeit aus.

Diese unabschätzbaren Einschränkungen von Frauen und Mädchen werden nicht nur das Leid aller Menschen in Afghanistan vergrößern.

Volker Türk, Chef des UN-Menschenrechtsbüros

Der Chef des UN-Menschenrechtsbüros, Volker Türk, warnte davor, dass Ausbildungs- und Arbeitsverbote für Frauen in Afghanistan die Gesellschaft des Landes destabilisieren und „schreckliche Dominoeffekte“ auslösen könnten.

„Diese unabschätzbaren Einschränkungen von Frauen und Mädchen werden nicht nur das Leid aller Menschen in Afghanistan vergrößern“, warnte Hochkommissar Türk am Dienstag in Genf. „Ich fürchte, dass sie auch eine Gefahr außerhalb Afghanistans darstellen“, sagte er und verwies damit indirekt auf das Risiko von weiteren Fluchtbewegungen.

Ein Talib steht in einer Straße in Kabul vor einem Banner: „Erst Islam, dann Afghanistan“.
Ein Talib steht in einer Straße in Kabul vor einem Banner: „Erst Islam, dann Afghanistan“.

© Foto: AFP

Das Wirtschaftsministerium in Kabul hatte seine am Samstag veröffentlichte Forderung nach Suspendierung der Mitarbeiterinnen damit begründet, dass sich die Frauen angeblich nicht ordentlich verschleierten und damit gegen Vorschriften in dem islamischen Land verstießen. Dies bekräftigte Minister Hanif laut Protokoll auch gegenüber Alakbarov.

Der Taliban-Minister sagte demnach, dass er das ganze Jahr über Fälle von Missachtung der Vorschriften zur Verschleierung von Frauen beobachtet habe. Er habe versucht, das Problem durch Dialog mit den NGOs zu lösen, bis die höhere Taliban-Führung davon erfahren habe. Sein Ministerium sei von der obersten Führung gebeten worden, den Brief an die NGOs auszustellen.

Aus NGO-Kreisen hieß es, derartige Vorwürfe seien nicht gerechtfertigt. Laut einer NGO in Kabul mit Büros in anderen Provinzen haben die Taliban nie ihre Gebäude betreten oder Autos mit weiblichen Angestellten an Kontrollpunkten angehalten, um die Einhaltung der Kleidervorschriften zu kontrollieren.

Eine Studentin protestiert gegen den Ausschluss von Frauen aus der höheren Bildung vor der Universität Kabul.
Eine Studentin protestiert gegen den Ausschluss von Frauen aus der höheren Bildung vor der Universität Kabul.

© Foto: AFP

Außerdem könnten männliche Taliban die Bürobereiche, in denen weibliche Mitarbeiter arbeiten, nicht betreten. Ein NGO-Mitarbeiter sagte auch, er habe noch nie von Beschwerden gehört, die andere NGOs in dieser Hinsicht erhalten hätten.

Die humanitäre Lage in Afghanistan gilt als prekär. Seit dem Abzug der internationalen Truppen ist die Wirtschaft kollabiert. Nach Angaben der Vereinten Nationen unterstützen die UN und ihre Partner, einschließlich nationaler und internationaler NGOs, derzeit mehr als 28 Millionen Afghanen, die für ihr Überleben von humanitärer Hilfe abhingen. In dem Land leben schätzungsweise 37 Millionen Menschen.

Scharfe Kritik von Baerbock und Schulze

Angesichts des drohenden Arbeitsverbots hatte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) die Hilfe für das Land infrage gestellt. Mit dem Verbot hätten die Islamisten „einen unverantwortlichen Schlag gegen die Hilfe für das afghanische Volk getan“, erklärte Schulze. am Montag in Berlin.

Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Svenja Schulze (SPD).
Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Svenja Schulze (SPD).

© imago/Rüdiger Wölk

„Ohne weibliche Beschäftigte können Organisationen ihre Arbeit in vielen Bereichen für die Hälfte der Bevölkerung nicht fortführen“, teilte Schulze am Montag in Berlin. Damit sei eine völlig neue Situation entstanden. „Ich bin deshalb dafür, dass die gegenwärtige Unterstützung, die wir mit anderen leisten, zunächst suspendiert wird.“

Schulze kündigte an, sie wolle gemeinsam mit der Weltbank zu einem Treffen der Beteiligten des Wiederaufbaufonds Afghanistan Reconstruction Trust Fund (ARTF) einladen. Der Fonds wird von der Weltbank verwaltet und finanziert beispielsweise Teile des Gesundheits- und Bildungssystem. Deutschland ergreift die Initiative im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft, die es noch bis zum Jahresende innehat.

Wir werden nicht akzeptieren, dass die Taliban die humanitäre Hilfe zum Spielball ihrer Frauenverachtung machen.

Annalena Baerbock, Außenministerin (Grüne)

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte auf Twitter: „Wir werden nicht akzeptieren, dass die Taliban die humanitäre Hilfe zum Spielball ihrer Frauenverachtung machen.“ Sie raubten damit der Hälfte der Bevölkerung ein weiteres Grundrecht, brächen humanitäre Prinzipien und gefährdeten lebenswichtige Versorgung von Menschen. „Wer Frauen und Mädchen von Arbeit, Bildung und öffentlichem Leben ausschließt, ruiniert nicht nur sein Land. Geschlechtsbezogene Verfolgung kann auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein“, so die Außenministerin.

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Die Vereinten Nationen (UN) forderten die Aufhebung des von den radikal-islamischen Taliban in Afghanistan verhängten Arbeitsverbotes für Frauen bei Nichtregierungsorganisationen (NGO). Darauf habe der Leiter des UN-Unterstützungseinsatzes in Afghanistan (Unama), Ramis Alakbarow, bei einem Treffen mit dem afghanischen Wirtschaftsminister Mohammad Hanif gedrungen, teilte Unama am Montag mit. „Millionen Afghanen brauchen humanitäre Hilfe, und die Beseitigung von Barrieren ist lebenswichtig.“ 

Taliban-Regierung weist Kritik zurück

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte, er sei entsetzt über die Entscheidung. Die Taliban müssten das Verbot unverzüglich wieder aufheben, da sie verpflichtet seien, das humanitäre Völkerrecht und die humanitären Grundsätze zu achten. „Gemeinsam mit anderen Gebern von Hilfe für das afghanische Volk wird die EU abwägen müssen, welche Folgen diese Entscheidung und die jüngste Entscheidung der Taliban, die Universitäten für Frauen zu schließen, für ihr Engagement mit unseren Ländern und Organisationen haben werden“, so Borrell. 

Ein Sprecher der Taliban-Regierung wies Kritik zurück und erklärte, alle Institutionen, die in Afghanistan tätig sein wollten, seien verpflichtet, die Regeln des Landes einzuhalten.

Weitere NGOs stellen ihre Arbeit in Afghanistan ein

Die Hilfsorganisationen Care, Save The Children und die Norwegische Flüchtlingshilfe teilten in einer gemeinsamen Erklärung mit, sie könnten Notleidende in Afghanistan nicht ohne die Hilfe ihrer Mitarbeiterinnen erreichen.

Die Anweisung der Taliban werde nicht nur lebensrettende Hilfen für Tausende Menschen unmöglich machen, sondern auch Tausende Arbeitsplätze in einer Gesellschaft in einer großen wirtschaftliche Krise gefährden. Die Hilfsorganisationen kündigten an, ihre Programme vorläufig zu stoppen, bis Klarheit über die Forderungen bestehe.

Der Leiter von Caritas international in Kabul, Stefan Recker, sagte dem WDR, dass auch die Caritas ihre Arbeit vorübergehend einstelle. Es sei für Nichtregierungsorganisationen ein „riesengroßes Dilemma“: Tausende Hilfsbedürftige seien dadurch erst einmal von Basisleistungen abgeschottet.

Man müsse aber jetzt auch „dringend“ eine Botschaft senden. Auch die „Aktion gegen den Hunger“ kündigte an, als Reaktion vorübergehend alle Aktivitäten auszusetzen – mit Ausnahme lebenswichtiger medizinischer Maßnahmen für Kinder.

Auch die Organisationen ActionAid und ChristianAid hatten angekündigt, ihre Tätigkeiten in Afghanistan auszusetzen. „Frauen sind für jede humanitäre Hilfsaktion von entscheidender Bedeutung“, erklärte die Organisation ActionAid am Sonntag. Dies gelte umso mehr in Afghanistan, wo „nur Frauen mit Frauen interagieren können“.

Nach Angaben der NGO ActionAid arbeiten derzeit 97 Frauen für sie in Afghanistan. Christian Aid erklärte, die Organisation wolle „schnell Klarheit“ über die Ankündigung der Taliban und fordere die Behörden dringend auf, das Verbot zurückzunehmen. ActionAid wie ChristianAid erklärten, ihre Arbeit zunächst „vorübergehend“ einzustellen. (dpa, Reuters, KNA, AFP)

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