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Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bei der Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“.

© imago/photothek/Felix Zahn

Raus aus der „Tabuzone“: Wie Lisa Paus Einsamkeit bekämpfen will

Viele Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Die Bundesregierung möchte das mit einer Strategie ändern. Ministerin Lisa Paus möchte dafür kein neues Geld ausgeben.

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Gegen Einsamkeit helfen vor allem viele kleine Schritte, weiß Katharina Lorenz vom Sozialverband Deutschland (SoVD). „Während der Corona-Zeit, als sich Menschen isolieren mussten, haben wir Wohlfühl-Anrufe gemacht“, sagt sie. Ansonsten fragten die Mitglieder des Verbands Betroffene immer wieder, wie es ihnen gehe. „Wir machen präventive Hausbesuche, bieten Einkaufshilfen an sowie Fahrdienste, um Mobilität zu ermöglichen“, erklärt Lorenz, die beim SoVD die Kampagne „Gemeinsam gegen Einsam“ mitinitiiert hat. 

Auch die Bundesregierung widmet dem Thema jetzt mehr Aufmerksamkeit. Am Mittwoch stellt Familienministerin Lisa Paus (Grüne) vor, wie sie Menschen mit weniger Sozialkontakten helfen will. „Niemand, der einsam ist in Deutschland, ist allein“, versichert sie bei der Präsentation der ersten deutschen Einsamkeitsstrategie in ihrem Ministerium.

Jeder Vierte ist einsam

Allein sind die Einsamen tatsächlich nicht: Ein Viertel aller Deutschen fühlt sich sehr einsam, wie die Deutsche Depressionshilfe in diesem Jahr feststellte. Fast die Hälfte fühlt sich moderat einsam und nur ein gutes Viertel ist nicht einsam.

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In der Vergangenheit waren vor allem Hochbetagte von Einsamkeit betroffen. Wenn im Alter Freunde und Bekannte, vielleicht sogar der Ehepartner sterben, wird es ruhig um einen herum, Einsamkeit ist häufig die Konsequenz.

Wir leben in einer sehr individualistischen Gesellschaft, jeder sitzt auf seinem eigenen Thron.

Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Deutschen Depressionshilfe

Mit der Corona-Pandemie wurden auch andere Gruppen vom Einsamsein erfasst. Geschlossene Schulen und Universitäten, Online-Leere und Ausgangssperren, all das führte insbesondere bei Jugendlichen zu einer massiven Erhöhung der Einsamkeitswerte.

Seit dem Ende der Lockdowns ist die Einsamkeits-Inzidenz zwar wieder zurückgegangen, sie liegt jedoch weiterhin über dem Niveau vor der Pandemie. Die Stiftung Patientenschutz bezeichnete Einsamkeit gar als Deutschlands „größte Volkskrankheit“.

„Wir leben in einer sehr individualistischen Gesellschaft, jeder sitzt auf seinem eigenen Thron. Unser Gemeinschaftsgefühl ist nicht so ausgeprägt wie in anderen Kulturen“, sagt Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Deutschen Depressionshilfe. In Verbindung mit depressiven Erkrankungen sei das Gefühl der Isoliertheit und Einsamkeit Folge der Erkrankung und weniger deren Ursache. In einer Depression könne man keine Nähe und Liebe empfinden.

Forschung, eine Aktionswoche und Förderungen

Nun sollen 111 Maßnahmen dabei helfen, das Thema „aus der Tabuzone herauszuholen“, erklärt Paus. Die Regierung startete bereits 2022 das „Kompetenznetz Einsamkeit“ (KNE), um Einsamkeit in die Öffentlichkeit zu bringen und näher zu erforschen. Das KNE soll künftig Ausmaß und Verbreitung von Einsamkeit in einem Einsamkeitsbarometer regelmäßig untersuchen. Forschung und Lehrstühle sollen gefördert werden und der Erfolg der Strategie in einem Monitoringbericht regelmäßig überprüft werden.

111
Maßnahmen beinhaltet die Einsamkeitsstrategie.

„Eine der wichtigsten Maßnahmen der Strategie ist, die Öffentlichkeit weiter für die Thematik zu sensibilisieren“, erklärt Yvonne Wilke, Leiterin des KNE. Dazu sollen bundesweite Aktionen und Kampagnen gefördert werden, unter anderem soll es erneut eine Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ geben.

Eine bundesweite Koalition gegen Einsamkeit, mit Akteuren aus Wirtschaft, Verbänden, Stiftungen und Kirchen, möchte die Regierung prüfen, eine interministerielle Arbeitsgruppe kommt sicher.

Des Weiteren beinhaltet die Strategie ein Sammelsurium aus Maßnahmen, die bereits geplant waren. Dazu zählen zahlreiche Förderungen einzelner Projekte, wie telefonischen Beratungsangeboten, Mehrgenerationenhäusern oder dem Bundesfreiwilligendienst. In die Liste der geförderten Programme reihen sich ein: Das Pilotprogramm „Sterben wo man lebt und zu Hause ist“, das Projekt „Länger fit durch Musik“, das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ und viele mehr.

Kein frisches Geld

Neue finanzielle Mittel habe Paus „bewusst“ nicht beantragt, weil sie Angebote nutzen wolle, „die schon da sind.“ Zusätzliches Geld hätte sie wohl auch kaum bekommen. Finanzminister Lindner hatte im Sommer bereits ihr Herzensprojekt Kindergrundsicherung zusammengestrichen und auch beim Elterngeld musste die Ministerin den Rotstift anlegen.

Deutschlands wohl bekannteste Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann begrüßt zwar, dass es nun eine nationale Strategie gibt, wünscht sich aber auch, „dass nicht nur bereits bestehende Programme umetikettiert werden, sondern tatsächlich auch in neue Maßnahmen investiert wird.“ 

Was ist mit neuen, kreativen Ideen? Wie wäre es beispielsweise mit einer staatlichen „Kennenlern-App“, analog zur „Corona-Warn-App“? „Man muss natürlich immer bedenken, dass Deutschland ein subsidiärer Wohlfahrtsstaat ist. Das heißt, der Staat tritt erst in Erscheinung, wenn die Ebenen darunter, die Familie, die Zivilgesellschaft, die Kommunen, nicht mehr greifen. Der Bund kann daher bestehende lokale Projekte fördern, aber nicht das Rad neu erfinden“, erklärt Wilke.

Katharina Lorenz vom Sozialverband Deutschland sieht auch auf dieser Ebene Verbesserungsbedarf: „Die Kommunen brauchen finanzielle Unterstützung, damit sie Hilfsangebote dauerhaft finanzieren können.“

„Es ist nun Winter, es wird dunkel und die Menschen sehnen sich nach Nähe“, mit diesen Worten untermalt Paus die Vorstellung ihrer Strategie. Die Einsamkeit in Deutschland wird sie damit nicht beenden können. Dass es das Thema auf die Tagesordnung der Politik geschafft hat, ist jedoch ein Erfolg, den sich Lisa Paus durchaus auf die Fahne schreiben kann.

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