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Ein Schritt in die richtige Richtung: Fünf Thesen für ein neues Potsdam. Die Plastik «Der Jahrhundertschritt» des Künstlers Wolfgang Mattheuer steht seit vergangenem Jahr im Hof des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam.

© dpa

Kunst in Potsdam: Stadt ohne Mitte

Die Kultur-Experten Gerrit Gohlke und Wilhelm Neufeldt haben fünf Thesen für ein neues Potsdam aufgestellt. Ihr Ziel: eine kulturelle Bürgerstadt. Standards zu setzen finden sie wichtiger, als eine Kunsthalle zu bauen.

Eigentlich müsste Potsdam die glücklichste Stadt auf Erden sein. Ihr Steueraufkommen ist hoch, ihre Lage bezaubernd. Sie verfügt über eine glorreiche Geschichte - und in die nächstgelegene Weltmetropole müssen die Potsdamer nicht fliegen, sondern lösen für ein paar Euro einen S-Bahn-Fahrschein. Ein Paradies, könnte man meinen, hätte nicht vor kurzem auf einem Platz dieser Stadt eine erstaunliche Demonstration stattgefunden. Hunderte Bürger baten einen Milliardär aus ihrer Mitte, mitten in der Stadt eine private Kunsthalle als mäzenatisches Geschenk durchzusetzen. Während der Kundgebung sollen Tränen geflossen sein. Es ging um Gefühle für die eigene Stadt. Nur, wie eigentlich diese Kunsthalle aussehen sollte, worum es gehen sollte in ihr, konnte niemand sagen.

Es ging weder um Ausstellungskonzepte, noch um die kulturpolitische Funktion der Halle und auch nicht um Kriterien für die versprochene Sammlung. Schon ein flüchtiger Blick in die Zeitungen bewies, dass es um ein Symbol für Potsdams Mitte ging. Immer, wenn von dem Standort gegenüber dem Landtag, dem Geschenk an das Gemeinwesen oder dem Ersatz eines alten spätmodernistischen Hotels durch eine neue Kultureinrichtung die Rede war, brach die Erregung sich Bahn. Was da pro forma „Kunsthalle“ hieß, meinte die kulturelle Identität Potsdams. Vielleicht ging es sogar um eine Zeitreise dieser Identität aus dem 18. ins 21. Jahrhundert. Die Bürger vermissten den kulturellen Mittelpunkt ihres Gemeinwesens. Sie vermissten das einer Landeshauptstadt angemessene zeitgenössische Wahrzeichen Potsdams. Und sie vermissten künstlerischen Reichtum, wo heute kulturpolitischer Mangel herrscht.

Und so könnte der gescheiterte Versuch, dem hinter einer historischen Fassade versteckten Landtag eine Fassade des Kulturellen gegenüberzustellen, noch zum Segen werden. Nicht, weil man eine Kunsthalle nicht bräuchte. Sondern, weil es etwas Wichtigeres gibt, was Potsdam so unübersehbar fehlt, dass eine Allianz von Bürgern bei der bloßen Nennung des Wortes „Kunsthalle“ bereit war, Barrikaden zu bauen. Die Wahrheit nämlich ist: In Potsdam gibt es viel verstreutes Engagement für Kultur. Ein Kunststandort aber ist Potsdam bisher nicht, weil im zentralen Bereich der Bildenden Kunst Almosen verteilt werden, statt Standards zu setzen.

Wie sich diese Standards schaffen lassen, für die der Begriff „Kunsthalle“ eher ein Sehnsuchtsbild als eine Antwort war, können keine Agenturen und Berater, keine Vorbilder und Importmodelle beschreiben, sondern nur die Potsdamer Bürger selbst. Sie allein können entscheiden, welche kulturelle Identität ihre Landeshauptstadt künftig annehmen soll und welches Mittel dafür das richtige ist. Zuerst sollte Potsdam sich dabei über seine dringendsten Bedürfnisse klar werden. Dann erst sollte es Häuser bauen und Institutionen gründen. Fünf Themen könnten dabei zu entscheidenden Kriterien für die kulturelle Zukunft Potsdams werden.

1. Potsdams kulturelle Mitte kann nur ein Netzwerk sein

Wenn die Kunsthalle im Bewusstsein der Bürger vor allem Potsdams neuer kultureller Mittelpunkt werden sollte, müssen alle Beteiligten sich überlegen, welches Zentrum ihnen neben dem Theater und reichhaltigen musikalischen Angeboten fehlt. Die Stadt leidet in der Bildenden Kunst an einer Vereinzelung ihrer Akteure. Die Stadt muss starke Einrichtungen stärken und sie konkurrenzfähiger gegenüber der Berliner Nachbarschaft machen. Sie muss die privaten Sammler aktiv mit den Institutionen vernetzen und im Schulterschluss privater und öffentlicher Förderung ein Netzwerk kultureller Bildung knüpfen. Potsdam ist eine Sammlerstadt, überlässt seine Sammler aber sich selbst. Die wohlhabende Landeshauptstadt kann zum Modellfall privater Initiative werden und dabei seine pädagogischen Einrichtungen mit seinen Kulturinstitutionen vernetzen. Dafür muss es die lokalen Träger und eine an lokalen Bedürfnissen ausgerichtete Entwicklungsarbeit unterstützen und herausragende Kulturanbieter strategisch ausbauen und stärken.

2. Mitmachen statt zusehen: Potsdam braucht mehr Partizipation und Bürgerengagement

Im Gegensatz zur Musik wird Bildende Kunst immer noch als von anderen verwaltetes und gestaltetes Produkt verstanden. Die Bürger müssen deshalb über gestärkte Institutionen eine breitere Partizipationsmöglichkeit erhalten. Kunst wird zum Faktor der Zukunftsfähigkeit einer Stadt. Sie kann aber auch zwischen dem alten und neuen Potsdam, verschiedenen sozialen Schichten, Zentrum und Peripherie Brücken bauen. Veranstaltungsreihen, neue Vermittlungsangebote müssen dort ansetzen, wo bereits Partizipationsangebote bestehen und genutzt werden.

3. Potsdam muss seine Rolle als Hauptstadt eines Flächenlandes im Wandel annehmen

Potsdam muss sich als Modell einer partizipativen Kulturentwicklung begreifen und entwickeln. Es muss zum Leitmodell der kulturellen Identität einer Landeshauptstadt von morgen werden und zwischen Zentrum und Flächenland, Wachstumskernen und Regionen mit demografischer Schrumpfung vermitteln. Potsdam muss seine kulturellen Angebote ins Land hinein vermittelbar machen. Es muss sich als offene Stadt der Kunst entwickeln, Mauern einreißen und Schaufenster der kulturellen Identität eines Flächenlandes im Umbruch werden.

4. Potsdam ist eine Wissensstadt und braucht Kulturangebote für die Wissensgesellschaft

Potsdam setzt in der Wissenschaft Standards. Es braucht eine zukunftsoffene, projektorientierte Bildende Kunst, die diesem Rang als Wissensstadt auf Augenhöhe begegnen kann. Keine kulturelle Disziplin ist so gefragt als Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wie die Bildende Kunst. Potsdam braucht maßgeschneiderte Angebote für diesen Austausch der Disziplinen und muss Träger unterstützen, die diesen Brückenschlag leisten können.

5. Berlin ist eine Chance, die Potsdam nutzen muss

Potsdam hat eine Tradition des Misstrauens gegenüber seinem großen Nachbarn. In Wahrheit ist Berlin Potsdams Chance. Mit dem Zugriff auf die Künstlercommunity der Metropole ausgestattet, hat Potsdam Zugang zur globalen Kunstkommunikation, kann aber eigene Modelle ortsbezogener P<SB320,100,230>roduktion entwickeln, etwa durch Artist-in-Residence-Modelle in Zusammenarbeit mit Wissenschaftsinstitutionen. In Zukunft wird Potsdams eigene zukunftsoffene kulturelle Identität einer seiner wichtigsten Standortvorteile sein. Nutzt es diese Chancen nicht, wird es zum Vergangenheitspark und kann so auch seine Funktion für das Land nicht erfüllen.

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