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In Berlin stellen die Preussen ein Sledge-Hockey-Team. Die Mannschaft um Willi Struwe startet in Kooperation mit Freiburg in der Bundesliga.

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Dieser Sport ist „Inklusion pur“: Para-Eishockey? Sledge-Hockey? Hauptsache Spaß!

Geschwindigkeit, Technik, Körpereinsatz – mitmachen kann beim Sledge-Hockey jeder, ganz so einfach ist es aber nicht. Ein Besuch beim Berliner Bundesligateam.

Von Lennart Glaser

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Es war laut, es war unübersichtlich, und ein bisschen muss es ausgesehen haben wie bei Gregor Samsa in Kafkas Verwandlung, nur andersherum: Ich lag da, bäuchlings, mitten auf dem Eis, völlig hilflos. Um mich herum raste das Team des Para-Eishockeyclubs Berlin und gab wiederholt schnelle Kommandos, die ich erst dann richtig verstand, als der Puck schon wieder im eigenen Tor lag. Klasse, meine Premiere beim Para-Eishockey hatte ich mir irgendwie leichter vorgestellt.

Dabei wurde ich von der Mannschaft herzlich empfangen – in Umkleide 3 der Eissporthalle in Charlottenburg, direkt hinter dem Olympiastadion. Die ist nämlich barrierefrei. Kein Standard in den Eishallen der Republik, im Gegenteil. Voraussetzung aber, um Eishockey auch mit körperlicher Behinderung spielen zu können. Einmal in der Woche trainiert hier deshalb der Para Eishockeyclub Berlin. Und es geht direkt los: Eine Stunde Eiszeit steht dem Team zur Verfügung, jede Sekunde ist kostbar.

Eishockey ist Eishockey, das wird hier schnell klar. Die Regeln beim Para-Eishockey sind im Wesentlichen die gleichen wie beim olympischen Eishockey, zwei entscheidende Teile des Equipments machen den Unterschied: Para-Eishockey findet viel näher am Eis statt. Statt auf Schlittschuhen sind die Sportlerinnen und Sportler auf Schlitten unterwegs, für die perfekte Symbiose mit allerlei Gurten auf Metallstreben und einer Plastiksitzschale befestigt, darunter zwei Kufen. Und: Statt eines Schlägers haben Para-Eishockey-Spielerinnen und -Spieler sogar zwei – mit besonderen Funktionen. Während die eine Seite des Stocks klassisch zum Schießen und Passen gedacht ist, sind am anderen Ende des Schafts Spikes befestigt, mit denen sich die Spielerinnen und Spieler abstoßen und fortbewegen können – allein über die Kraft der Arme und des Oberkörpers.  

Berlin stellt in der Bundesliga ein Team zusammen mit Freiburg

Dass es in Berlin überhaupt ein Para-Eishockey-Team gibt, verdankt die Stadt Gregor Kemper. Er war sehr verwundert, als er in der eishockeyverrückten Hauptstadt keine Strukturen des in Schweden entwickelten Reha-Sports vorfand. Mit seinem Arbeitgeber, der gesetzlichen Unfallversicherung, und dem Deutschen Behindertensportbund machte er einen Deal: Wenn es ihm gelänge, in Berlin eine Para-Eishockey-Mannschaft aufzubauen, ginge der erste Trikotsatz auf das Konto der DGUV.

Inzwischen trainieren knapp 15 Personen wöchentlich in Charlottenburg, in einer Kooperation mit Spielerinnen und Spielern aus Freiburg im Breisgau spielt das Team in der Bundesliga gegen Mannschaften aus ganz Deutschland. Ein Betrieb, der Geld kostet. Unterstützt wird der Verein durch die Katarina-Witt-Stiftung und Aktion Mensch.

Und das zahlt sich aus. Körperlich, aber auch im Kopf. Der Sport sei „Inklusion pur“, sagt Kemper, „weil man einfach zwanglos Hemmungen abbaut“. Sieht auch Willi Struwe so. Bei einem Arbeitsunfall vor neun Jahren verlor er sein rechtes Bein. Seit 2017 spielt er beim Para-Eishockeyclub Berlin. „Ich kann beim Sport meine körperliche Behinderung total ablegen“, erzählt er. „So, wie ich das eine Bein abschraube und neben das Feld stelle, so mache ich das im Kopf dann auch.“ Gegen die Bezeichnung des Sports als Para-Eishockey sperren sich beide. Bis 2016 hieß die Sportart noch Sledge-Hockey. Dann entschied der paralympische Weltverband, alle Sportarten einheitlich zu benennen, um sie besser von ihrer olympischen Partner-Sportart unterscheiden zu können. Gregor Kemper findet das suboptimal: „Die Bezeichnung Sledge-Hockey halte ich für inklusiver“. Die Kernbotschaft gehe durch die Umbenennung verloren, „weil Schlitten-Hockey ist für jeden“, sagt er.

Deutschland verpasste die Qualifikation für Peking

Das Besondere beim Para-Eishockey, pardon, Sledge-Hockey: Breiten- und Spitzensport liegen ganz eng beieinander. Und mitmachen können alle. „Das ist ein super Einstieg“, sagt Struwe. „Und wenn man als junger Mensch Potenzial mitbringt, hat man die Möglichkeit, in den Kader für die Nationalmannschaft aufgenommen zu werden.“

Beim Sledge-Hockey geht es um die gesellschaftliche Strahlkraft, den gemeinsamen Sport und vor allem: um Spaß.
Beim Sledge-Hockey geht es um die gesellschaftliche Strahlkraft, den gemeinsamen Sport und vor allem: um Spaß.

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Für die trägt Andreas Pokorny die Verantwortung. Schon seit zehn Jahren leitet der ehemalige Eishockey-Profi, der mit den Kölner Haien in den Neunzigern dreimal die Meisterschaft gewonnen hat, das Training der besten Para-Athletinnen und -Athleten. Auch aus dem Berliner Team sind einige Spielerinnen und Spieler dabei. Sein Wissen und seine Erfahrung gibt Pokorny gerne weiter. „Für Menschen mit Behinderung ist es ein geiler Sport“, sagt er. „Da ist alles dabei: Geschwindigkeit, Technik, Körpereinsatz, man kann sich total verausgaben“. Richtig schön sei das.

Über den Status als Amateursport werde Sledge-Hockey in Deutschland nicht hinauskommen, erzählt Pokorny. Dafür fehle es einfach an Strukturen und an Geld. Mit Teams aus Ländern wie den USA, Kanada oder China könne man deshalb nicht mithalten. Auch für die Paralympischen Spiele in Peking hatte es für die deutsche Auswahl nicht gereicht. Im entscheidenden Qualifikationsturnier verlor man knapp gegen den späteren Teilnehmer aus der Slowakei. Als Russland kurz vor Beginn der Spiele ausgeschlossen wurde, wäre die deutsche Mannschaft nachgerückt – aber die Entscheidung fiel zu kurzfristig. Die Enttäuschung über die verpasste Qualifikation hielt sich Grenzen. Beim Sledge-Hockey geht es neben dem sportlichen Erfolg auch um was ganz anderes – um die gesellschaftliche Strahlkraft, den gemeinsamen Sport und vor allem: um den Spaß.

Und dann passiert es doch noch. Von irgendwo trifft der Puck meinen Schlitten und prallt mit einem lauten Schlag ab, direkt zu meinem Mitspieler. Und noch im Umfallen sehe ich, wie das Netz zappelt. Kaum zu glauben, mein erster Assist! Ob regelkonform oder nicht, spielt in dem Moment keine Rolle. Das Team auf dem Eis jubelt, alle gemeinsam. Und irgendwie geht’s ja genau darum.

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