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„Love Addicts“: Liebessüchtige in Selbsttherapie
Die Amazon-Serie „Love Addicts“ will ein deutsches „Sex Education“ sein, überzeichnet Twentysomethings allerdings als vulgäre Emotionskrüppel voller Klischees.
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Chlamydien sind fiese, kleine Biester. Meist sexuell übertragen, sorgen diese Parasiten für juckenden Ausfluss im Genitalbereich. Von Schamgefühl bis Sterilität taugen sie somit für alles Mögliche, aber eher nicht als öffentlicher Gesprächsstoff außerhalb einschlägiger Arztpraxen – es sei denn, Infizierte befinden sich im Studio von Amazon-Komödien mit Titeln wie „Damaged Goods“ oder ganz neu: „Love Addicts“ (acht Folgen, ab 30. November auf Amazon Prime Video).
In ersterer war eine Hauptfigur vom despektierlichen Erreger der Domäne gramnegativer Bakterien geplagt und sprach dennoch so freimütig davon, als seien es Sommersprossen. Dass eine Hauptfigur der baugleichen Prime-Serie nun ebenfalls öffentlich ihre Chlamydien beschreibt, ist da ein genretypisches Zeichen. Der Wesenskern beider Fernsehformate besteht schließlich darin, unablässig Intimstes aller Art auszubreiten – wobei „Love Addicts“ sogar noch einen Schritt weitergeht.
Denn während das Serienpersonal in „Damaged Goods“ sein chaotisches Liebesleben und (-leiden) mit Ausnahme der Podcasterin Sophie Passmann als Podcasterin Nola nur im Freundeskreis erörtert, thematisiert die zwangsromantische Party-Planerin Nele (Magdalena Laubisch) ihre Geschlechtskrankheit in einer Selbsthilfegruppe beziehungsgestörter Twentysomethings, zu denen auch der sexsüchtige Barkeeper Ben (Dimitri Abold) und der verklemmte Vaginalcremefirmen-Praktikant Dennis (Anselm Bresgott) zählen.
Seit Monaten bereits treffen sie sich zur gemeinsamen Reflexionsrunde der Gesprächsleiterin Anja (Annette Frier), als die Fashion-Fotografin Zoe (Malaya Stern Takeda) – von ihrer Auftraggeberin wegen einer Sex-Eskapade beim Shooting zur Therapie verdonnert – das Trio mit einer Extraladung Offenherzigkeit aufmischt. „Ich liebe es, zu ficken“, knallt sie ihm an die Köpfe, schießt „ich hab‘ kein Problem, ihr habt welche“ hinterher und droht („sorry, I don’t by any of your shit“) in szenetypischem Denglisch, nie wieder zu kommen.
Rückgratlose Nerds wie Dennis mit Pullunder und Riesenbrille
Klingt resolut, würde der Milieustudie aber schon im ersten von acht Teilen buchstäblich den Saft abdrehen. Also kommt Zoe wieder (und wieder (und wieder)) und gibt einer realsatirischen Groteske Zunder, die vermutlich selbst den Absurditätsveteranen Monty Python zu grotesk wäre. Als deutscher Abklatsch des britischen Highschool-Reigens „Sex Education“ gedacht, beginnen sich die vier Emotionskrüppel der Generation Tinder nämlich gegenseitig zu therapieren.
Dummerweise dichten die Fourtysomethings Julia Drache und Tobias Rosen den Mittzwanzigern ihrer Drehbuchvorlage eine Art vulgärer Schamlosigkeit an, die sich wie ein saftiger Faden wort- und bildgewaltig durch deutsche Zielgruppenfiktion zieht. Von „Vierwändeplus“ über „Loving her“ oder „All you need“ bis hin zum fortlaufenden Pennäler-Witz „Sex, Zimmer, Küche, Bad“ dreht sich das Leben vier- bis fünfköpfiger Großstadtcliquen in Wahnsinns- oder Bruchbuden hierzulande vorwiegend um den ersten, nächsten, besten Orgasmus nebst Nebenwirkungen wie gebrochene Herzen oder transferierte Chlamydien.
Im nostalgisch-schönen Look ihres Garderobiers Metin Misdik („Sisi“) sehen die vier „Love Addicts“ dabei so aus, als hätten sie sich aus Amelies wunderbarer Welt in Wes Andersons überdrehten Retrofuturismus verirrt, um „Sex Education“ lieber schlecht zu kopieren als gut zu ersinnen. Rückgratlose Nerds wie Dennis mit Pullunder und Riesenbrille zu kostümieren, wirkt dabei jedoch ebenso deutsch wie der Kosename „Pupsbär“, mit dem ihn die kontrollsüchtige Freundin traktiert.
Beides ist umso tragischer, als die Formaterfinder Marian und Marco Grönwoldt ihren Pilotfilm zwei Jahre vorm Original gedreht haben. Das Konzept einer Gruppe erotisch irritierter Post-Millennials stark variierender Coolnessgrade in Behandlung derselben Sozialpädagogin war Arabella Bartsch und Janosch Chàvez-Kreft jedoch offenbar zu schlicht. Weshalb die Regisseure knietief im Fundus der global erfolgreichen Netflix-Serie gewühlt haben, bis sie der Prime-Fassung optisch gleicht.
Derart akkurat abgeschrieben, gelingt es Warner Bros. im Amazon-Auftrag nur selten, dem grundverschiedenen, merkwürdig verbandelten Quartett Liebessüchtiger Seele einzuhauchen. Vielleicht ist das ja sogar gewollt, um den aussichtslosen Kampf der Generationen Y bis Z um Nestwärme einer leistungsorientierten, krisengeschüttelten, heillos vereinzelten Gesellschaft zu verdeutlichen. Am Ende wirkt es aber trotz Cameo-Auftritten wie dem von Kida Ramadan inspirationslos und schal.
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