Im Lichtermeer: Alles löst sich auf im Rausch der Elemente
„Flüssige Matrix“ nennt der israelische Architekt Yuval Baer seine immersive Installation im Kunstraum „The Ballery“. Sie soll zu Gedanken über unsere Zukunft anregen.
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Wenn Yuval Baer über Architektur nachdenkt, dann fallen ihm Nudeln, Teepflückerinnen oder jene Furchen ein, die Traktoren durch abgeerntete Felder ziehen. Anschließend integriert er seine Eindrücke in einem Gebäudekomplex wie dem Green Food Development Center in Shenzhen, dass die ökologische Produktion von Lebensmitteln in China überwacht: Die fließenden Formen der Häuser wirken, als würden sie organisch aus dem Boden wachsen, sie tragen Streifen aus grünem Rasen – und ihre Oberflächen erinnern tatsächlich an lange Nudeln oder die leicht gekurvten Terrassen des traditionellen Reisanbaus.
Freiheit für die Fantasie
Gleichzeitig sinniert der Architekt, der mit dem Büro YBGSNA in Jerusalem etabliert ist, über Entgrenzungen. Sein Beruf fordert stabile Wände, doch als Theoretiker an der Uni und Gründer eines zweiten, jungen Büros namens BAER Architecture and Urban Design lässt Baer seiner Fantasie freien Lauf.
Ein Ergebnis solcher von konkreten Zwängen befreiten Denkerei ist die Video-Installation „Flüssige Matrix“. Ein immersiver Raum aus farbintensiven Bildern, mit denen Yuval Baer 2021 während der Architektur-Biennale schon einmal in Venedig vertreten war.
Optisches Rauschen
Seinen zweiten Auftritt im Schöneberger Ausstellungsraum „The Ballery“ hat er fortentwickelt. Aus Bildern der vier platonischen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft generiert sich aktuell eine All-over-Projektion, die mithilfe des Video-Künstlers Maor Michaelove entstanden ist. Das Sound-Design hat Ziv Oribarashi abgemischt, die Bildideen zu den Kaskaden aus wechselnden Impressionen stammen von Baer. Zusammen wird es zum optischen Rauschen aus Farben und liquiden Formen, das einem langsam den Boden unter den Füßen wegzieht.
Dass „Flüssige Matrix“ auf den Lehren der Kabbala basiert, der mystischen Lehre des Judentums, und mit uralten Daten aus dem „Buch der Schöpfung“ operiert, mit deren Hilfe man im Idealfall zu universellen Einsichten gelangen kann, muss man Baer glauben. Ohne ein Wissen darüber lässt sich kaum etwas entziffern. Im Raum selbst legt sich die Projektion wie eine luzide Schicht zwischen die Architektur, die ihre Konturen verliert. Auch die Besucher werden Teil des Loops, in dem Blüten wachsen und verwelken, wo tiefrote Flammen tanzen und es blaue Codes vom Himmel regnet.
Ein bisschen fühlt man sich wie in einem psychedelischen Rausch. Alles Feste verschwindet zugunsten einer flüssigen Struktur, die Bear als Spielraum für das Bewusstsein versteht: Ein Ort der Selbstreflexion, an dem Natur, Kultur und Imagination ineinanderlaufen und sich zu neuen Gedanken über das Anthropozän verbinden.
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