
© Janine Wölfel
Demokratie für Kinder: „Sie müssen sehen, dass ihr Tun einen Unterschied macht“
Andrea Weller-Essers schreibt Sachbücher für die junge Generation. Ein Demokratie-Band in der Was-ist-Was-Reihe löste einen Sturm der Begeisterung aus. Ein Gespräch mit der Autorin.
Stand:
„Was ist was – Demokratie“ richtet sich vor allem an Kinder im Grundschulalter. Warum ist es wichtig, sich schon so früh mit Demokratie zu beschäftigen?
In der Demokratie geht es darum, dass wir in einer Gemeinschaft gut und selbstbestimmt leben können – und zwar alle. Das ist der Grundgedanke. In der Familie, im Kindergarten, in der Schule, sind Kinder bereits Teil einer solchen Gemeinschaft. Darum ist es wichtig, früh deren Regeln zu verstehen und ein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse, aber auch die Anderer zu entwickeln.
Das Buch ist zu einem Zeitpunkt erschienen, als Demokratie gerade zum wichtigsten Nachrichtenthema wurde. Kein Zufall, oder?
Richtig. Wir haben 2023 mit dem Buch angefangen, weil uns das Thema damals schon sehr wichtig war. Im Januar 2024 gab es dann mit den Potsdamer Geheimgesprächen der AfD einen großen Knall und man hatte das Gefühl, auf einmal werden ganz viele Menschen wach. Von denen wiederum sind viele an uns herangetreten und haben gefragt: Wie kann man Demokratie verständlich erklären? Wir denken ja immer alle, dass wir das ganz genau wissen, aber wer es einem siebenjährigen Kind kurz und knapp erklären muss, kommt ins Schlingern. Da ist der Verlag dann nach vorne geprescht und hat einen kostenlosen Vorabdruck gemacht, eine kleine Broschüre, die schon mal die ersten Dinge erklärt.
Demokratie ist ein weites Feld – worum geht es im Buch?
Wie immer bei Was ist was hat der Band nur 48 Seiten. Man bräuchte gerade zu diesem Thema viel mehr Platz. Allein um alle Institutionen zu erklären: das Parlament, den Bundeskanzler, das Wahlverfahren. Das tut aber auch der Politikunterricht. Ich habe mich gefragt: Was ist der Kern der Sache? Die Demokratie ist ja nur wertvoll, wenn wir sehen, was wir damit für unser Leben gewinnen. Wir müssen verstehen, dass sich viele Jugendliche einfach nicht gehört fühlen und dann sagen, das bringt doch alles nichts, wir hätten gern jemanden, der mal mit der Faust auf den Tisch schlägt und sagt, wo’s langgeht.
Wie setzen Sie diese Einsicht in Ihren Lesungen und Workshops konkret um?
Meine erste Frage ist immer: Was ist denn für euch Demokratie? Da kommt dann Bundeskanzler. Wählen. Freiheit. Lauter abstrakte Begriffe. Also mache ich ein Experiment: „Stellt euch vor, ich bin Süßwarenhändlerin und frage euch, ob ihr Fruchtgummi oder Lakritz für die ganze Schule wollt. Wie entscheidet ihr das jetzt?“ Da kommt ganz schnell die Antwort: Abstimmen! Und zu 99 Prozent kommt Fruchtgummi raus.
Dann schiebe ich hinterher: Entschuldigung, die sind aber nicht vegetarisch oder halal. Macht das einen Unterschied? Und dann ist man ganz schnell in der Diskussion. Intuitiv wissen die meisten Kinder, was gerecht ist: Können wir auch viele Fruchtgummi und ein paar Lakritz haben? Oder hast du auch was Vegetarisches für alle? Das ist der Moment, wo ich sage: Genau darum geht es in der Demokratie. Wir sind viele, wir haben ein Problem. Wie schaffen wir es, eine gute Lösung zu finden, mit der möglichst alle zufrieden sind?
Funktioniert das Konzept auch in Regionen, die momentan als eher antidemokratisch gelten?
Nicht jede Klasse ist da gleich begeistert. Letztendlich spielt das für mich aber keine Rolle. Ich will ja nicht bekehren oder manipulieren. Ich will nur einen Anknüpfungspunkt bieten, um zu diskutieren. Wir können einfach darüber reden, was Demokratie eigentlich ist und warum der ganze Zirkus eigentlich gemacht wird.
Viele Medien und Stiftungen sind gerade an einer Zusammenarbeit mit Ihnen interessiert. Warum?
Weil immer mehr Menschen merken, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche einzubinden. Die bekommen mit, was in der Welt passiert, und machen sich ihr eigenes Bild. Und wenn das düster aussieht, ist das nicht ihre Schuld, sondern die von uns Erwachsenen – was wir ihnen vorleben. Es entstehen jetzt immer mehr Jugendparlamente, in denen Kinder und Jugendliche Verantwortung übernehmen wollen für Themen, die sie in der Gemeinde oder Schule angehen. Aber wenn die viel Arbeit da hineinstecken, wie zum Beispiel ein guter Spielplatz aussehen könnte, und die Erwachsenen nicken anschließend nur, gut gemacht, und dabei bleibt es, ist das absolut frustrierend. Kinder müssen sehen, dass ihr Tun einen Unterschied macht.
Welche Botschaft aus Ihrem Buch ist Ihnen besonders wichtig?
Dass der Begriff Kompromiss zu Unrecht aus der Mode gekommen ist. Da schwingt für viele heute die Bedeutung „fauler Kompromiss“ mit. Dabei sollte man sich den Wert eines Kompromisses klar machen: Wenn ich mal in meinen Bedürfnissen einen Schritt zurücktreten muss, gewinne ich unter Umständen mehr, als wenn ich immer mein Ding durchsetze. Darüber kann man im Zusammenhang mit Demokratie nicht genug sprechen.
Wie zuversichtlich sind Sie, was unsere Demokratie angeht?
Ich glaube, wir müssen uns öfter klarmachen, dass alles, was wir tun, all unser Einsatz für eine gute Gegenwart auch zu einer schönen und guten Zukunft für unsere Kinder führen kann. Das motiviert mich und sollte auch andere Menschen motivieren. Dementsprechend bin ich bei allen Problemen eine optimistische Demokratin.