Echte Traumpaare gibt es selten in der Musik, das einzige echte wäre ein sagen- und märchenhaftes, das wiederum aus naheliegenden Gründen gar kein Paar sein kann: Cäcilie, die Heilige der Kirchenmusik und der große Orpheus, der so schön sang, dass selbst die Götter der Unterwelt sich erweichen ließen und ihm seine längst verstorbene Geliebte Eurydike wiedergaben. Dass sich Orpheus beim Weg in die Oberwelt gegen das Gebot nach ihr umdrehte und nur noch feststellen durfte, wie sie sofort wieder zurücksank, mutete zwar auch Claudio Monteverdi dem Publikum zu, doch kamen die beiden in seinem Orfeo von 1607 am Ende glücklich im Himmel zusammen.
Christiane Tewinkel
Der Rias-Kammerchor in der Gethsemanekirche.
Frische Nahrung, Frühlingswetter, das sind die must haves dieser Tage. Dazu vielleicht noch ein bisschen Musik?
Klar, dass Konzert und Osterspaziergang Konkurrenten sind. Die Sonne scheint, die Hasen hoppeln, schon Robert Schumann floh in den Ostertagen 1838 aus einem Kirchenkonzert, „das Requiem nicht angehört – lieber in’s Freie hinaus – weit weit bei Frühlingssturm – mit reichem Herzen – u.
In wenigen Tagen ist alles vorbei, dann muss man wieder ein ganzes Jahr warten, um die Johannes- oder Matthäus-Passion live zu hören. Bachs Passionen wissen nichts von jahreszeitlicher Entfremdung oder Abkopplung von ursprünglicher Funktionalität, auch wenn sie heutzutage nicht mehr Klock drei am Karfreitag erklingen, unter dem Zutun einer mitsingenden, mitsinnenden Gemeinde.
Kaum bequemen sich die ersten Sonnenstrahlen vom Himmel herunter, da bilden sich vor den Eiscafés große Menschentrauben, eben ist die Saison der Passionen eingeläutet, da brechen hie und da die ersten frühsommerlichen, ganz und gar romantischen Konzertveranstaltungen durch wie Krokusse durch den kalten Märzboden. Blaue Krokusse natürlich, so ungefähr wie jene Blume, die Novalis’ schlaflosem Heinrich von Ofterdingen „unaufhörlich im Sinn“ liegt, „und ich kann nichts anders dichten und denken, so ist mir noch nie zumute gewesen“.
Früher gab es krude Thesen zum Thema Musik, zum Beispiel hörte ich einmal einen Musikwissenschaftler die Ansicht vortragen, dass Bach nur deswegen so gut komponiert habe, weil es in Deutschland so viel regne, bei besserem Wetter hätte er nämlich draußen gesessen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Vielleicht so wie ich vor vielen Jahren, auf einem Bordstein vor Windsor Castle?
Einige Erfahrungen sind eben doch nur im Konzert zu haben, egal was in fünf Jahren los sein wird auf dem Markt der Gedankenlesegeräte und Empathieapparate, mal ganz zu schweigen vom Fortschritt auf dem Feld der Stereoanlagen. Gemeint sind hier aber auch nicht die Himbeerbowle oder die kompliziert gebutterten Brezeln, die es in der Philharmonie zu kaufen gibt, schon gar nicht die Perückenabende des Residenz-Orchesters Berlin, die Rede ist auch nicht von superempfindsam gestalteten Liedmatineen oder sehr aufregenden Neue-Musik-Veranstaltungen.
Berliner Philharmoniker unter Christian Thielemann.
„Ich bin hier und es gibt nichts zu sagen“, heißt der erste Satz von John Cages „Vortrag über nichts“, und das, obwohl Cage bei Verfassen noch gar nichts von Twitter oder täglichen Polit-Talkrunden im Fernsehen wissen konnte. Selbstverständlich soll dieser erste Satz auf keinen Fall so gesprochen werden, dass sich gleich alles umdreht und große Augen macht.
Gehen wir also mitten hinein und schauen mit eigenen Augen an, was zwischen Dirigent und Orchester geschieht. Was für ein Schlag, welche Handbewegung, wie viel Körperspannung welchen Klang auslösen.
Wäre das schön, die Berliner Philharmoniker jede Woche mit Beethovens Fünfter zu hören, die Staatskapelle mit der „Zauberflöte“ und das Freiburger Barockorchester mit den „Jahreszeiten“. Geht aber nicht.
Jubiläumskonzert des Philharmonia Quartetts.
Wie schön, berichtete die Lieblingsschwester Wilhelmine aus Bayreuth, ich höre nur Gutes über die Aufführung in Berlin. Der Brief, so oder ähnlich an Friedrich II.
Spiel, Satz, Sieg: Ein wirklich kämpferisches Konzert zum 300. Geburtstag von Friedrich II. in der Philharmonie.
Eine der fein schillernden Vortragsreihen, die in diesem Wintersemester an den Berliner Musikhochschulen angeboten werden, geht am Donnerstag an der Hanns-Eisler-Hochschule mit Hartmut Grimms Vortrag über „Fortschrittsglaube – Franz Liszt als Musikschriftsteller“ zu Ende. Glücklicherweise bleibt uns noch für einige Wochen die interdisziplinäre Ringvorlesung an der Universität der Künste zum Thema „Bürgerliche Produktion höherer Töchter“.
Es stimmt heiter, dass die Verfallserscheinungen, die dem Konzertwesen seit seinen historischen Anfängen nachgesagt werden, das positive Image der Kunstmusik nicht tangieren können. Sicher, Klassik ist nicht immer das Mittel der Wahl.
Kinder, wie die Zeit vergeht. Es ist erst ungefähr dreieinhalb Nachmittage her, dass man den polnischen Dirigenten Lukasz Borowicz beim Gustav-Mahler-Wettbewerb sah und sich wunderte, dass er anschließend im Publikum saß und den anderen Kandidaten bei der Probenarbeit mit den Bamberger Symphonikern zuschaute, als längst klar war, dass er nicht zu den vorderen Preisträgern gehören würde.
Kommen wir also zur Besinnung. Kaum ein Genre lädt so sehr dazu ein wie das Thema mit Variationen, schließlich stellt sich rasch heraus, was Sache sein wird für die jeweils nächste Viertelstunde, schon nach den paar Sekunden, die eine erste Themenhälfte dauert.
Ah, das wird schwer. Ein so heißes Rennen zwischen zwei vortrefflichen Veranstaltungen wie am morgigen Montagabend gibt es selten.
Noch einfacher als das Rezept für Blitzblätterteig (je ein Teil Butter, Quark und Mehl, prima für gefüllte Plätzchen) ist die Erklärung, warum zu Weihnachten Gesang gehört: Weil Singen wohltut, vor allem bei Kerzenlicht und wenn keine Ansprüche an die Virtuosität gestellt werden. Diese Woche lässt sich endlich einmal jeden Tag Gesang genießen.
Abends um sieben hört man im Haus jemanden Klavier spielen, und zwar John Dowlands bittersüßes Lied „Come again“. Ist es der junge Vater von gegenüber, der sein Kind in den Schlaf wiegt?
Aus Kindern werden Leute, und zwar ganz allmählich. Es kommt schließlich nicht jeder so husch, husch in die Profilaufbahn gesprungen wie der österreichische Pianist Ingolf Wunder, der seinen Liszt spielen konnte, noch bevor er mit 14 Jahren die erste Klavierstunde bekam.
Bevor die Zeit anbricht, in der gefühlte 37 Male das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach zu hören ist mit Paukenklang und Trompetenschall, müssen wir durch die (Toten-)Messen des düsteren Novembers hindurch: zweimal Bachs h-Moll-Messe allein in dieser Woche, einmal Brahms’ „deutsches“ Requiem, und dann natürlich Mozarts Beitrag zum Genre. Satte viermal wird sein Requiem von 1791 demnächst dargeboten, am Sonnabend sogar gleich nach einer Uraufführung (selbstverständlich ebenfalls ein Requiem) und in der von dem MozartForscher Robert Levin hergestellten Ergänzung, die die Sopranstimmen in Höhen entsendet, auf die Mozart wirklich nur im Delirium des Todeskampfes hat kommen können.