
Sich waschen und nicht nass werden: Andreas Dresen inszeniert Mozarts „Figaro“ in Potsdam als Beziehungskiste.

Sich waschen und nicht nass werden: Andreas Dresen inszeniert Mozarts „Figaro“ in Potsdam als Beziehungskiste.
Wenn es schon so ist, dass am Freitag nirgends ein fast ganz echter Sankt Martin auf einem Pferd sitzt und sein Schwert zieht, um für einen Bettler seinen Mantel zu zerteilen – weil Unter den Linden kein Platz für Bettler ist und ein Pferd im abendlichen Stadtverkehr nur scheuen würde –, dann sollte man sich wenigstens im Berliner Dom das Singspiel „Martins Mantel“ anhören mit dem Mädchenchor der Singakademie. Der zweite wichtige Mann in diesen Tagen: Goethes Harfner, Inbegriff des verstörten Alten, der in dem eher verwirrten Alten, der mir neulich auf der Straße begegnete („Die Anna Netrebko und ich, wir lieben uns, ich könnte weinen, dass wir nicht öfters zusammen sein können“), einen späten Nachfahren gefunden hat.
Wie genau er es gemacht hat, wissen selbst die Forscher nicht zu sagen. Schon vor seiner Ankunft in Leipzig hatte sich Johann Sebastian Bach in den Kopf gesetzt hatte, nur eigene Musik zu präsentieren in den Sonntagsmusiken der Leipziger Kirchen, zumindest über die ersten Jahre hinweg.
Warum überhaupt gibt es Musik? Die Götter haben sie natürlich als ein Mittel heruntergeworfen, um die vollkommene Ordnung des Kosmos zu verstehen, Oktave, Quinte, Quarte, Tag folgt auf Nacht, die Planeten ziehen ihre Bahnen.
„Herbst ist gekommen, Frühling ist weit, gab es denn einmal selige Zeit?“ Es wäre interessant zu wissen, ob dieses wunderbar verhangene Brahms-Lied auf Verse von Theodor Storm irgendwo in dieser Stadt, an irgendeinem der nächsten Tage gesungen wird.
Man sollte es nicht glauben, zumal angesichts der Dichte des Informationsnetzes, das der Tagesspiegel täglich spannt: Aber es gibt Bereiche in der Klassischen Musik, die kaum je besprochen werden. Zu ihnen gehört das Leben in der Übezelle, dazu zählen aber auch die Vorgänge im Instrumentalunterricht und die Abläufe in einem Wettbewerb.
„Ich bemühte mich so sehr, doch du hast immer dich geändert, gingst auf neuen Wegen, und ich lief hinterher.“ Fast möchte man die Frau, die den armen Udo Jürgens einst hat abblitzen lassen, eine blöde Schnepfe schelten – da stellt sich heraus, dass er bloß von Musik gesprochen hat.
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„Das Weib des Pharao“: Arte zeigt Ernst Lubitschs Monumental-Stummfilm
Frisch gewagt ist halb gewonnen, gut gebügelt ist halb geschneidert, und schlecht gesungen ist immer noch besser als gut gesprochen. Jean Paul jedenfalls fand, dass die „Singstimme in ihrer höchsten Tiefe noch höher als der höchste Sprechton“ steht, und Carl Maria von Weber wunderte sich darüber, dass sogar mittelmäßiger Gesang ihn sofort „ergreift und durchglüht“.
Während das Musikfest sich wieder darin übt, Intellekt und Avantgarde, Hipness und Glamour zu vermählen, zeigt das Musikinstrumentenmuseum nonchalant auf die Geheimnisse musikalischer Breitenbildung. Das Wiener Glasharmonika Duo mit Christa Schönfeldinger (Glasharmonika) und Gerald Schönfeldinger (Verrophon) erinnert dort am heutigen Sonntagmorgen um 11 Uhr an jene schönen Zeiten, als jedermann noch selbst Musik machte, als Familienfeiern noch in Sälen mit Tischen unter gestärkten Damastdecken stattfanden und die Festtagspläne so mager waren, dass die jüngere Generation sich mit Kartentricks und Gläserreiben bei Laune halten musste.
Musikfest: Salonen und das Philharmonia Orchestra
Man könnte sich ja mal fragen, was eigentlich passiert wäre, wenn die Sache mit Apollo und Marsyas anders ausgegangen wäre. Apollo, der Gott für Licht, Dichtung, Musik, Jugend, Heilkunde, Weissagung und vieles andere, ließ sich nämlich von dem Satyr Marsyas zu einem musikalischen Wettstreit herausfordern.
Star-Pianist Yundi Li mit Chopin im Konzerthaus
Kinder und Tiere gehen immer, alte Regel im Zeitungsgeschäft. Dem Julius-Stern-Institut dürfte es nicht schwerfallen, am Montag den hauseigenen Saal in der Bundesallee zu füllen und das Jugend-Konzert-Publikum in die übliche Schockstarre aus Staunen und Bewunderung zu versetzen.
Mittags ins Konzert, und das am Mittwoch, das wär doch mal was, ein unauffälliger Termin, der gewissermaßen Trench und Sonnenbrille trägt und an der Ecke steht und wartet. Also das genaue Gegenteil des Symphoniekonzerts mit seinem Habitus der Ausgrenzung aus dem Kontinuum des Alltags.
Am heutigen Sonntag lässt sich sozusagen schubweise überprüfen, wie sich der pianistische Nachwuchs in Sachen Liszt- Vergegenwärtigung schlägt. Denn nach einer kleinen programmatischen Verbeugung in Liszts Richtung schon am Eröffnungsabend veranstaltet das Festival Young Euro Classic den ganzen Tag lang einen Klavier-Marathon mit „kulinarischen Pausen“.
Kaum zu glauben, dass es Sergej Rachmaninow gelungen sein soll, für die Wiedergabe seiner vollgriffigen, mitunter sogar sperrigen Kompositionen auf einer stummen Klaviatur zu üben. Doch war genau dies der Fall, glaubt man den Berichten über seine Überfahrt nach Amerika im Herbst 1909.
Einen Knabenchor zu dirigieren ist ungefähr so schwierig wie einen Sack Flöhe zu hüten. Verschwitzt vom Fußball oder Skateboardfahren kommen die Jungs in die Probe, zu nichts als Quatsch aufgelegt, sie wollen ihre Basecaps nicht abnehmen, sie reden mit dem Nachbarn, sie zeigen einander heimlich die neuesten Apps auf dem Handy und kommen viel zu früh in den Stimmbruch.
Große Unterschiede bestehen eigentlich nicht zwischen „Harry Potter“ und Wagners „Ring des Nibelungen“. Zwar lernt die Leserschaft der „Potter“-Romane ungefähr viermal so viele Figuren kennen wie das Publikum des „Ring“, zwar dauert es länger, mehrere tausend Seiten zu lesen als viermal in der Oper zu übernachten.
Schlecht ging es dem jungen Schumann am Wochenende oft. Sonntags legte er sich hin, um nach „großer Knillität“ und „Katzenjammer“ wieder zu Kräften zu kommen.
Die Sommerhitze ist schon fast wieder da und mit ihr das eherne Gesetz, nach welchem die Profis auf Tournee oder in die Theaterferien gehen, während der musikalische Nachwuchs und das Laienwesen die Stellung halten, egal, wie schweißnass die Klavierfinger sind, gleichgültig, wie sehr es trieft, wenn man bei 32 Grad im Schatten Geige spielen muss. Wer als Konzertgänger von derartigen Schwierigkeiten nichts wissen – und sehen – will, findet nur im Chorgesang sein Heil.

Peter Eötvös’ Tschechow-Vertonung „Tri Sestri“ beim „Infektion!“-Festival der Berliner Staatsoper
Strauss mit Thielemann und den Philharmonikern
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