Vor mir liegt ein Schmuckkästchen! Bevor ich dessen Inhalt ans Licht hole: Schon lange frage ich mich, weshalb überhaupt noch Hörbücher so billig in 08/15-Plastikschachteln eingeklemmt werden müssen?
Jens Sparschuh
Alles fertig? Falls Sie tatsächlich schon auf gepackten Koffern sitzen und Sie auf der Checkliste für Ihren Urlaub bereits diverse Mittelchen gegen Magen-Darm-Infektionen, Sonnenstich, Platz- und Schürfwunden abgehakt haben, erlaube ich mir nachzufragen: Ist denn auch was für die Ohren mit dabei?
Hörern, denen der Sinn nach einem Ausnahmezustand des Geistes steht und die womöglich, anstatt sinnlos durch die Gänge der Drogerie-Discounter zu streifen, lieber gleich zu richtigen Drogen greifen, sei ein Hörstück nach Charles Baudelaire ans Herz gelegt: „Die künstlichen Paradiese“ (Hörbuch Hamburg, 2011). Regisseur Kai Grehn, mit den Welten von William Blake und Hans Henny Jahnn bereits vertraut, hat ein internationales Ensemble aus exzellenten Schauspielern und Musikern zusammengetrommelt, das Baudelaire höchst eigenwillig interpretiert.
Selten bin ich einer Hörbuchlesung mit solcher Spannung gefolgt wie Swetlana Geiers Neuübersetzung von Dostojewskis Roman „Der Spieler“ (Der Audio Verlag, 2011). Auf meinen Knien lag die alte, von Hermann Röhl übertragene Ausgabe aus dem Insel Verlag, Satz für Satz ließ sich so prüfen, wie das Silber dieser Prosa zu neuem Glanz aufpoliert wurde.
Neulich wurde an dieser Stelle Arno Geigers Hörbuch „Der alte König in seinem Exil“ empfohlen. Dass Probleme einer alternden Gesellschaft auch in einem Hörspiel für Kinder ab 4 Jahren gut aufgehoben sein können, beweist der schwedische Autor Ulf Nilsson: „Als Oma seltsam wurde“ (DAV, 2011).
Wenn Sie als Kriminalbeamter an der Untersuchung einer Mordtat beteiligt sind, erwarten Sie dann wirklich, dass der Mörder seine Fotografie samt beigefügter Adresse an dem Tatorte hinterlassen hat?“, fragt Sigmund Freud in seinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse.
Wenn jemand beim Orgasmus zwanghaft den Satz „Sieg den Kräften der demokratischen Freiheit!“ ausrufen muss, dann sind wir in der Welt von David Foster Wallace (1962 – 2008).
Den Gulag-Häftlingen in Kolyma, am äußersten Nordostende Sibiriens, diente der eigene Körper als Thermometer: Geräusche beim Ausatmen bedeuteten minus 45°C. Kam Kurzatmigkeit hinzu, waren es minus 50°C.
Wenn von einem „wilden Kind“ die Rede ist, denkt man in neuzeitlicher Egozentrik wahrscheinlich vor allem an jene bedauernswerten Geschöpfe, die von ADS geplagt sind, dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, und die mit ihrer von Spielkonsolen und TV-ferngesteuerten Hyperaktivität Eltern und Erzieherinnen plagen, welche dann ihrerseits ebenfalls äußerst bedauernswerte Geschöpfe sind. Dass sich hinter diesem Begriff auch ein kulturgeschichtliches Phänomen verbirgt, scheint fast in Vergessenheit geraten zu sein.
Zeitlebens beschäftigte Arthur Schopenhauer die Frage, ob und wie Freiheit des Willens und Naturnotwendigkeit zusammenpassen. Er schrieb lange Abhandlungen darüber, so die „Transcendente Spekulation über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des einzelnen“.
Götz Alsmann, jener aufsehenerregende Herr mit der verwegen überdimensionierten Haartolle, Kassenbrille, Einstecktuch und Fliege, ist bekennender Sammler von Herrenmagazinen der fünfziger Jahre: „Gondel“, „Paprika“ oder „Neue Wiener Melange“ – so heißen die bunten, teilweise noch schwarzweißen Blätter, die er auf Flohmärkten aufgelesen hat. In der Adenauerzeit war der Verkauf an Jugendliche verboten.
An dieser Stelle wurde bereits mit erhobenem Zeigefinger darauf hingewiesen, dass eine Hörbuchlesung gnadenlos die verborgenen Mängel eines Textes freilegen kann. Eine Hörbuchversion kann so zur öffentlichen Bloßstellung führen.
Der alte Zaubermeister, auch zu Hause stets korrekt gekleidet: in Anzug und Schlips, sinniert auf dem schwarz-weißen Coverfoto mit verschränkten Armen vor dem aufgeklappten Deckel seiner altertümlichen Musiktruhe. „Abends, auch nach dem Mittagessen, ließ ich viel das Grammophon spielen, für das ich eine etwas ins Lasterhafte abschweifende Leidenschaft habe.
Interessanter Fall, der hier vorliegt! Vor mir auf dem Tisch, in identischer Aufmachung, gleich zweimal „Mehr Liebe“ von Frank Schulz.
Dass Matthias Politycki, dieser Meister aller Klassen, vom Großroman über den Essay bis zum Gedichtband (zuletzt: „Die Sekunden danach“, Hoffmann und Campe 2009) früher oder später auch der noblen Kunstform der Novelle einmal seine Reverenz erweisen würde, hätte man ahnen können. Das Ergebnis liegt vor, es ist, wie nicht anders zu erwarten, verstörend schön – und jetzt gibt es die „Jenseitsnovelle“ auch als Hörbuch (Radioropa, 2010).
Ob „Empörung“ Philip Roths bester Roman ist, kann ich nicht sagen; er hat einfach so viele beste Romane geschrieben. Große erzählerische Literatur bleibt nahe am oralen Ursprung allen Erzählens, sie eignet sich daher besonders gut fürs Hörbuch.
Jens Sparschuh macht sich Sorgen um den Kapitalismus.
Jens Sparschuh hat nur noch Ohren für die Archive von Ror Wolf
In letzter Zeit habe ich manchmal den Eindruck, mit meiner kleinen Hörbuchecke ganz am Ende einer langen, geschäftig rasselnden Verwertungskette zu sitzen, und ich frage mich: Was kommt hier hinten bei mir eigentlich an? Dass nach wie vor Produktionen, die es exklusiv nur in Hörbuchform gibt, eine absolute Ausnahme darstellen, wurde an dieser Stelle schon oft genug bemängelt – und ebenso, dass weder eine Fernseh-, noch eine glitzernde Kino-Karriere der Akteure zwangsläufig fürs Hörbuch prädestiniert.
Jens Sparschuh sucht neue Welten zu Lande und auf hoher See.
Jens Sparschuh folgt dem Lockruf des Verbrechens
Jens Sparschuh lernt die Kunst des Gedankenlesens
Christian Zaschkes Buch "Tanz den Fango mit mir. Die Geschichte meines Rückens". Manchmal braucht dieser Autor nur einen einzigen Satz, um zu zeigen, wie uns der tägliche Wahnsinn streift.
Vom 9. Mai bis 22.