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Hör BÜCHER: Nase hoch in Roulettenburg

Selten bin ich einer Hörbuchlesung mit solcher Spannung gefolgt wie Swetlana Geiers Neuübersetzung von Dostojewskis Roman „Der Spieler“ (Der Audio Verlag, 2011). Auf meinen Knien lag die alte, von Hermann Röhl übertragene Ausgabe aus dem Insel Verlag, Satz für Satz ließ sich so prüfen, wie das Silber dieser Prosa zu neuem Glanz aufpoliert wurde.

Selten bin ich einer Hörbuchlesung mit solcher Spannung gefolgt wie Swetlana Geiers Neuübersetzung von Dostojewskis Roman „Der Spieler“ (Der Audio Verlag, 2011). Auf meinen Knien lag die alte, von Hermann Röhl übertragene Ausgabe aus dem Insel Verlag, Satz für Satz ließ sich so prüfen, wie das Silber dieser Prosa zu neuem Glanz aufpoliert wurde. Eine Probe aufs Exempel sollte auch sein, wie die Neuübersetzung mit jenen Stellen verfährt, die ich in meiner altertümlichen Ausgabe mit Bleistiftkringeln versehen hatte. Sowohl der Franzose de Grieux als auch der Engländer Astley scheinen unter einer seltsamen pleonastischen Veranlagung zu leiden. Im 7. Kapitel heißt es vom Franzosen: „Er nickte mit dem Kopf und ging hinaus.“ Und im nächsten Kapitel: „Mister Astley lächelte und nickte mit dem Kopf.“

Soll eine gute Übersetzung derartige Pleonasmen (zu deutsch: weiße Schimmel, tote Leichen u.ä.) ausmerzen? Ja, unbedingt. Und tatsächlich, in Track 8 und 10 der CD 2 hört man, dass Swetlana Geier stillschweigend diese kleinen Flüchtigkeitsfehler ausgebessert hat: Dort nicken die beiden einfach nur. Dostojewski derartige Unachtsamkeiten anzukreiden, verbietet sich. Er musste im Oktober 1867 diesen Roman in nur 26 Tagen per Diktat zu Papier bringen, damit der am ersten November fertig im Verlag war. Sonst hätte er sich jenem Ganoven von Verleger, dem er 3000 Rubel schuldete, für immer, ewig und alle künftigen Romane verpfändet. Der Grund waren Spielschulden. Dostojewski wusste, wovon er schrieb. Vielleicht begann seine Spielleidenschaft auch schon viel früher, im September 1849: Wenige Sekunden vor der angekündigten Hinrichtung wurden er und die anderen Petraschewzen-Verschwörer seiner Gruppe von Zar Nikolaus I begnadigt. – Sieht man danach nicht das ganze Leben als ein russisches Roulette an?

Michael Rotschopf liest die Geschichte um den bankrotten General und seine zwielichtige Entourage, die im deutschen „Roulettenburg“ auf das Ableben der Moskauer Erbtante warten, nuanciert. Da wir es oben schon mal mit dem Engländer und dem Franzosen zu tun hatten: Diese beiden Nichtrussen versieht Rotschopf mit einer derart dezenten Akzentfärbung, dass es eine Andeutung bleibt.

Die in der Regie von Gert Westphal für den NDR besorgte Hörspielvariante von „Der Spieler“ aus dem Jahre 1956 sollte man dennoch nicht ignorieren (Der Hörverlag, 2011). Sie hat ganz eigene Reize. Wenn die reiche, vermeintlich im Sterben liegende Erbtante, wie das bei derartigen alten Tanten so üblich ist, eines Tages putzmunter aus Moskau mit der Eisenbahn andampft und die ganze Casino-Gesellschaft gehörig durcheinanderbringt, wird diese Inszenierung fast zur Ku’damm-Komödie. Was aber ein richtiger Klassiker ist, der hält auch das aus.

In Vadim Jendreykos filmischer Nahaufnahme „Die Frau mit den 5 Elefanten“ kann man Swetlana Geier (1923–2010) noch einmal über die schon stark gebeugte Schulter blicken. Da übersetzt sie gerade den „Spieler“-Roman. Wenn sie dann, beim Bügeln, über den etymologischen Zusammenhang von Text und Textilien und über das Gewebe eines Textes nachdenkt oder, später, ukrainischen Germanistikstudenten ihr Credo des „Nase hoch beim Übersetzen“ erklärt, sind das unvergessliche Lektionen. Dass einer der fünf Romanelefanten bei ihr nun quasijuristisch „Verbrechen und Bestrafung“ heißt, mag die „Schuld und Sühne“-Fraktion bedauern; aber das entspricht nun einmal exakt dem russischen Titel. Auch beim Schlusssatz des „Spielers“ folgt Swetlana Geier mit „Morgen, morgen wird alles ein Ende haben“ treu dem Original.

Den Übersetzer meiner alten Ausgabe jedoch muss am Ende das nackte Erbarmen gepackt haben: Dem hoffnungslosen Spieler Alexej Iwanowitsch gönnt er zum Schluss ein „Morgen, morgen wird alles zum guten Ende kommen!“, wovon im Original – leider! – keine Rede ist. Und das Hörspiel? Das wählt einen ganz anderen Ausgang. Dort rollt eine einsame Kugel, bis sie liegen bleibt. Rien ne va plus!

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