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Pascale Hugues

Kann man stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein? Nachdem ich 14 Jahre in diesem Land verbracht habe, löst die Frage bei mir inzwischen beunruhigende körperliche Reaktionen aus: Atemnot, Pulsbeschleunigung, rote Flecken im Gesicht, zitternde Knie, Würgen im Hals, vernebeltes Hirn.

Von Pascale Hugues

Gesine Schwan konnte keinen vergleichbaren Coup landen. Die trockene Arithmetik der Kräfteverhältnisse hatte schon im Voraus entschieden, dass vermutlich keine Grande Dame der Sozialdemokratie im Schloss Bellevue logieren wird.

Von Pascale Hugues

Temperatur: 20,6 Grad. Berlin hat diese Woche mal wieder einen Rekord zu feiern, und die ersten Sonnenstrahlen bringen nicht nur Schneeglöckchen und Verliebte zum Vorschein – sie bringen auch die Revolutionäre auf die Straße.

Von Pascale Hugues

Mein Wecker ist verschwunden, meine Uhr funktioniert nicht mehr. Seit einer Woche lebe ich in einem Nirgendwannsland ohne Zeitzonen, in einer grenzenlosen Stille, die kein Rhythmus klickender Stunden, kein Ticken von Sekunden unterbricht.

Von Pascale Hugues

Seit Berlin Hauptstadt geworden ist, sind seine Bewohner von dem Wunsch besessen, genau wie Paris und New York einen Jetset im Pailletten-Outfit anschmachten zu dürfen, eine verzogene High Society mit glamourösem Liebesleben. Dank der Berlinale wird diese Phantasie wenigstens an fünfzehn Tagen im Jahr real.

Von Pascale Hugues

Ein Kind zu bekommen gleicht in Deutschland einer unbedachten Torheit, einem sicheren Absturz in die Gosse des Lumpenproletariats, einer Einbahnstraße in die intellektuelle Verwahrlosung. Glaubt man den alarmierenden Umfragen in der Presse und den Gesprächen auf Berliner Spielplätzen, dann ist das Kinderkriegen hier weder ein natürlicher Akt noch ein Vergnügen, und eine Bereicherung des Lebens schon gar nicht.

Von Pascale Hugues

Wenn der erste Schnee fällt, wird das strategische Talent jeder Großstadt auf die Probe gestellt. Die Berliner sind Meister der Effizienz: Mit gezielten Schaufelstreichen neutralisieren sie jedes bisschen Glatteis.

Von Pascale Hugues

Dies ist eine Liebeserklärung: eine Liebeserklärung an den Berliner Winter. An jene Zeit des Jahres, in der die Nacht schon um drei Uhr nachmittags anbricht und der Tag zu einem winzigen Fetzen blassen Tageslichts zusammenschnurrt.

Von Pascale Hugues

Zücken sie ihre Wörterbücher: Es gilt, den Unterschied zwischen „sichtbar“, „auffällig“ und „demonstrativ“ herauszufinden. Mit dieser semantischen tour de force werden sich demnächst bedauernswerte französische Schuldirektoren herumschlagen müssen, wenn einer ihrer Schüler das Klassenzimmer mit jüdischer Kippa, muslimischem Kopftuch oder christlichem Kreuz betritt.

Von Pascale Hugues

Eigentlich hatte ich mir geschworen: Finger weg von den Mülltonnen! Wer das deutsche System der Mülltrennung zum Thema einer Glosse macht, huldigt dem simpelsten aller Klischees, haut platt in jenes Register der Stereotypen, das zwischen Oktoberfest, Karneval und der deutschen Vorliebe für Disziplin oszilliert.

Von Pascale Hugues

Die Kellnerin in meinem Schöneberger Café – bauchfreies Top, gepiercter Nabel und leuchtend rote Dreadlocks, wie jene Lola, die einen ganzen Film lang rannte – schreckt mich jeden Morgen aus meiner Zeitungslektüre hoch: „Und du? Was bekommst du?

Von Pascale Hugues

Mittwochmorgen. Während ich in meinem italienischen Stehimbiss in Schöneberg einen Espresso zu mir nehme, entdecke ich unter luxuriösen mediterranen Süßigkeiten eine Tube Nestlé-Kondensmilch, blau-weiß, glänzend und wohlgerundet.

Von Pascale Hugues

Was ist das nur für ein Wahnsinn? Ganz Deutschland scheint sich an zwei grobkörnigen Karikaturen festgebissen zu haben, in denen die Altersstufen des Lebens als verfeindete Clans darstellt werden.

Von Pascale Hugues

In brütend heißen Sommernächten verwandelt sich unser Hinterhof in einen gigantischen Resonanzkörper. Jedes Rascheln, jedes Flüstern wird von den hohen Mauern reflektiert und verstärkt; so bleibt unsere kleine Hausgemeinschaft über das Intimleben jeder Etage auf dem Laufenden.

Von Pascale Hugues

Im Ensemble der europäischen Staatsoberhäupter hat jeder seine angestammte Rolle: Berlusconi gibt den Hampelmann im Mussolinikostüm, Blair den treuen Krieger, Chirac den Matador, dem der Tyrannenmord am arroganten Amerika zufällt. Allein Gerhard Schröder fiel es bislang schwer, eine passende Haut zu finden: Mal gab er den zappligen Kasper, mal den Zigarre rauchenden Dandy.

Von Pascale Hugues

Zu gefährlich: Kreuzfahrten auf dem Nil, die Sardinen-Strände von Mallorca, der Salsa auf Kuba. Zu abenteuerlich: die deutschen Touristen-Busse, die in ganz Europa Rentnerinnen in grauen Parkas und rosa Dauerwellen abladen.

Von Pascale Hugues

Eine wahre Menschenflut bricht in diesen Tagen über Paris und Berlin herein. Beide Hauptstädte sind dem gleichen Chaos ausgeliefert: Bus-Korsos, die ihre Passagiere in der Innenstadt abladen, vollgepfropfte Sonderzüge, kreisende Hubschrauber, Fahrräder und Roller, die sich im Slalom durch Staus schlängeln, hilflose Polizisten, die sich bemühen, die Menschenströme zu kanalisieren.

Von Pascale Hugues

Im Stehen gegen eine Mauerecke zu pinkeln, mitten in der Stadt, am helllichten Tag, das gehört für die Deutschen ins Reich der mediterranen Folklore, genau wie Wäscheleinen an italienischen Häuserfassaden und Frösche in Knoblauch auf französischen Tellern. Ein vollkommen abstoßendes, aber gleichzeitig faszinierendes Ritual.

Von Pascale Hugues

Der stämmige Zöllner am Flughafen von Pisa blickt mich merkwürdig an aus kleinen schwarzen Augen, er mustert mich von oben bis unten. Mit einem Mal fühle ich mich ertappt – nur: wobei?

Von Pascale Hugues

Der arme Mister Boyes, der sich vergangenen Samstag über sein Schicksal als Untertan Ihrer Majestät im Grunewald ausheulte. Welch’ ein Vergnügen ist es dagegen, in diesen Tagen als Tochter der Republik in Schöneberg zu leben!

Von Pascale Hugues

Löchrige Jeans, Palästinenserschals, nach Ziege stinkende afghanische Mäntel, der penetrante Geruch von Patschuli, die kleinen afrikanischen Zöpfe … am Ende der 70er war in meinem sehr liberalen Gymnasium alles erlaubt. Zu Karneval haben wir im religiösen Mädchenpensionat am anderen Ende der Stadt ein riesengroßes Chaos angerichtet und zu Weihnachten den einsamen Baum in der Mitte des Hofes mit Toilettenpapier eingewickelt.

Von Pascale Hugues

Francois Mitterrand und Helmut Kohl hatten ein Gespür für Stil: ein langer Händedruck über den Gräbern von Verdun. Schlicht, einfach, würdig … und dazu preiswert.

Von Pascale Hugues
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