Lange lag das Monopol für Weihnachtsoratorien fest in den Händen von Johann Sebastian Bach. Für eine Liberalisierung auf dem musikalischen Weihnachtsmarkt könnte jetzt das Weihnachtsoratorium von Carl Heinrich Graun sorgen, dem melodienreichen Kapellmeister des Alten Fritz.
Carsten Niemann
Kultur: Musik in Berlin: Chose mit Pose: Nigel Kennedy spielt Bach in der ausverkauften Philharmonie
Es gibt Momente, da wird selbst einem Kritiker flau: Standing Ovations am Freitag für den Geiger Nigel Kennedy und das aus Mitgliedern der Berliner Philharmoniker gebildete "Philharmonische Bach Collegium" im ausverkauften Saal der Philharmonie. Dennoch ärgerlich, dass das bunte Programmheftchen mit zehn Mark sagenhaft überteuert ist.
Keine Vorweihnachtssüßigkeit: Das Orchester der Komischen Oper unter Yakov Kreizberg spielt zur Adventszeit Gustav Mahlers "Kindertotenlieder", mit der schwedischen Altistin Anna Larsson. Gelassen beginnt sie ihren Vortrag, mit großem Ernst und fahlem Ton: Die kurze Koloratur auf dem Wort "Unglück" genügt, um die mühsam zurückgehaltene Verzweiflung anzuzeigen.
Singende Könige mit funkelnden Kronen gab es am Sonnabend auf Berliner Musiktheaterbühnen gleich zwei zu sehen. Der in der Staatsoper hieß Macbeth, rollte die Augen, schwang das Mörderbeil und war nach drei Stunden selber tot.
Vielen gilt Harrison Birtwistle als der bedeutendste zeitgenössische englische Komponist. Ihn vorzustellen, hatte sich das Deutsche Symphonie Orchester Berlin unter dem engagierten und mitreißenden Dirigat von Sian Edwards im großen Sendesaal des SFB vorgenommen.
So klang Werbung Anno 1610. Die Lieder in Robert Dowlands Sammling "A Musicall Banquet" seien "gesammelt und geerntet aus den Werken der außerordentlichsten und verständigsten Meister der Musik, die jetzt oder kürzlich unter der Christenheit leben oder gelebt haben.
Dass neben Mützen und Mänteln auch Celli in der Garderobe landeten, war kein Wunder, denn das Konzerthaus stand ganz im Banne der Bassgeige. Der Berliner Bassgeige, kann man hinzufügen, denn sowohl David Geringas im großen als auch Boris Pergamenschikow im kleinen Saal sind Professoren und Zierde der nahe gelegenen Hochschule für Musik Hanns Eisler.
"Früh übt sich, was ein Meister werden will" lautet die Binsenweisheit von der Notwendigkeit, frühzeitig etwas aus seiner musikalischen Begabung zu machen. Doch wo?
Schallplattenverkäufer in den Klassikabteilungen kennen das. Immer wieder erkundigen sich Leute mit verzücktem Blick, sie hätten da im Radio ein Stück gehört, da habe ein aufgeblasener Schulmeister eine begriffsstutzige Schulklasse unterrichtet, das sei so lustig gewesen, ob es das zu kaufen gebe?
Die Alte-Musik-Szene in Berlin muss sich berappeln. Die Friedenauer Kammerkonzerte hatte man mit Mühe gerettet, der Schock über die Einstellung der Barockopern-Reihe an der Staatsoper ist noch nicht ganz verwunden.
Diese Premiere hat er sich gegönnt, wir gönnen sie ihm auch. Zehn Jahre leitet der Komponist Udo Zimmermann die Leipziger Oper, doch erst am vergangenen Sonnabend, vor dem Wechsel nach Berlin, hat er ein eigenes Werk auf den Spielplan gesetzt: ein fast 30 Jahre altes Stück, nach einem Roman von Johannes Bobrowski, komponiert auf das Libretto seines Bruders Ingo Zimmermann.
Auf der Suche nach den Tönen für "Atlas Eclipticalis" griff John Cage nach den Sternen: Er legte transparentes Notenpapier über eine Sternkarte und hieß die Himmelskörper Noten sein. 1964, als die New Yorker Philharmoniker das Werk aufführten, sahen viele Musiker in der Sternenpartitur lediglich einen großen Bären - und zwar einen, den ihnen der Komponist aufgebunden habe.
Derzeit boomen sie wieder: die "langen Nächte". Die Kreuzberger Sorte reicht längst nicht mehr aus, der Berliner muss Nachts auch durch Potsdamer Schlossparks stapfen können und im Shuttle-Bus zu unzähligen Museen brausen.
Diesem Jubilar sieht man nicht an, dass er in die Jahre gekommen ist. Kein Wunder, wenn es sich um einen Kinderchor handelt.
Es klingt wie eine Sensation: Das Deutsche Symphonie-Orchester spielt eine völlig unbekannte Sinfonie des selbst von Haydn bewunderten Sinfonikers Carl Philipp Emmanuel Bach, dazu zwei weitere Arien des zweitältesten Bachsohns und ein noch nie diesseits des Urals gespieltes Flötenkonzert seines Bruders Wilhelm Friedemann. Ausgräber der musikalischen Schätze ist der ukrainische Dirigent Igor Blaschkow, bekannt als Beteiligter der Kontroverse um einen der bedeutendsten Notenfunde der letzten Zeit.
Sonntag Nachmittag. Vor den Stufen des Schauspielhauses wuseln Schülerscharen, Lehrer mit Konzertkarten in der Hand zählen ihre Schäfchen.
Nicht jeder, der sich am Sonnabend in Richtung Potsdamer Platz auf den Weg machte, wollte zur Berlinale. Manche hatten statt dessen den festen Vorsatz, im Namen der Kunst mehrere Stunden in einem fensterlosen Saal zu verbringen.
Sind Sie kürzlich beim Beobachten einer sich nervös an die Nase fassenden Dame unwillkürlich auf den Gedanken gekommen, die Frau könnte gerade Kunst produzieren? Dann haben wohl auch Sie die neueste Produktion im Hebbel-Theater gesehen.
Berlin: Das Fest am Kulturforum lockt mit Kino und Konzerten und unzähligen weiteren Veranstaltungen
Während Unter den Linden noch die Biertische aufgebaut werden, wird am Kulturforum schon gefeiert. Heute beginnt hier das Kunstfest, mit einem abwechslungsreichen Programm in den Museen und der Staatsbibliothek sowie zwei Filmreihen.
Silvester 2000 naht und damit erreicht der Jahrtausendendstress seinen Höhepunkt: Wie soll man feiern und dabei einigermaßen würdig von zweitausend Jahren Kulturgeschichte Abschied nehmen? Na, zum Beispiel so: Vier Tage lang bieten die Veranstalter des Kulturfestes am Potsdamer Platz eine Auswahl aus dem Besten, was diese Stadt und die Kulturen der Welt in den so überraschend schnell verstrichenen Jahrhunderten zu bieten hatten.
Die Älteren nennen ihn ehrerbietig "Maestro", die Jüngeren raunen anerkennend "Geil, voll der Klassiker!".
"Ich bin kein Grinser", hat Nikolaus Harnoncourt einmal über sich gesagt. Man hätte also ahnen können, wie der kantige Wiener Meister das Programm mit dem Chamber Orchestra of Europe im Kammermusiksaal der Philharmonie anpacken würde.
Vier altbekannte Paukenschläge weisen dem Klassik-Fan den Weg: Hinter dieser Tür muss es sein, wo das Kammerorchester Berlin Beethovens berühmtes Violinkonzert probt. Doch wer neugierig in den Ferenc-Fricsay-Saal im Haus des SFB schaut, dem fällt auf, dass etwas anders ist als sonst: Es fehlt der Dirigent.
Der eine mag es begrüßen, der andere mag es verfluchen: der Jahrestag des Mauerfalls ist zu einem Datum geworden, an dem kein Kulturveranstalter vorübergehen kann. Wie aber feiert man als Anbieter "klassischer" Musik einen Tag, an dem seinerzeit vor allem die Melodie "So ein Tag, so wunderschön wie heute" aus nicht nur freudetrunkenen Kehlen klang?