Wer sie sah und hörte in den ersten, aufgewühlten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, der begegnete unfehlbar sich selbst. Es ist das Geheimnis der Claire Waldoff (1884-1957), dass sie die Sehnsüchte, die glücklichen und bitteren Erlebnisse der Menschen aller Schichten auf sich zog.
Christoph Funke
Sie sind hoch begabt und weltvergessen. Sie sind liebenswert und verrückt.
Keine Antworten, die Fragen bleiben. Dem Flehen um Trost, Auskunft, Gewissheit antwortet nur Schweigen: Der Schweizer Erzähler und Dramatiker Thomas Hürlimann hat "Das große Welttheater" (El gran teatro del mundo) von Calderón de la Barca aus dem Jahr 1645 in die Konflikte unserer Zeit gestürzt, voller Unruhe, mit Heiterkeit auch, mit der strengen Verweigerung einer Botschaft.
Kultur: Berliner Ensemble: George Taboris Brecht-Akte Nummer zwei: "Von der Freundlichkeit der Welt"
In der ersten Reihe der Zuschauertribüne auf der alten Probebühne des Berliner Ensembles sitzt George Tabori. Er hört nur zu und erweist sich gerade in diesem ruhig-gespannten Dasein als der zurückhaltende, kaum sichtbare, aber immer spürbare Dirigent des "Abends mit Brecht".
Die Jungen, stürmisch Leidenschaftlichen hat Kurt Böwe nicht gespielt. Als er 1959 zur Bühne kam, ohne je eine Stunde Schauspiel-unterricht gehabt zu haben, war er ein gestandener Mann und als Theaterwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität auf dem Weg zu akademischem Ruhm.
Das wäre die Rettung der Welt: Jeder Mensch bekommt einen weißen Hasen. Zwei Meter groß, oder etwas darüber, gesprächsbereit, kontaktfreundlich, trinkfest - und unsichtbar.
Hinter dem Eingang, noch vor der mächtig hochstrebenden Halle der Dresdner Bank am Pariser Platz lädt ein dunkler, schmaler Raum zum Besuch ein. Er gehört, bis zum 18.
Irgendwo in der Niederlausitz könnte es das Dorf Alt-Kreumel geben. Oliver Bukowski jedenfalls nennt so den Ort des Geschehens für eine Tragödie: "Gäste".
Eine Tochter soll verheiratet werden. Die Familie gibt ein Fest, zwei Bewerber treten an und bitten um die Hand der kapriziösen Schönen.
Hat Heinrich Böll mit seiner Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" einen agitatorischen Text geschrieben, der Gute von Bösen sauber trennt? Margarethe von Trottas Bühnenbearbeitung hinterlässt in der Aufführung des carrousel-Theaters diesen Eindruck.
Als Friedrich Nietzsche die Erlösung der Welt zum "Tanzboden für göttliche Zufälle" dekretierte, übergab er dem Menschen damit eine neue, gleichsam nackte, furchteinflössende Freiheit: In einer Welt ohne Gott, ohne Jenseits, sind aller überlieferten Anschauungen nicht mehr gültig, fallen Wahrheit und Lüge, Wissenschaft und Kunst, Völker und Vaterländer aus ihren bisherigen Bestimmungen heraus. Das Jahrhundert nach Nietzsches Tod hat diese Voraussage mit böser Konsequenz bewiesen.
Es gibt keinen Halt auf der Bühne von Sibylle Gädeke, jeder Ort, der dort flüchtig erzeugt wird, ist verflucht. Alexander Hawemann erzählt die Abenteuer einer lustvoll gewaltbereiten Jugendbande nach dem Roman von Anthony Burgess als eine schwarze, geisterhafte Komödie, als einen Alptraum, aus dem es kein Erwachen gibt.
Nach Helene Weigel im Berliner Ensemble die "Mutter" zu spielen, verlangte Mut und Selbstbewusstsein. Felicitas Ritsch stellte sich 1974 dieser Aufgabe in dem Stück von Brecht nach Maxim Gorki mit Achtung, aber ohne unterwürfige Rücksicht gegenüber dem großen Vorbild.
Sind es wirklich nur freundliche Geschichten vom alltäglichen Ungemach, die Michael Frayn in sechs Etüden unter dem Titel "Ping Pong" erzählt? Sicher kann man seinen Spaß daran haben, wenn elektronische Signale ihre Herkunft nicht preisgeben, wenn ein überlasteter Anrufbeantworter explodiert, im Party-Gedröhn jeder den anderen missversteht oder ewig gleiche Hotelzimmer ewig gleiche Paare zu ewig gleichem Verhalten zwingen.
Schneewittchen, im weißen Kleid, mit Blüten wie Schnee übersät, liegt im Glassarg, mit fragende geöffneten Augen. Aber diese schöne Puppe ist nicht Schneewittchen, das ist Rita Seidel, oder eine Vorstellung, ein Traum von ihr.
In einem Gespräch sagte Manfred Wekwerth einmal: "Brecht war der Meinung, dass das künftige Theater nur dann auf der Höhe seiner Zeit sein wird, wenn es den Widerspruch zwischen den Leidenschaften und der Vernunft produktiv bewältigen wird." Der Satz interpretiert nicht nur Brecht, sondern umschreibt, worum es dem heute vor 70 Jahren in Köthen (Sachsen-Anhalt) geborenen Regisseur, Theaterleiter und Theoretiker Wekwerth in seiner Arbeit geht.
Die "schweren Helden" sind selten geworden auf den deutschen Bühnen. Dietrich Körner ist so einer, kraftvoll, durchschlagend, selbstbewusst.
Die Türen sind längst ins Schloss gefallen. Jeder lebt für sich allein.
Jason und Medea treten aus ihrer alten Geschichte heraus und übernehmen heute, in Manhattan, ein Schicksal, das von fortwirkender Schuld gezeichnet ist. Das Weggehen aus der Heimat erkauften sie durch Menschenopfer.
Geschichte präpariert Christoph Hein in seinem zweiteiligen Lustspiel "Himmel auf Erden" als einen Prozess, der sich von Menschen gelöst hat. Wirkliches, gar Politisches, wie es der Alltag ständig zur Verfügung stellt, fällt in seltsame Fremdheit zurück.
Zwischen Sprache und Spiel ist ein Widerstand geschaltet. Heiner Müllers Texte für das Theater entziehen sich in ihrer gedanklichen Dichte einer schnellen, naiven Versinnlichung.
Als gehorsamster Diener und aufrichtigster Verehrer hat sich Schiller im Juni 1794 dem Geheimen Rat Goethe in einem unterwürfigen Brief genähert, und noch in seiner letzten Mitteilung an den zum Freund gewordenen Älteren (25. April 1805) ist von "einiger Kontrovers" zwischen den beiden die Rede.
Im Ekel steckt die Kraft. Er allein hält die Menschen bei gesundem Verstand, bei nüchternen und klaren Gedanken.