Diktatur des Gesetzes, für die Wladimir Putin im Wahlkampf warb, oder Diktatur der Macht? Diese Frage könnte alsbald schon über Sein oder Nichtsein unabhängiger Medien in Russland entscheiden.
Elke Windisch
Moskau ist gestern einem neuerlichen Sprengstoffanschlag nur knapp entgangen. Auf dem Flughafen Scheremetjewo-1, wo vor allem der Flugverkehr mit den GUS-Staaten und innerhalb Russlands abgewickelt wird, wurde am frühen Morgen auf dem Fenstersims des Flugtrainingszentrums ein Sprengsatz entdeckt.
Großes Stühlerücken ist im Moskauer Kabinett nicht zu erwartenElke Windisch "Gehen Sie in Ruhe Ihrer Arbeit nach und verschwenden Sie keine Zeit mit Gedanken an Ihre Zukunft." Zur Übermittlung dieser Botschaft an die Ministerriege hatte Wladimir Putin am Dienstagmorgen Michail Kasjanow zu sich gebeten.
Bereits in den frühen Morgenstunden kurvten Lautsprecherwagen durch Moskaus Straßen, um die Bürger an ihre nobelste Pflicht zu erinnern - die Wahl des Staatsoberhauptes. "Höchst überflüssig", fand ein älterer, leicht angetrunkener Herr das Ganze.
Operative Stäbe, wie sie die russische Polizei auf Anordnung des Kremls bilden musste, um eine Schlammschlacht im Wahlkampf zu unterbinden, konnten nicht verhindern, dass ausgerechnet Favorit Wladimir Putin im Endspurt ein handfester Skandal wegen Schwarzkonten droht. Wie die regimekritische "Nowaja gaseta" schreibt, soll allein die Miete für das noble Alexandr-Haus, in dem Putins Wahlkampfstab logiert, das Zweieinhalbfache dessen verschlingen, was das Gesetz dem Kandidaten an Wahlkampfmitteln zubilligt - eine Million US-Dollar, wobei ein Umrechnungskurs zum Rubel von 1 : 30 zu Grunde gelegt wurde.
Immer wieder haben Russlands Journalisten die Machthaber im Kreml darauf hingewiesen: Nicht Presse und Fernsehen sind böse, sie sind lediglich der Spiegel, den die Medien der bösen Welt vorhalten. Vergeblich.
Zuerst ließ sich alles ganz prächtig an: Interimspräsident Wladimir Putin informierte am Montagmittag das Kabinett in knappen Worten über die Festnahme eines der bekanntesten tschetschenischen Feldkommandeure - Salman Radujew. Als Drahtzieher mehrerer spektakulärer Anschläge und Geiselnahmen hatte er sich während des ersten Tschetschenienkriegs 1996 einen zweifelhaften Ruhm erworben.
Wladimir Michejew ist seit kurzem ein Fall für den Psychiater. Der Umweltschützer schläft schlecht, klagt über Herzrasen und wähnt hinter jedem Mauervorsprung einen Killer mit durchgeladener Schusswaffe.
Nun wird vielleicht doch noch wahr, was Russlands Ex-Parlamentschef Ruslan Chasbulatow selbst in seinen kühnsten Träumen längst abgeschrieben hat - eine Rückkehr in die große Politik. "Wir bitten Sie im Namen Allahs, alle bisher aus Moskau entsandten Politiker, die sich Führer des tschetschenischen Volkes nennen, abzuberufen und uns dafür Ruslan Imranowitsch Chasbulatow zu schicken", heißt es wörtlich in einem Brief an Wladimir Putin.
Mit diesen Ergebnissen hatte niemand gerechnet: Umfragen, die das allrussische Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung bereits Ende Januar durchführte, ergaben, dass 28 Prozent aller Russen für eine umfassende Zusammenarbeit mit der Nato sind. Neun Prozent befürworten sogar eine Mitgliedschaft.
Russlands Altvordere waren wieder einmal weiser als die Generäle. Das Fell eines Bären soll man nicht teilen, bevor man ihn erlegt hat, lautet ein Sprichwort, das eigens für den Krieg in Tschetschenien gemacht scheint: Voller Stolz tönte letzte Woche der stellvertretende Oberbefehlshaber der russischen Regierungstruppen im Kaukasus, Generaloberst Gennadij Troschew, die militärische Seite der Anti-Terror-Operation sei im Prinzip beendet.
Russische Medien übergingen den Hilferuf weitgehend mit Schweigen. Die Sache ist auch peinlich genug.
Im Verwirrspiel um den Reporter Babitzkij gibt Putin sich nachsichtig - er wurde inzwischen freigelassenElke Windisch Der stellvertretende Oberbefehlshaber der russischen Truppen in Tschetschenien, Gennadij Troschew, strahlte über das ganze Gesicht, als er am Dienstagmittag im russischen Fernsehen erklärte, die militärische Operation im Kaukasus sei "im Wesentlichen" beendet. Die ersten Einheiten würden schon in den nächsten Tagen abgezogen, "Säuberungen" des Gebiets seien Sache der Polizeikräfte.
Russischer Privatsender strahlt Fernsehdokument über Massengräber und Folter in Tschetschenien ausElke Windisch Bei der Nachrichtensprecherin des russischen TV-Privatsenders NTW lagen die Nerven blank, als sie am Freitagmittag neue Dokumentarbilder aus Tschetschenien ankündigen musste. Aus gutem Grund: Bei dem Material handelte es sich nicht um die übliche Staatspropaganda über die Heldentaten der russischen Armee, sondern um das genaue Gegenteil.
Andrej Babizkij, der Kaukasus-Korrespondent des US-Auslandssenders Radio Liberty, der vor gut einem Monat in Tschetschenien unter mysteriösen Umständen verschwand, wird wahrscheinlich in einem der berüchtigten Filtrationslager gefangen gehalten. Gemeint sind damit Sammelstellen, in denen nach Darstellung Moskaus Personen vorübergehend interniert werden, denen Mitarbeit in terroristischen Vereinigungen zur Last gelegt wird.
Der Jahresbericht des russischen Amtes für Statistik liest sich wie das Szenario für einen Horrorfilm: Seit dem Ende der Sowjetunion im Dezember 1991 ging die Bevölkerung Russlands um insgesamt über fünf Millionen Menschen zurück und betrug am 1. Januar 2000 nur noch 145,4 Millionen.
Madrid: Demonstrieren vor dem Parlament ist auch in Spanien verboten. Praktisch wenigstens.
Am Montag fiel in Russlands zentraler Wahlkommission endgültig der Hammer für die Präsidentschaftswahlen am 26. März: Von den ursprünglich fünfzehn Bewerbern dürfen elf die Zielgerade angehen.
Weißes Wasser zischt durch die Klamm, die Reiseführer aus längst vergangenen Friedenszeiten als tschetschenisches Paradies anpreisen. Der aus Georgien kommende Fluss Argun tobt in seinem Bett und heult dabei wie ein Kettenhund.
Nur Ausländer wagen es, die Ungeheuerlichkeit laut auszusprechen: Rein ethnisch gesehen ist Usbekistans alter neuer Präsident Tadschike. Bei den Präsidentschaftswahlen wurde Islam Karimow, der das Land seit Sowjetzeiten regiert, erwartungsgemäß mit 92 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.
Tschetschenische Kämpfer haben am Sonntag einen Überraschungsangriff auf russische Stellungen nahe der Hauptstadt Grosny gestartet. In mehreren Außenbezirken Grosnys kam es außerdem trotz der von den Russen verkündeten Feuerpause zu Gefechten mit den tschetschenischen Verteidigern.
Kinder und Hund mochten ihn nicht, sagt Putins ehemalige Nachbarin. Der Markt offenbar auch nicht.
Wer in der Neujahrsnacht die russische Fahne auf dem Präsidentenpalast in Grosny hisst, bekommt den Stern des "Helden der Russischen Föderation". Dies versprach, von Wodka umnebelt, Russlands damaliger Verteidigungsminister Pawel Gratschow vor genau fünf Jahren.
In Moskau knallen die Sektkorken wegen des Zeitunterschiedes zwei Stunden früher als in Deutschland. Nicht einmal der Beginn eines neuen Jahrtausends kann dem dann fälligen traditionellen Trinkspruch etwas anhaben: Möge des neue Jahr nicht schlechter werden als das vergangene.