Der Internationale Währungsfonds hatte bereits letzte Woche eindringlich gewarnt: Erhöht Moskau angesichts des Tschetschenienkrieges die abgestimmten Parameter für den Rüstungsetat, kann Russland die Hoffnung auf neue Kredite abschreiben. Doch Kommunisten wie Demokraten zeigten sich wenig beeindruckt.
Elke Windisch
Boris Jelzin ist immer wieder für Überraschungen gut: Am vorigen Sonnabend wurde der russische Staatspräsident angeblich "unerwartet" wegen Grippe und hohem Fieber ins Moskauer Regierungskrankenhaus eingeliefert, am Montag früh ebenso unerwartet auf seinen Landsitz "Gorki-9" entlassen, um angeblich dort das Bett zu hüten. Doch das ist nicht die einzige Ungereimtheit in der neuesten Episode der Krankheitsgeschichte Jelzins, die eine unendliche ist.
Obwohl die Armee auch auf diesen Konflikt schlecht vorbereitet ist, soll sie bis zum 10. Oktober die Militäroperation durchführenElke Windisch Die Vorbereitungen für einen neuerlichen Landkrieg gegen die aufmüpfigen Tschetschenen laufen auf Hochtouren.
Regen prasselt auf die Verkaufstische. Kein Mensch ist auf dem Markt von Grosny.
Angesichts russischer Bombenschläge von einem neuen Krieg gegen Tschetschenien zu sprechen, ist nur im rein militärischen Sinn richtig. De facto befinden sich Moskau und Grosny seit 1991 im Krieg.
Der Nordkaukasus ist eine von insgesamt elf Wirtschaftszonen Russlands und gilt politisch als Problemzone. Rein administrativ gesehen gehören zum Nordkaukasus sieben Teilrepubliken: Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien, Nordossetien, Kabardino-Balkarien, Karatschai-Tscherkessien und die Republik Adygej.
"Vorwärts in die Vergangenheit", heißt die Parole, die der Kreml für den Nordkaukasus ausgegeben hat: Am Donnerstag bombardierten russische Kampfflieger den Flughafen in der Tschetschenen-Hauptstadt Grosny, am Freitag flogen sie Angriffe gegen die Erdölraffinerie und Bezirke der Innenstadt. Es gab Tote und Verletzte.
Berge von Blumen, jeden Tag. Seit Juli sammelte die Universitätsklinik in Münster die Sträuße für Raissa Gorbatschowa, doch die Patientin durfte sie nur von weitem durch eine Glasscheibe betrachten.
Mit Logik sei dem Debakel der Russen in Dagestan nicht beizukommen. Immer wieder "stiehlt irgendwer oder irgendwas den Generälen den verdienten Sieg", spottet Alexander Schilin, Militärexperte der Wochenzeitung "Moskwoskije nowosti".
Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff? Ja, meint Zar Boris, der seinen verängstigen Untertanen nach dem jüngsten Attentat nassforsch mit der Behauptung kommt, die "Staatsmacht habe genug Kraft und Willen, um dem Terror Einhalt zu gebieten".
Bei Anaid klingelt es kurz nach ein Uhr nachts: "Aufmachen, Polizei." Drei Polizisten und ein Hund nehmen den engen Korridor im Sturmschritt, drängen ins Wohnzimmer.
Die Kette von Terrorakten in Moskau reißt nicht ab. Nachdem bei dem Sprengstoffanschlag auf ein neunstöckiges Wohnhaus im Südosten der russischen Hauptstadt in der Nacht zum Donnerstag 98 Menschen ums Leben kamen, schlugen Terroristen am Montagmorgen abermals zu.
Zwei untersetzte Arbeiter, die zusammen gut und gerne 200 Kilo wiegen, umklammern Marija mit beiden Armen. Alle Kräfte müssen sie aufbieten, damit die Fünfzigjährige sich nicht in die Grube stürzt, in die gerade ein Kindersarg aus Kiefernholz gesenkt wird.
In der Moskauer Gurjanow-Straße sieht es nach der Explosion des Hauses Nummer 19 aus, als sollten dort Dreharbeiten für die Fortsetzung des Films "The day after" beginnen. Zwei Aufgänge sind völlig zerstört, dichter Qualm wabert über den Trümmern, aus denen noch immer Flammen züngeln.
Moskau steht unter Schock. Zwar laufen fast täglich Meldungen über bestellte Morde und kleinere Anschläge ein, denen die durch große Not abgebrühte Bevölkerung der russischen Hauptstadt kaum noch Beachtung schenkt.
Moskaus Siegesmeldungen der vorletzten Woche, wonach die Islamisten in Dagestan vollständig aufgerieben wurden, waren ebenso voreilig wie die Behauptung, Russlands Grenze zu Tschetschenien sei hermetisch abgeriegelt. Am Wochenende besetzten mehrere Tausend Gotteskrieger erneut Dörfer in insgesamt vier Kreisen Dagestans, und bei einem Terroranschlag auf die Wohnsiedlung russischer Offiziersfamilien in Buinaksk am Sonnabend kamen nach offizieller Darstellung bisher 64 Menschen ums Leben.
Ganze anderthalb Stunden dauerte gestern die außerordentliche Hauptversammlung von Gazprom, dem weltweit größten Gasexporteur, aus dessen Steuern sich der russische Haushalt zu über 25 Prozent finaniziert. Im Vorfeld der Hauptversammlung wurde gemutmaßt, dass der bisherige Konzernchef, Rem Wjachirew, seinen Posten räumen muss, weil der Kreml im Vorfeld der Wahlen das Unternehmen und dessen Finanzströme wieder fester an sich binden will.
Der russische Staat will nach eigenen Angaben seinen Einfluss auf den Erdgaskonzern Gazprom ausweiten. Wie das Moskauer Ministerium für Staatseigentum am Mittwoch mitteilte, wird die Regierung während der außerordentlichen Hauptversammlung an diesem Donnerstag die Erhöhung der Zahl ihrer Stimmen im elfköpfigen Gazprom-Aufsichtsrat von vier auf fünf beantragen.
Bis zum letzten Moment war es am Dienstag unklar, wer in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek der Sondermaschine aus Moskau entsteigen würde. Nach mehreren peinlichen Ausfällen des rusischen Präsidenten Boris Jelzin bei Staatsbesuchen in der Vergangenheittippten die Gastgeber auf Premier Wladimir Putin.
Mehr als zwei Wochen brauchte Moskau, um mit der immer wieder verschobenen Offensive gegen islamistische Extremisten Ernst zu machen, die in Dagestan noch immer fünf Dörfer in ihrer Gewalt haben. Nachdem die Regierungstruppen am Wochenende mehrere strategisch wichtige Höhen besetzten, sprechen die Militärs bereits vom Umschwung des Kriegsglücks zu ihren Gunsten.
Das Militär fliegt dreißig nächtliche Bombenangriffe. Doch die "entscheidende Offensive" verschiebt es immer weiterElke Windisch Russlands Luftwaffe hat in der Nacht zum Donnerstag nach eigenen Angaben rund dreißig Bombenangriffe gegen Stellungen moslemischer Rebellen im Südwesten Dagestans geflogen.
Nicht nur, was Gott tut, ist wohl getan. Auch auf den gesammelten Werken des russischen Präsidenten Boris Jelzin ruht der Segen der russischen Feudalverfassung.
Politik: Russlands größter Konzern "Gasprom" soll verstaatlicht werden und den Wahlkampf finanzieren
Rußlands Präsident Boris Jelzin plant nach Informationen des Tagespiegel den weltgrößten Gasexporteur "Gasprom" zu verstaatlichen. Gasprom soll dem Energieministerium einverleibt werden, um mit den Erlösen Jelzins Wahlkampf zu finanzieren.
Zuerst kamen die neuen Worte unter die Räder: "Reformer" und "Demokraten", die von den Russen nach der Wende zunächst mit Ehrfurcht ausgesprochen wurden. Heute bemühen russische Mütter diese Bezeichnungen als Buhmänner gegenüber unfolgsamen Kindern, bevor handfestere Argumente folgen.