Leif Segerstam kam, und die Festival-Routine von "Young Euro Classic" stand Kopf. Anstelle des erkrankten Paten Daniel Libeskind tänzelt der 56-jährige Dirigent und Komponist aus Finnland auf die Bühne des Konzerthauses: eine Erscheinung wie ein Bergmassiv.
Ulrich Amling
Es beginnt wie ein wildes Theatermärchen: Die Türen zum Zuschauerraum des Hebbel-Theaters fliegen auf, und ein Trupp Damen in Kittelkleidern macht sich gestikulierend daran, die Herrschaft über den Kulturbetrieb zu übernehmen. Italienische Wortfetzen fliegen, Pantoffeln klappern, aus Lappen trieft Wasser.
Wissen Sie noch, was Scham ist? Diese Gefühlsregung soll ja verloren gegangen sein.
Er hat sie alle verzaubert: Kent Naganos sanftem Fordern, seiner nie nachlassenden Konzentration sind Berlins Orchester in den letzten Wochen und Monaten erlegen - eines nach dem anderen. Nicht auf die unterwürfige Art, mit der man einem Diktator des Taktstocks Anerkennung zollt, sondern mit der disziplinierten Zuneigung der Geistesverwandten.
"Ich beabsichtige einen Kampf darzustellen, in welchem der Sieg dem Kämpfer gerade immer dann am weitesten ist, wenn er ihn am nächsten glaubt", schrieb Gustav Mahler über seine erste Sinfonie. Ein Werk der Trugschlüsse, als Sinnbild seelischen Ringens angelegt - und ein Offenbarungseid für jeden Dirigenten.
Im Bauch des Theaters rumort es, schlagen nackte Füße gegen Wände, werden Laute der Verwünschung hörbar, ausgestoßen von einer rauhen Männerstimme. Archaische Augenblicke, die keinen Zweifel lassen: Hier soll ein Drama geboren werden, in dem die Leidenschaft rücksichtslos von ihrem grenzenlosen Besitzanspruch Gebrauch macht.
"Das Theater ist in Wien / Zum Theater gehen heisst schauspielen / Die Schauspieler spielen in der Oper. / Die Oper ist ein singendes Theater.
Was bleibt von den Show-Stars, wenn der letzte Vorhang sich über die Bühne des Lebens gesenkt hat? Songs, Filme, Plakate - und manchmal auch Nachkommen, von deren Existenz die Nachwelt bislang noch keine Notiz genommen hat.
"Was du geschlagen, zu Gott, zu Gott wird es dich tragen." Chor und Orchester steuern auf den finalen Höhepunkt von Gustav Mahlers Zweiter Sinfonie zu.
Es war eine Konstellation, die alle Konzert-Herrlichkeit der Welt versprach, die Hoffnung weckte auf jenen Glanz, der in seltenen Momenten aus dem Innern der Musik aufglüht. Ein ausverkauftes Konzerthaus fieberte Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion mit Nikolaus Harnoncourt und seinem Concentus Musicus entgegen.
Aufregung vor der Premiere: Die "Bild"-Zeitung fragt sich, ob Kunst eigentlich alles dürfe. Und ob Schmuddelsex auf Staatskosten am Schauspiel Leipzig zu tolerieren sei.
Konzerte sind Kompromisse, Konzertprogramme Diplomatie. Peter Ruzicka, der Kulturmanager, Komponist und Dirigent, kennt diese Regeln nur zu gut.
Einst wurden sie als engelsgleiche Wesen geliebt, heute sind sie die Stars der internationalen Klassikszene: Sänger, deren Stimme höher hinaus reicht, als man das einem Mann zutrauen mag. Countertenöre haben mit dem Siegeszug der Barockoper die Bühnen erobert und die Tenöre in die zweite Reihe verwiesen.
Es gibt Konzerte, deren Programm so reichhaltig ist, dass ihnen das Schicksal aufwendiger Menüfolgen droht: die vorzeitige Sättigung. Allein unter dramaturgischem Aspekt ist Boris Berezovsky mit seinem Klavierrecital im Kammermusiksaal daher ein Kunstwerk gelungen.
Aktion zu Gunsten des Bauwerks mit Thierse, Rosh und den PhilharmonikernUlrich Amling Es war ein Abend heiterer Zuversicht. Drei Tage nach der Feierstunde auf dem Gelände des künftigen Denkmals für die ermordeten Juden Europas nahe des Brandenbugrer Tors luden die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) nun zu einem Benefizkonzert zu Gunsten des Bauwerks.
Es hat natürlich gar nichts mit den Bach-Feiern zu tun, dass Nigel Kennedy nach seinem Jimi-Hendrix-Projekt sich just in diesem Jahr dem Über-Komponisten stellt. Nein, er sei jetzt einfach bereit für Bach, bekundet der Brite.
Kurze Zeit nach seinem Tod 1992 wurde er richtig berühmt: Platten mit Musik von Astor Piazolla, dem Meister des Tango nuevo am Bandoneon, mauserten sich zu Bestsellern. Während sich in den CD-Regalen eine Hommage an die nächste reiht, machte Milva im Konzerthaus Halt, um mit dem Orchestra di Padova e del Veneto Piazollas Werke zu feiern.
"Ich habe Ärger mit meinem Herzen und mit den Lungen. Meine rechte Hand schreibt nur mit großer Mühe.
"Wie mit einem Schlaglicht war diese verschüttete Literatur beleuchtet", urteilte Gustav Mahler über ein Bach-Konzert, für das er eine Suite aus Orchesterwerken des Thomaskantors zusammengestellte. In dem ersten seiner "historischen Konzerte" mit dem New York Philharmonic versuchte der Wiener 1909 gleich einen zweifachen Kulturtransfer: Alte Musik sollte zeitgemäß in sinfonischem Gewand auftreten und Hörern in der Neuen Welt das Erbe von "old Europe" näher gebracht werden.
Nervös schlängelt sich eine Rauchsäule ins Scheinwerferblau empor, hastig gepaffte Wolken gleiten ins Dunkel und Erwartungen ins Unendliche. Georgette Dee hat zu ihrem neuen Programm "Kupfermond" in die Bar jeder Vernunft geladen - und ihre Fans sind nur zögerlich gefolgt.
Theater ist eine Zumutung: Es ist von unerhörtem Mitteilungsdrang, verlangt aber, daß die Zuschauer selbst schön den Mund halten. Es will verstanden werden, teilt sich aber nur in Rätseln mit.
Einen schönen Klang hervorzubringen, ist gewiß eine Kunstfertigkeit. Große Kunst ist es dagegen, sich nicht einlullen zu lassen vom warmen Strömen, nicht krampfhaft jeden sanglichen Augenblick zum Verweilen zu nötigen.
"Aber nun ist es die ganze Welt, die Natur als Ganzes, welche sozusagen aus unergründlichem Schweigen zum Tönen und Klingen erweckt ist." Mit diesen Worten hatte Gustav Mahler seine dritte Sinfonie beschrieben und keinen Zweifel daran gelassen, durch welche Kraft ihm diese Weltsicht möglich war: durch "die Betonung meines persönlichen Empfindungslebens".
Sie liebt scharfgewürztes Essen, dazu ein kühles Bierchen und lacht gerne herzhaft: Montserrat Caballé ist eine Sängerin mit echten Open-Air-Qualitäten - Fans danken das der spanischen Diva auch in ihrem vierzigsten Bühnenjahr. Zum Abschluß des diesjährigen "Classic Open Air" zeigt sich der Gendarmenmarkt festlich von Parfüm- und Sektfahnen umweht und schließlich von einem nachtblauen Himmel edel überwölbt.