Auf die Wucht folgte der Sturm. Nachdem Myung-Whun Chung den Taktstock hatte sinken lassen, brach aus dem Philharmoniker-Publikum ein Donnern von Applaus und Buh-Rufen hervor.
Ulrich Amling
Eigentlich treten sie ja nicht gern in Deutschland auf: Die Gagen sind viel zu niedrig, die Steuern viel zu hoch. Frau Gheorghiu und Herr Alagna haben etwas geschaffen, das sich in Geld nicht aufwiegen lässt.
Es gibt Erfolge, die können ruinös sein. Obwohl "The Eternal Road" 1937 in New York ein halbes Jahr lang gespielt wurde, häufte sich Woche für Woche ein größerer Schuldenberg zusammen.
Tiefer Grimm zog sich über des Meisters Stirn. Die Flugmaschinen für die Rheintöchter verklemmt!
"Als irische Prinzessin verkleidet, entbindet er; sie planen, die Franzosen zu überrumpeln. Er richtet es so ein, dass er von ihr entführt wird; wieder verjüngt, desertieren sie; sie hat ihm zwei Kinder geboren.
Wie weit ist die Distanz zwischen Tradition und Experiment? Bei den Berliner Festwochen etwa 400 Meter: Herausgespült aus der Philharmonie, wo gerade die letzten Takte der "Eroica" unter Rattle verklungen sind, geht der Weg vorbei an Richard Serras einander zärtlich zugeneigten Stahlplatten die Tiergartenstraße hinauf.
Es ist ein schmerzensreicher Weg, den Claudio Abbado und seine Berliner Philharmoniker im letzten Konzert vor ihrer nächste Woche beginnenden Amerika-Tournee (die nach einer Orchesterversammlung allen Bedenken zu Trotz nun doch in der geplanten Form stattfindet) beschreiten. Noch leicht verkatert vom gewaltigen Tosen der Schönbergschen "Gurrelieder" unter Simon Rattles fordernder Leitung treffen die Musiker auf einen Chef, der sich vom kritischen Dialog zwischen dem Orchester und Solisten spürbar zurückgezogen hat.
Schweigen, das war das Schwerste in diesen Tagen nach dem Unfassbaren. Es tosten die Fernsehbilder, es rauschten Kommentare und Reden.
"Wir weinen, stellen unsere Tränen in den Eisschrank, bis sie zu Eis gefroren sind, und dann tun wir sie in unseren Whisky", bricht es aus Martha hervor, in einer Verschnaufpause von Edward Albees Eheduell "Wer hat Angst vor Virginia Woolf". Und in bernsteinfarbenen Klängen bilden sich Schlieren, die sich wie Nebel um Elizabeth Taylor und Richard Burton legen.
"Großes hast du mir gegeben / in jenen Hochstunden, / die für uns bestehen / im Zeitlosen." So klingt es in Arnold Schönbergs Liedern Opus 1 - und so trifft es die Stimmung eines Häufleins Unerschütterlicher, die nach vier Stunden im Kammermusiksaal jenseits von Raum und Zeit angekommen waren.
Hände und Köpfe schwirren durch die Luft, kennen nur ein Ziel, nur einen Ort, den sie einnehmen wollen. Auf eine blonde Frau im blauen schulterfreien Kleid konzentrieren sich die männlichen Handgreiflichkeiten, mit leerem Blick quittiert sie das Stöbern und Stoßen, das Tasten und Taumeln auf ihrem Körper.
Das Älterwerden soll ja auch Vorteile haben. Wenn es den Stürmen des Lebens gefällt, gerben sie Charakterzüge unverwechselbar ins Gesicht, schenken den geschüttelten Körpern eine kraftvolle Präsenz und dem zerzausten Kopf einen freien Blick.
Er ist bestens bewacht, der Körper auf der Bühne des zeitgenössischen Tanzes. Es schützt ihn ein fester Kokon aus Diskursen.
Er soll ja ein richtiger Rüpel sein. Einer, der die Faust gegen buhende Opernfans erhebt und mit tenoralem Grollen "Ein Teil des Publikums stinkt", ausruft.
Eilig erklimmen sie den Grünen Hügel, ihre Füße stecken in Turnschuhen, um den Hals ein Frotteehandtuch. In Bayreuth treffen festivalmüde Dirigenten auf ferienreife Musiker und versuchen, der allgemeinen sommerlichen Trägheit große Wagnermusik abzutrotzen.
So jung wie an diesem Abend sieht es selten aus, das Publikum der Philharmonie. Schülergruppen wirken exotisch im Berliner Konzertbetrieb, wo Orchestermusiker inzwischen die Enkel ihrer Abonennten sein könnten.
Reines Wasser muss durch einen tiefen Stein. Sagt die Sprudel-Werbung.
Als junger Theatermann hatte Günter Krämer an Gustav Rudolf Sellners Deutscher Oper in Berlin ein prägendes Erlebnis. Er sah Verdis "Nabucco" - und marschierende Chormassen mit so etwas wie Topfwärmern auf dem Kopf.
"Viva il buon vino!" Er kann Genussmenschen auf die Opernbühne zaubern wie kein zweiter.
Das haben sie nun davon. Umgeben sich programmatisch "Jetzt mit noch mehr Männer" - und landen damit nicht nur grammatisch im Abseits.
Die Weltformel-Forscher gucken verlegen: Ihre neuesten Berechnungen funktionieren nur, wenn man den Faktor Zeit ausklammert. Vorbei die Vorstellung von Geburt und möglichem Tod des Universums.
Fassungslos steht ein reiferes Opernenthusiastenpaar aus London im Strom des abwandernden Premierenpublikums. Soeben haben die beiden erlebt, wie "Boris Godunow"-Regisseur Uwe Eric Laufenberg vom Publikum der Komischen Oper auf offener Bühne mit einer Buh-Salve niedergestreckt wurde.
Zwischen Ehrgeiz und Größenwahn liegt oft nicht viel freies Feld - und im Falle von Daniel Hardings Debüt beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin nur ein schmaler Grat. Ausgerechnet Gustav Mahlers zehnte Sinfonie sollte es sein, ein Werk, für das sich sein Mentor Simon Rattle seit über zwanzig Jahren einsetzt - und das ohne die Interpretationen des kommenden Philharmoniker-Chefs wohl nie einen festen Platz im Konzertrepertoire ergattert hätte.
Musterschüler arbeiten vor: Noch bevor Simon Rattle das Lernziel "Alte Musik" ausgab, hatten sich vereinzelte Philharmoniker auf die Reise in den Barock gemacht. Um den Cellisten Götz Teutsch gruppierte sich ein Ensemble, dass nicht einfach auf Darmsaiten loskratzte, sondern stilistische Nachhilfe von Experten in den Kammermusiksaal einlud.