Noch schießt die Opposition mit Platzpatronen
Robert Leicht
Noch hakt es mit der Umbenennung eines Teils der Kochstraße im Stadtteil Kreuzberg in Rudi-Dutschke- Straße. Deshalb bleibt Zeit, an die Absurditäten und ideologischen Verklemmungen dieses Bereichs der Berliner Erinnerungskultur und -politik zu erinnern – und an einen handfesten Skandal, der immer noch auf seine Bereinigung wartet.
Den Weihnachts- und Neujahrsansprachen kann man schlechterdings nicht ausweichen – jedenfalls dann nicht, wenn man selber Bundespräsident oder Regierungschef ist. Wie Freddie Frinton mit „Dinner for one“ alljährlich seinen Angriff auf unsere Lachmuskeln startet, versammeln sich Jahr um Jahr in den Festtagsansprachen alle Grundmuster der Gutrede, präsentiert sich also das schlechthin Positive vor Schwarz-Rot-Gold und Tannenbaum respektive Reichstagskulisse.
Warum trat der Kanzler am 22. Mai nicht zurück?
Man sagt zwar: Viel Feind, viel Ehr! Aber ob das auch für die neue Bundesregierung gilt?
Also sprach Otto von Bismarck, nachdem er das Deutsche Reich zusammengefügt, ja zusammengezwungen hatte: „Setzen wir Deutschland sozusagen in den Sattel, reiten wird es schon können.“ Er meinte damit, man solle nicht alles penibel in einer Verfassung festlegen, sondern mit dem Nötigsten anfangen: Auf die Pferde, fertig, los!
Vernichtungs- oder Befreiungsschlag oder beides in einem: Was hat sich die SPD nun in der vorigen Woche angetan? Für die durchaus mögliche Deutung, am Ende werde sich das zunächst schnell behobene Führungsdesaster als ein verdeckter Segen herausstellen, ist es nicht zu früh – zumal, da die Parteigeschichte zur Vorsicht mahnt.
Ist die große Koalition nun etwas Schlimmes? Die meisten Menschen, die darauf mit Ja antworten, begründen ihre Sorgen mit der Konzentration der Macht auf zwei Parteien, mit deren verfassungsändernder Mehrheit im Parlament, sozusagen mit der Möglichkeit zum „Durchregieren“, also in einem: mit der Marginalisierung der parlamentarischen Opposition einerseits und der Radikalisierung der außerparlamentarischen Opposition andererseits – bis hin zu der Gefahr, dass die Extremisten ins nächste Parlament geschwemmt werden könnten.
Es wird ja am Ende nicht dazu kommen. Aber dann bitte aus Gründen der Einsicht!
Wenn Gerhard Schröder auf die Neuwahlen zusteuerte, um plebiszitäre Klarheit über seine Politik zu erzwingen, so hat er bisher nur größtmögliche Unklarheit erreicht. Dennoch sollten wir diesen Zustand nicht aus schierer Gewöhnung an eindeutige Wahlergebnisse zur Katastrophe hochreden.
An sich ist das lebhafte Pro und Kontra zum Thema „große Koalition“ müßig. Man kann zwar dafür sein – oder dagegen.
An sich könnte man sich das Gerede über eine mögliche große Koalition nach dem 18. September ruhig sparen – denn entweder kommt sie, oder sie kommt nicht, und zwar unabhängig davon, ob man sie jetzt auf den Wunschzettel setzt oder eben nicht.
Wenn nun so viel die Rede ist von der „neuen“ Linkspartei, so erinnert mich das doch sehr an die Jahr um Jahr unverdrossen frisch aufgelegte Werbeparole: „Das neue Persil“. So wie in der Packung letztlich doch jedes Mal Waschpulver blieb, so bleibt eben die neue Linkspartei die alte PDS.
Offenbar liegt etwas Zwanghaftes in dem deutschen Hang, den politischen Gegner durch den Vergleich mit der Nazi-Zeit – oder anderen Diktaturen – zu denunzieren. Ludwig Stieglers aberwitzige Behauptung, die CDU-Parole „Sozial ist, was Arbeit schafft“ erinnere ihn an die zynische KZ-Überschrift „Arbeit macht frei“, fügt sich nämlich ein in eine Reihe von ähnlichen Erinnerungsvergleichen.
Der Kanzler hat immerhin ein hohes Maß an Ehrlichkeit in die Endphase seiner Regierungszeit gebracht. Was längst alle Spatzen von den Dächern pfiffen, der Regierungschef hat es mit eigenen Worten ausgesprochen: Er konnte sich der Unterstützung seiner eigenen ursprünglichen Mehrheit nicht mehr sicher sein – und zwar für die Hauptstoßrichtung seiner Politik.
Horst Köhler sieht sich, wenn auch jetzt nicht mehr so patzig, dem Vorwurf ausgesetzt, er agiere parteipolitisch. Mit Verlaub: Dass Horst Köhler ein richtiger Parteipolitiker ist, das glaube ich überhaupt nicht.
Die letzte Woche im Taxi, nach den beiden europäischen Referenden – ein bedrückendes Erlebnis. Der Fahrer des rollenden Stammtisches war natürlich rundum dagegen; auch die Deutschen würden wütend mit Nein gestimmt haben.
Das hätte sich Bundespräsident Horst Köhler wohl kaum träumen lassen, dass er noch in seinem ersten Amtsjahr Schiedsrichter spielen müsste in einer parlamentarischen Krisensituation. Nun aber hat er letztlich zu entscheiden, ob es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen soll.
Ob Reisen wirklich bildet – wer weiß? Jedenfalls sorgt es für Perspektivenwechsel.
Hat nun der (vormalige) deutsche Botschafter in Bern seine Ruhe? Jedenfalls befindet er sich im einstweiligen Ruhestand.
Öffentliche Nachrufe sind ein schwieriges Geschäft – obwohl die Regel des Solon so simpel klingt: De mortuis nil nisi bene! Man solle, so werden wir belehrt, über die Toten nur Gutes reden.
Der Streit um den Religionsunterricht zeigt es: In der Berliner SPD (und in der PDS sowieso) hat sich ein starr betoniertes Milieu alt-marxistischer und vulgär-materialistischer Kirchenfeindlichkeit erhalten. Der Marxismus und der Materialismus haben zwar ziemlich abgedankt, aber die Religionsfeindlichkeit ist geblieben.
In der schwarzen Pädagogik meiner schwäbischen Heimat, in der noch gründlich mit dem Rohrstock hantiert wurde, gab es den bösen Satz: „Schade um jeden Schlag, der daneben geht.“ Da Joschka Fischer im Schwäbischen aufgewachsen ist, hat er diesen Satz wohl schon einmal gehört – jedenfalls bekommt er jetzt seine Anwendung zu spüren.
Wer weiß, wer Friedrich Weißler war? Am Sonnabend wurde in der Gedenkstätte Sachsenhausen eine Stele enthüllt, die an den ersten protestantischen Märtyrer unter der NS-Diktatur erinnert, zugleich an den ersten Richter, der damals wegen seiner zeugenhaften Treue zum Recht ermordet wurde, am 19.