Was nationale Losungen sind, das wusste ich. Dass sie schlecht sind, auch.
Robert Leicht
Wie weit ist es her mit unserer Säkularisierung? Doppelt gefragt: Wie weit sind wir wirklich säkularisiert?
Wenn der Deutsche tiefsinnig wird, entdeckt er sein Gewissen. In keinem anderen europäischen Land wird bei der Begründung einer abweichenden politischen Entscheidung derart pathetisch auf das urgründige Gewissen zurückgegriffen - nicht nur von denjenigen, die sich öffentlich in Gewissensqualen wälzen, bevor sie einmal Nein sagen, sondern auch von jenen, die jedem Abweichler den Nachweis des jungfräulichen Märtyrerstatus abverlangen, als hätten wir es mit einer öffentlichen Gewissensprüfung vor der Ja-Dienst-Verweigerung zu tun.
Im Deutsch-Unterricht der Oberstufe habe ich meine Lehrerin oft geärgert - und das kam so: Anstatt Aufsatz-Themen ausführlich zu bearbeiten, habe ich knapp dargetan, weshalb die Fragen eigentlich falsch gestellt waren. Falle ich nun in den alten Fehler zurück, wenn ich angesichts der Frage "Wo ist Gott?
Im Krieg richtet sich der Blick zwangsläufig auf die "moralischen Agenturen", die Kirchen. Wo bleibt ihr eindeutiges, wo ihr einheitliches Votum?
Manchmal ist das Neue nur - das Alte. Und manchmal kehrt das Alte wieder - aber völlig neu.
Der Vorzug der offenen Gesellschaft besteht in ihrer Fähigkeit zur ständigen Selbstkritik. Dieser Vorzug muss sich natürlich immer dann als besonders stark erweisen, wenn die offene Gesellschaft insgesamt herausgefordert wird - und sei es durch den Terrorismus.
Die Redaktion legt mir eine Frage vor, vor der ich mich gerne gedrückt hätte: Wie halten wir es angesichts dieses Terroranschlags mit dem Wunsch nach Vergeltung und dem Gebot der Feindesliebe? US-Präsident Bush will die Täter jagen und bestrafen; in Europa ruft man zu Besonnenheit auf.
Popper schlägt Plato: Die Zyniker, nicht die Idealisten sind die wahren Liebhaber der Demokratie. Plato träumte von der idealen Königsherrschaft der Philosophen.
Der Kanzler hat wieder einmal Basta! gesagt: "Ich komme immer mehr und mehr zu der Auffassung, dass erwachsene Männer, die sich an kleinen Mädchen vergehen, nicht therapierbar sind.
Seit Wochen tobt ein Ethikstreit im Lande: Was ist der Mensch in seinem Kern - nicht nur in seinem Zellkern? Ein schönes ethisches Thema!
Wie kommt die Ethik in die Politik hinein - als Legitimationsgrundlage ihrer Entscheidungen? Wo doch gerade die deutsche Politik im Licht unserer Geschichte ganz besonders auf Legitimation angewiesen ist.
Illusionen und Lebenslügen haben den Zweck, die Welt zu vereinfachen, solange es geht - allerdings mit den typischen politischen Kosten der gegenseitigen Selbsttäuschung. Es war eine Lebenslüge zu behaupten, Deutschland sei kein Einwanderungsland.
Der Nahe Osten ist ein besonders extremes, aber keineswegs seltenes Beispiel für eine totale Verknotung aller möglichen Konflikte in einen. Als ob es nicht ausreichte, dass gewaltsame politische Konflikte ihre gewöhnlichen Ursachen haben: territoriale Streitigkeiten, wirtschaftliche Interessen, Ölquellen, Wasserquellen .
Als im Herbst 1973 das Öl nicht nur teurer wurde, sondern richtig knapp, da ging - wie man nach einer "Berliner Rede" des früheren Bundespräsidenten Herzog sagen sollte - ein Ruck durchs Land. Ganz abgesehen davon, dass die westlichen Volkswirtschaften zerrüttet wurden.
Der politische Sommer ist vorüber - und nun muss sich zeigen, was vom Sommerthema Nummer eins übrig bleibt, nämlich der Abwehr des nicht gar so neuen Rechtsextremismus. Wer die Wirklichkeit kennt, weiß, dass es dabei nicht um die eine, alles rettende Maßnahme gehen kann.
Doppelt gibt, wer früh gibt - so lautet eine römische Rechtsregel: Bis dat qui cito dat. Diese Feststellung gilt zwar ursprünglich der ökonomischen Tatsache, dass ein Gläubiger von einer Forderung um so mehr hat, je früher sie erfüllt wird; sonst drohen Zinsverluste.
Da hat sich die Bundesregierung endlich richtig etabliert, da hat der Kanzler wochenlang das Geschäft souverän dominiert, da ist Bewegung gekommen in die lange blockierten Themen: Steuern, Renten und so fort (selbst über den Atomausstieg gibt es einen Konsens) - und schon fahren die Umfragewerte der Regierung in den Keller. Die Opposition ist ihren Ehrenvorsitzenden los, Helmut Kohl schweigt weiter gegen das Parteiengesetz, die neue CDU-Führung tappst noch orientierungsarm durch ihre ersten hundert Tage (was sollte sie auch anders tun nach dem plötzlichen Ende der alten Eliten?
Berlin steckt voller Erinnerungen. Aber mitunter haben diese Erinnerungen empfindliche Lücken - und zwar selbst dort, wo man sie gerade nicht vermuten würde.
Der absurde Streit um die Green Card nimmt sich zunächst aus wie eine Wiederauflage der Polemik um die doppelte Staatsangehörigkeit. Noch mehr aber gleicht das polit-bürokratische Hin und Her um ausländische Computerexperten dem Gezerre um die 630-Mark-Jobs.
Was haben ausgerechnet die CDU und die PDS gemein? Ein Problem!
Werden nun die Islamisten die Berliner Schulen überrennen? Zum zweiten Mal ist das Land vor Gericht unterlegen - gegen die "Islamische Föderation".
Nun nahen sie wieder, die schwankenden Gestalten - und vereinen sich, wie es die zu Klischees erstarrte Nachrichtensprache wissen lassen will, zu ihrem "traditionellen Drei-Königstreffen" in Stuttgart: die Liberalen. Genauer: die Freien Demokraten.
Das Jahr geht zuende, das Jahrzehnt, das Jahrhundert, das Millenium: Geht alles zuende? Diese Frage stellt sich offenbar niemand im Ernst.