Wie lang dauern eigentlich die politischen Halbwertzeiten von Mahnmalen und Gedenkstätten im Neuen Berlin? Länger als die Lebenszeit durchschnittlicher TV-Formate?
Thomas Lackmann
Wie bewegt man sich unter einem Mahnmal? Das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas hat über die Gestaltung des aus vier Räumen plus Foyer bestehenden "Ortes der Information" unter Peter Eisenmans Stelenfeld südlich des Brandenburger Tores entschieden.
Mailand, Anno 374: Der Bischof ist tot, die Stadt ist im Aufruhr. Katholiken und irrgläubige Arianer kämpfen um einen Nachfolger aus den eigenen Reihen.
In seinem kleinen Käfig im Zoo von Bahia sitzt seit 20 Jahren ein kleiner blauer Ara, allein. Nicht immer ganz allein.
Natürlich hat alles vorher angefangen. 300 Jahre Preußen zu bejubeln und nur 100 Jahre Kabarett, das wäre komisch!
Was ist Gerechtigkeit? Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden hat, sein erstes Amtsjahr bilanzierend, die Feier einer Düsseldorfer Großbank erwähnt, bei der ein honoriger Anwalt vom Flakhelfereinsatz in Auschwitz erzählte: Wie er dort in die Sauna gegangen sei, vom Massenmord aber nichts bemerkte.
Die klassische CD zur Jahreswende beginnt mit Harmoniumsakkorden, die präludierend in der Endlosschleife säuseln, als sei eine Nadel hängen geblieben. Dann intonieren krachende Gitarren, Drums und Bläsergetöse die eigentliche Melodie, sich hinaufwälzend zu Jubelhöhen, schräg herabschmetternd in die Mühen der Ebenen, von Gitarren-Riffs jaulend angesägt, bis zuletzt überm Rumtata-Schluss wieder Harmoniums-Sphärensound flirrt - never ending history.
Dass der Bauer nicht frisst, was er nicht kennt, ist eine Weisheit, an die wir in diesen Wochen panischer Enthaltsamkeit gern glauben würden. Wie gut muss man oder darf man jemanden kennen, um ihn wohlgemut zu verzehren?
Kurz vor seiner ersten Kulturstation landet der Pilot am Nauener Platz, auf dessen Gehsteigen türkisch sprechende und farbige Passanten einander ablösen. Im Falafel-Imbiß Nr.
Eine "Kranzabwurfstelle" als Protokollstrecke für Staatsbesucher wird es am Denkmal für Europas ermordete Juden nicht geben. So hat das Kuratorium der Denkmal-Stiftung am Donnerstag in seltener Einmütigkeit beschlossen.
Wandlungen. Verwandlungen.
Heute möchten wir mal weniger über die Leitkultur reden, den Spitzenkandidaten für das "Unwort des Jahres", sondern über Werte. Haben Menschen Werte?
An diesem Abend geht es auf dem Podium am Gendarmenmarkt um eine Geheimwissenschaft, die in Berlin immer noch genügend Anhänger hat, den Französischen Dom zu füllen. Die Männer auf dem Podium reden von "CA7", vom "Leib Christi", mit der "Braut Christi" nicht zu verwechseln, und von einem Knackpunkt namens "apostolische Sukzession".
Jetzt schlägt das Pendel in die Gegenrichtung. Dann schlägt es zurück.
Das Allerheiligste, die Dunkelkammer der Herrschaftsinsignien, ist der letzte Schauraum eines empfindlichen Geschichichtsprojektes. Deutschland, Polen, die Slowakei, Tschechien, Ungarn: Fünf Länder blicken tausend Jahre zurück, um sich einer verbindenden Überlieferung, früher nationaler Identitätswurzeln wie auch der Definition dessen zu vergewissern, was einmal Europas Mitte war.
Das Bayerische Viertel in Berlin-Schöneberg ist ein besonderes Quartier. Von Gedenkspezialisten aus aller Welt wird sein über viele Straßen verteiltes Denkmal "Orte des Erinnerns" - 80 Tafeln am Gehsteigrand, die auf der einen Seite antijüdische Verordnungen der NS-Administration zitieren, auf der anderen den betreffenen Alltagsbereich durch ein Piktogramm darstellen - als beispielhaft gerühmt.
Es gibt wohl kein Lied im schönsten Erinnerungsspeicher der Menschheit, der Weltliteratur, das so gräßlich auseinanderbricht und durch seine Interpreten seit Generationen so skrupellos der unappetitlichen Pointe beraubt wird. Die Christen-Liturgie übernahm den 2500-jährigen orientalischen Text in ihr Repertoire.
Die Szene ist dekadent. Auf der Tribüne tummeln sich seidenbehütete Dickhäuterdamen und Rüsselherren mit Opernglas.
Politik wird aus dem Bauch gemacht, doch die Erregung war vorab lanciert: Ohne die in Berlin prophezeite Kampfabstimmung hat sich das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas nach kontroverser Debatte geeinigt. Da das aus den Jahren der Wettbewerbsauschreibung bekannte Budget 15 Millionen Mark (für das Denkmal ohne alles) stets genauso fiktiv war wie jener 75-Millionen-Gesamtbedarf, mit dem Kulturstaatsminister Naumann noch im Mai 1999 jonglierte, klingt die neueste Prognose unspektakulär: Das Stelenfeld, sagt der Kuratoriumsvorsitzende Thierse, wird kaum billiger zu haben sein als für jene 20 Millionen, die das unterirdische Haus der Information kosten soll - unterm Strich also 40 plus.
War die Panikmache der letzten Tage vor einer Kostenexplosion des umstrittensten Bauprojekts Deutschlands nur ein Sturm im Wasserglas? Wolfgang Thierse jedenfalls spricht hochzufrieden von einem "großen Fortschritt": Der Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas verkündete am Freitag im Reichstag den jüngsten Konsens seines Gremiums.
Spätestens seit heute ist es in Berlin nicht mehr komisch, ein Kampfhund zu sein. Den zwölf beißlustigsten Köter-Rassen des Stadtstaates, deren Gefährlichkeit täglich in der Presse (Rubrik: "Jüngste Kampfhund-Attacken") nachzulesen ist, hat der Senat gestern Maulkörbe verordnet.
Man kann ja nicht immer Tucholsky zitieren, diesen Unkenrufer, der in den 20er, 30er Jahren so schonungslos aufgespießt hat, wie Bürger und Beamte die eigene deutsche Republik Nr. 1 verachteten.
Die politische Demonstration, zu der heute im West-Zentrum Berlins 400 000 Menschen erwartet werden, verkleidet sich als Fete der Spaßgesellschaft. Ihre hervorstechenden Teilnehmer sind, zur Ausstellung von Party-Flair und Balz-Attitüde, anzüglich geschürzt und erotisierend aufgebrezelt.
Melvyn J. Lasky - Soziologe, Zeitzeuge der Aufbau-Jahre, Wahlberliner - bekritzelt gummikauend das Museumslogo auf der Pressemappe.