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Kultur: Tanztheater: Tänzer der Klamotte

Das Älterwerden soll ja auch Vorteile haben. Wenn es den Stürmen des Lebens gefällt, gerben sie Charakterzüge unverwechselbar ins Gesicht, schenken den geschüttelten Körpern eine kraftvolle Präsenz und dem zerzausten Kopf einen freien Blick.

Das Älterwerden soll ja auch Vorteile haben. Wenn es den Stürmen des Lebens gefällt, gerben sie Charakterzüge unverwechselbar ins Gesicht, schenken den geschüttelten Körpern eine kraftvolle Präsenz und dem zerzausten Kopf einen freien Blick. Auch nach vorne, ins Nichts. Von diesem Potential der Tiefe lebt das NDT III, das Ensemble für Tänzer jenseits der 40 des Nederlands Dans Theater. Dass diese berühmtesten Ballettsenioren der Welt gleich zwei Uraufführungen beim "Tanz im August" präsentieren, darf das koproduzierende Hebbel-Theater zu Recht mit Stolz erfüllen. Und Tanzfans mit freudige Erwartung.

Auch die Meistertänzer scheinen heiter. Sie wünschen unentwegt "Guten Abend!", gucken lustig in den Zuschauerraum, bieten Erfrischungen an. "The Moment" hat Michael Schumacher seine Improvisationsvorlage für das NDT III getauft, bei der Musik (live von Cello und Schlagzeug eingestreut), Licht und Tanz völlig frei zusammentreffen sollen. Hierbei beweisen Gioconda Barbuto, Sabine Kupferberg, David Krügel und Egon Madsen ihr überlegenes Raum- und Zeitgefühl, indem sie nicht mehr tun als nötig, um auf der Bühne einen sanften Spannungszustand herzustellen - und ihn noch sanfter aufzulösen. Das ist schön anzusehen. Nie jedoch beflügelt die Freiheit der Form zum Abheben, zur Kulmination oder zur Krise. Nur das Netz der Wiederholungen - innerhalb eines ohnehin schmalen Bewegungsrepertoires - wird enger und enger gezogen, und hängen bleibt darin ein starres Lächeln sowie der fest schon zwanghafte Versuch, sich als liebenswert und sympathisch darzustellen. Und am Ende heißt es wieder "Guten Abend!". Das riefen einst die Mainzelmännchen dem ZDF-Zuschauer artig zu, die Zipfelmütze ziehend. Fernsehzwergen mag man diese biedere Freundlichkeit nachsehen, Bühnengiganten dagegen nicht.

Jiri Kyliáns Choreografie "Birth-Day" ging da noch einen Schritt weiter und darf getrost als Bewerbung des NDT III für den Posten eines TV-Balletts gewertet werden. Fünf exaltierte Herrschaften in Puder und Perücke feiern ein barockes Geburtstagsfest, das mit den Klängen von Mozarts Musik schlagartig von Freunden-Grinsen zu Grabes-Grimasse kippt. Schließlich lässt man sich an einer Tafel nieder und hält sich mit Fächer-Attacken in Schach - alles präzise genau auf und gegen die musikalischen Akzente inszeniert. Doch dann verschwinden die Tänzer vom Tisch, um im Video aufzuerstehen. Hier erleben sie absurde Liebesschlachten in Betten und lassen eine Küche in Chaos untergehen. Eine zeitgemäße Adaption des alten "Väter der Klamotte"-Konzepts, die auch der MTV-Generation gefallen könnte. Echt voll krass drauf, die Alten. Kyliáns Filmchen sind an Perfektion nicht zu überbieten - und gerade das ist das Drama. Hier wird zusammen geschnitten, rasant beschleunigt und begradigt, was die Tänzer niemals live vermocht hätten. Ihnen bleibt in ihrer eigenen Arbeit nur noch die Rolle des Zuschauers, der gelangweilt Clips konsumiert. Wo ist er geblieben, der wunderbare Glauben an die faszinierenden Persönlichkeiten der NDT-III-Tänzer? Kylián hat ihn aufgeben zugunsten der vollendeten Unterhaltung. Und so wurde viel gelacht an einem traurigen Abend.

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