Futter fürs Ego: „In der Republik des Glücks“ in den DT-Kammerspielen.
Christine Wahl
Eigentlich ist das Theater ziemlich schnell dabei, sich Hits und Bestseller aus anderen Disziplinen einzuverleiben. Kaum ein erfolgreicher Romanstoff, der auf der Bühne noch nicht nachgenutzt und so gut wie kein Film, der nicht neu aufgerollt worden wäre.

Neues von Lifestyle-Sarkastikerin Sibylle Berg ist nun am Gorki Theater in Berlin zu sehen: In ihrem Theaterstück „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ zelebriert sie den geistigen Komplett-Amok.

Vom mutigen Scout zur gefragten Macherin: Ricarda Ciontos ist die Seele des Nordwind-Festivals im Hebbel am Ufer.
Werfe dem Theater noch einer vor, den Anschluss an den Zeitgeist verloren zu haben! Tagesaktueller als der Theaterdiscounter kann man in diesen prä-adventlichen Novemberwochen schließlich kaum sein: Geborgenheit üben reloaded heißt der imperativische Untertitel von Malte Schlössers Performance, die auch ansonsten vorweihnachtlich-altruistisches Gedankengut verheißt: „Mit galanter Theorie-Piraterie und dem Neu-Einüben von Gefühlen“, verspricht die Presseabteilung der freien Spielstätte in der Klosterstraße 44 in Mitte, „entgegnen Schlössers Performer der Durchökonomisierung unserer Leben“.

Alles auf Anfang am Maxim-Gorki-Theater. Nach dem "Kirschgarten" kommen jetzt zwei weitere russische Premieren: "Der Russe ist einer, der Birken liebt" und "Schwimmen lernen"
Nicht, dass wir nicht ständig Märchen erzählt bekämen – in Politiker-Statements, Talkshows und durchaus auch auf der einen oder anderen Erwachsenen-Theaterbühne. Von diesen auf uns einprasselnden Fiktionen soll hier allerdings ausnahmsweise mal nicht die Rede sein.
Zwischen Moskau und Ruanda: Werkschau des Dokumentaristen Milo Rau in den Sophiensälen.
Mangelnden Anspruch kann man dem Theater an der Parkaue nicht nachsagen. Walter Benjamin für Grundschüler, dramatische Chaostheorie für Erstklässler: Die Lichtenberger Kinder- und Jugendbühne traut ihren Zuschauern im Zweifelsfall lieber ein bisschen mehr zu als zu wenig.
Die Zeiten, in denen das Publikum sich bequem in seine Sessel lümmeln und die Hamlets oder Emilia Galottis aus sicherer Distanz betrachten konnte, sind längst vorbei. „Interaktivität“ zählt auch im Theater, zumindest in der freien Szene: Eigeninitiativ streift das Publikum durch fiktive Arbeitsämter, bastelt Pappkrönchen oder bildet – angenehmstes Genre-Angebot – eine Partygesellschaft bei Freigetränkausschank.
„Wie funktioniert das Geschäft mit Immobilien im 21. Jahrhundert, und welche Rolle spielt darin die staatliche Wohnungspolitik?

Thriller ohne Thrill: „Der talentierte Mr. Ripley“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.
Der Sonntagabend ist gerettet! Zumindest ab Ende 2014.

Anekdoten aus dem Leben eines Regisseurs: Leander Haußmanns Autobiografie „Buh“.
Glaubt man dem charmanten kleinen Theater unterm Dach, gesellt sich zu den allseits beschworenen Wirtschafts-, Finanz- oder Nachbundestagswahlparteien-Krisen akut noch eine weitere hinzu. Es handelt sich um die Krise des Mannes.
Erstaunlich eigentlich, dass das Theater diesen Stoff erst jetzt entdeckt: Da berichten uns seit Jahren sogenannte Experten des Alltags wie Lkw-Fahrer, Herzchirurgen oder Prostituierte auf der Bühne aus ihrem Job- und Lebensumfeld. Aber die „Expats“ – Fachkräfte, die von international operierenden Unternehmen vorübergehend ins Ausland geschickt werden beziehungsweise eigeninitiativ für ein paar (Berufs-)Jahre ihre Heimat verlassen und zum Beispiel eben hier in Berlin Station machen – stehen als Theaterthemen- Trend erst kurz vor dem Durchbruch.
Die Kiez-Soap ist en vogue. Orte wie das Prime-Time-Theater, die das Geschehen vor der eigenen – in diesem Fall Weddinger – Bühnentür zu lustigen Sitcoms verarbeiten, feiern zu Recht Zuschauererfolge.

In seinem neuen Stück „Glanz und Elend der Kurtisanen“ kreuzt René Pollesch Balzac mit dem Soziologen Richard Sennett. Der Abend in in der Volksbühne wird zum Triumph für Birgit Minichmayr und Martin Wuttke

Tom Kühnels und Jürgen Kuttners „Agonie“ in den Kammerspielen des DT.

Frösche, Slapstick und Intrigen: Marius von Mayenburg inszeniert Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ an der Schaubühne in eigener Übersetzung als wildes Kostümfest.
Die Theaterferien sind zu Ende; ab dem Wochenende warten die Berliner Großbühnen mit ihren Saisoneröffnungspremieren auf. Und zumindest die Schaubühne liegt dabei mit ihrer Komödie „Viel Lärm um nichts“ – einer Story um schüchterne Kriegsheimkehrer, Intrigen und unvermeidliche Verkleidungsorgien – absolut auf Linie: Die soeben erschienene Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins für die Spielzeit 2011/2012, die das Gesamtrepertoire von 507 deutschsprachigen Theatern umfasst, sieht William Shakespeare auf der Liste der meistgespielten Autoren unangefochten auf Platz eins.
Kaum ein Sozialphänomen darf als so intensiv beäugt, durchdekliniert und bespöttelt gelten wie die „Latte-Macchiato-Mutter“: Das Biotop der Milchschaum schlürfenden Enddreißigerin mit der linken Hand am Edelkinderwagen beschränkt sich bekanntlich längst nicht mehr auf den Prenzlauer Berg. Nun tut uns die Berliner Kiezrealität rechtzeitig, da Witze über diese Spezies wirklich unendliche Bärte bekommen haben, den Gefallen, einen frischen familiensoziologischen Typus aufzufahren.
Neuigkeiten von der Kritikerfront: Die wohlige Theaterferien-Erschlaffung ist langsam ausgereizt. Zaghaft tritt tatsächlich so etwas wie Saison-Vorfreude zutage.
Der Balkon in Verona, an dem sich Romeo zu seiner Geliebten Julia emporhangelt, gehört zu den prominentesten Lokalitäten der Dramengeschichte. Und die italienische Stadt weiß diesen Mythos hervorragend zu vermarkten: Gegen die Alltagschoreografie der Hundertschaften, die sich täglich durch das romantische Haus mitsamt Balkon schieben, das die Veroneser zum „mutmaßlichen Haus der Julia“ erklärt haben, können Bühneninszenierungen der Shakespeare-Tragödie einpacken.