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Nur der Schatten war Zeuge. Daniel Hoevels (Greenleaf) und Christoph Pütthoff (Ripley). Foto: Barbara Braun/Drama

© Barbara Braun/drama-berlin.de

Kultur: Der brave Böse

Thriller ohne Thrill: „Der talentierte Mr. Ripley“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.

Das sei ja wie im Film, ruft Tom Ripley entzückt aus, als der milliardenschwere Schiffsbauer Herbert Greenleaf ihm überraschend einen Traumjob andient. Tom soll nach Italien reisen, um Herberts Sohn Richard, der dort als bildender Künstler vor sich hindilettiert, zurück in die USA und die väterliche Firmenspitze zu holen. Wobei Herr Greenleaf selbstredend für die Spesen aufkommt.

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters turnt „Der talentierte Mr. Ripley“ während dieses Jobangebots in einem überdimensionalen Bilderrahmen herum, dessen Spielfläche die geschätzten Ausmaße eines Schwebebalkens hat. Pünktlich aufs Stichwort „Film“ erscheint sein bebrilltes Pennälergesicht in einer schwarz-weißen Video-Großaufnahme auf der Bühnenwand. Und statt des Ripley’schen Kinohochgefühls beschleicht den Zuschauer die niederschmetternde Ahnung, in einem Prototyp des Genres „rechtschaffene theatrale Romanbebilderung“ gelandet zu sein. Die Indizien verstärken sich, als der aufstiegswillige Tom Richard vorlagengetreu tötet und dessen Identität annimmt.

1955, im Erscheinungsjahr von Patricia Highsmiths innovativem Kriminalroman, „liegen Themen in der Luft, die uns heute mehr beschäftigen denn je“, vermeldet das Deutsche Theater in seinem Ankündigungstext. „Identität ist ein Konstrukt, Leben ist Kunst und in jedem Durchschnittsmenschen lauert eine dunkle Seite.“ Man mag von diesen akut gemeinplatzgefährdeten Feststellungen halten, was man will – aber was Bastian Krafts Inszenierung angeht, trifft das Haus damit ins Schwarze. Tatsächlich richtet sich die Koproduktion des DT mit dem Schauspiel Frankfurt, die nun in Berlin angekommen ist, in jenem nebulösen Ungefähr ein, das urgemütlich an der Grenze zur Binse siedelt: Wahrheit gleich vielschichtig, Ich gleich fragil, und Du irgendwie auch nicht ganz unkompliziert – das geht immer.

Auf der Bühne schlägt sich das dergestalt nieder, dass Ben Baur neben dem Schwebebalken – „Leben ist (Turn-)Kunst“ – zwei Schminktischchen aufgebaut hat. Dort machen sich – „Identität ist ein Konstrukt“ – Daniel Hoevels in seiner Doppelrolle als Herbert und Richard Greenleaf sowie DT-Neuzugang Franziska Machens, die neben Richards Freundin Marge auch eine italienische Herbergsmutter mit Kopftuch sowie eine Sängerin mit rot gelockter Perücke spielt, sichtbar für ihre Auftritte zurecht. Und um die Sache mit der konstruierten Identität auch noch einmal ordnungsgemäß am Haupthelden durchzuexerzieren, hüpft kurz vor Schluss ein Double (Norbert Schmidt) zu Tom Ripley hinein in den Bilderrahmen.

Eines immerhin ist Bastian Krafts Inszenierung hoch anzurechnen: dass sie trotz ihrer erklärten Film-Affinität jegliche Vergleichsmöglichkeit mit Alain Delon aus René Cléments 1960er Kultverfilmung „Nur die Sonne war Zeuge“ von vornherein ausschließt. Dem geschmeidigen Delon, den Highsmith selbst als idealen Interpreten ihres Romanhelden bezeichnete – Matt Damon spielte 1999 in Anthony Minghellas Verfilmung den Ripley –, merkt man den Willen zur Aristokratie an jedem Gesichtsmuskelzucken an und traut ihm einen Karrieremord locker zu; Christoph Pütthoffs Ripley zuckt und tötet dagegen eher mit der Tapsigkeit des Underdogs, der in der Grundschule den Coolen die Tasche hinterhergetragen hat, um irgendwie dazuzugehören.

Thriller-Appeal kommt so zwar nicht unbedingt auf, dafür aber nahezu empathisches Verständnis für die Tatsache, dass – richtig! – „in jedem Durchschnittsmenschen eine dunkle Seite lauert“. Die Amoral von Lebensentwürfen und Emanzipationsgeschichten, um die Highsmiths Roman seinerseits grandios moral(in)frei kreist, wird dabei freilich vollends von Gefälligkeit zugedeckt.

Der 33-jährige Bastian Kraft – als Regiehoffnung von Hamburg bis Wien hoch gehandelt – scheint auf zwielichtige junge Männer abonniert zu sein. Am Münchner Volkstheater hatte er sich 2011 bereits Thomas Manns „Felix Krull“ vorgenommen, der mental und beruflich unbestreitbar Parallelen zu Highsmiths Ripley aufweist. Und genau wie Tom turnte sich damals auch der Mann’sche Hochstapler – aus Gründen besagter Ich-Konstruiertheit allerdings schauspielerisch verdreifacht – durch riesige Bilderrahmen und entschied sich im Übrigen für nahezu uneingeschränkte Unterhaltsamkeit.

Krafts brave Romanillustration ist, um das final noch einmal zu unterstreichen, mitnichten ein Einzelfall, sondern hat – wenn man von raren Ausnahmeerscheinungen à la Frank Castorf einmal absieht – leider geradezu exemplarischen Charakter. Man fragt sich an diesen Abenden immer mit ernsthaftem Interesse, welche Zielgruppe das Theater da eigentlich vor Augen hat. Die angeblich nicht mehr lesende Generation Facebook? Dafür allerdings war dann zumindest das Berliner Premierenpublikum deutlich zu fortgeschritten.

Wieder am 27. Oktober, 19.30 Uhr und am 1. November, 20.30 Uhr.

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