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Fürs Netz gemacht. Die Serienfiguren Fabrizio (links) und Ole halten über Facebook Kontakt zu ihren Fans. Dafür nehmen sie in Drehpausen schon mal eine Video-Botschaft auf. Ole filmte sogar sein eigenes EM-Orakel: Hausschwein Ludmilla. Foto: Promo

© Filmpool Film- und Fernsehproduk

Cross-Media: Proll never sleeps

Nach Sendeschluss wird die Doku-Soap „Berlin – Tag und Nacht“ auf Facebook weitererzählt. Mit großem Profit für RTL 2.

„Wir sind halt ein paar Freunde. Es ist schon ziemlich verrückt, mal mehr, mal weniger.“ Fabrizio steht in der WG-Küche. Gerade ist eine Freundin seines Mitbewohners Ole zu Besuch. Gesprächsthema sind die Verhältnisse in dem Kreuzberger Loft. Dort, unweit der Oberbaumbrücke, leben acht junge Menschen. Sie sind zwischen 21 und 41 Jahren alt und haben nur eins im Kopf: Party machen.

„Berlin – Tag und Nacht“ ist momentan die erfolgreichste RTL-2-Sendung. Wenn die Doku-Soap wochentags um 19 Uhr läuft, schalten im Schnitt knapp eine Million Zuschauer ein. Der Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe liegt nach schwächerem Start mit 10,8 Prozent nun deutlich über dem Senderschnitt von 5,9 Prozent. Für den Erfolg ist nicht zuletzt der massive Hype um die Facebook-Seite der Soap verantwortlich. Normalerweise enden TV-Serien, wenn man den Fernseher ausschaltet. „Berlin – Tag und Nacht“ braucht keine Pause. Wenn die Serie nicht auf Sendung ist, wird die Geschichte weitererzählt – auf Facebook. So schaffe man ein „Rund-um-die-Uhr-Erlebnis für die Zuschauer“, sagt RTL-2-Programmdirektor Holger Andersen.

Mit größtmöglichem Aufwand versucht RTL 2, den Zuschauern das Gefühl zu vermitteln, den Alltag von „normalen“ Menschen zu verfolgen. Das gesamte Ensemble besteht aus Laiendarstellern. Ihre Persönlichkeiten überschneiden sich mit denen der Figuren. So verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. RTL 2 nennt das „Realtainment“. Kritiker sprechen von einer „Pseudo-Doku-Soap“. Die Meinungen über die inhaltliche Qualität der Produktion gehen weit auseinander. Für die einen ist es angenehm leichte Unterhaltung am Vorabend, für die anderen ist es ein weiteres Kapitel der Trash-TV-Geschichte. Dennoch lässt sich der Erfolg des RTL-2-Formats nicht wegdiskutieren. „Berlin – Tag und Nacht“ hat sein Publikum gefunden.

Und das vor allem mittels des Internets. Über 1,9 Millionen Nutzern „gefällt“ die Facebook-Seite der Sendung. Dort erfahren die Zuschauer Neuigkeiten aus der Soap-Welt als Erste. Egal ob Ole im Vollrausch die Küche verwüstet oder nur schlecht geträumt hat. „Die Protagonisten bringen sich selbst in ihren Rollen ein“, sagt Andersen.

Ole ist wie seine Mitbewohner eine einfache Natur. Arbeiten, um Geld zu verdienen, widerstrebt seinem Naturell. Er möchte lieber Schlagersänger werden. Um einen Plattenvertrag inklusive Videodreh zu bekommen, läuft Ole nackt über den Alexanderplatz. Das hat Fabrizio gefilmt. Er stellt das verwackelte Video wenig später auf Facebook: „Der Ole ist echt nicht mehr ganz dicht! :D Für seinen Traum macht der echt alles! Aber seht selbst… Ciao, Fabrizio“. Unter dem Eintrag finden sich Kommentare der Fans wie „Das war ne echt geile Nummer!“ oder „Typisch Ole“.

Den Beitrag hat nicht Fabrizio geschrieben, sondern stellvertretend für ihn die RTL-2-Online-Redaktion. Die Facebook-Geschichte wird parallel zum TV-Format entwickelt. So ist tagsüber das Video von Ole auf der Facebook-Seite und abends in der TV-Ausstrahlung auf RTL 2 zu sehen. Dass nicht die Darsteller, sondern Redakteure die Beiträge schreiben, ist vielen Fans nicht bewusst.

Pro Woche kommt es auf der „Berlin – Tag und Nacht“-Facebook-Seite zu knapp 300 000 Nutzer-Aktivitäten, wie Likes oder Kommentaren. Vergleichbare Serien wie die RTL-Seifenoper „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ erreicht im selben Zeitraum nur auf 30 000 Reaktionen. Denn dort werden kurze PR-Texte publiziert. Auf der „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Seite werden Zusammenfassungen veröffentlicht, mitsamt Link zur „RTL Now“-Mediathek. Rund ein Euro muss dort für jede Folge bezahlt werden. Es geht um wirtschaftlichen Erfolg. Man wolle Facebook als „international dominierendem Unternehmen“ die Inhalte nicht kostenlos zur Verfügung stellen“, sagt Michael Heise. Für den Leiter Online bei RTL Interactive ist das Problem, dass sich mit einer Facebook-Seite nur schwer Geld verdienen lässt.

Der tatsächliche Profit sei ein anderer, meint RTL-2-Programmchef Andersen. „Dank Facebook können wir mit unseren Nutzern in einen offenen Dialog treten. Die Erkenntnisse sind für die dramaturgische Entwicklung in der Handlung einer TV-Serie unbezahlbar.“ Ohne direkt gefragt zu werden, bestimmen die Nutzer mit, wer in der WG wohnen bleibt und wer verschwindet.

Die vermeintliche Interaktion mit den Serienfiguren führt zu einer höheren Nutzer- respektive Zuschauerbindung. Denn die Einträge auf der Facebook-Seite funktionieren wie kleine Cliffhanger. Die kurzen Text-, Foto- oder Videobotschaften deuten aktuelle Ereignisse in der WG „live“ an. Die werden in der TV-Ausstrahlung am Abend dann ausführlicher gezeigt.

Aber RTL 2 profitiert auch finanziell von seinem Facebook-Engagement. Im März startete der Sender eine Umfrage in dem sozialen Netzwerk. Darin ging es unter anderem darum, wie alt die Nutzer sind und auf welchen Verbreitungswegen sie die Serie verfolgen. Daten, die man kostenlos gewinnt. Traditionelle Marktforschung wäre deutlich teurer.

„Berlin – Tag und Nacht“ war ursprünglich auf 120 Folgen angelegt. Bereits im letzten Dezember wurde die Serie verlängert – auf unbestimmte Zeit. Ein Ende ist nicht in Sicht. Es sieht so aus, als würde die WG noch lange bestehen bleiben. Im Fernsehen und auf Facebook. Nur die Mitbewohner werden wechseln.

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