zum Hauptinhalt
Spieglein, Spieglein: Google zeigt ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit.

© picture-alliance / dpa

Suchmaschinen: Googles verzerrtes Weltbild

Bettina Wulff streitet mit Google darüber, was objektiv ist: Das, was die Leute suchen, oder das, was wahr ist. Die Auseinandersetzung führt in das Zentrum des Google-Dilemmas.

Die „Objektivität“ von Google lässt sich am Beispiel Ägyptens erklären. Ein politikinteressierter Mensch, der regelmäßig Nachrichten verfolgt und Zeitungen liest, öffnet seinen Browser und gibt bei Google das Wort „Ägypten“ ein. Nach 0,21 Sekunden bekommt er etwa 45 Millionen Ergebnisse. Er erfährt etwas über die anti-amerikanischen Proteste in Kairo und über Ägyptens Rolle im Syrienkonflikt.

Nun googelt ein Mensch das Wort „Ägypten“, der den Politikteil überblättert, um die Reisebeilage zu lesen. Jemand, der im Urlaub möglichst viele Sehenswürdigkeiten mitnimmt. Dieser Mensch bekommt ein anderes Ergebnis. Er wird Bilder sehen von Wüsten und Kamelen. Im Hintergrund die Sphinx.

Der Suchmechanismus von Google und die Frage, wie „objektiv“ die dargestellten Ergebnisse sind, werden nun bald die Gerichte beschäftigen. In dieser Woche hat Bettina Wulff Klage gegen Google eingereicht. Es geht um die Autocomplete-Funktion. Mittlerweile muss man in die Suchleiste nur noch die Buchstaben „Be“ eingeben und erhält die Vorschläge „Bettina Wulff Prostitution“ und „Bettina Wulff Escort“. Wulff will, dass der Konzern das ändert. Kay Oberbeck, Sprecher für Google-Nordeuropa, wiegelt ab: Nicht das Unternehmen sei verantwortlich sondern die Nutzer. Die würden die Suchbegriffe eingeben. Die Worte „Escort“ und „Prostitution“ in Verbindung mit Bettina Wulffs Namen seien „das algorithmisch erzeugte Resultat mehrerer objektiver Faktoren, inklusive der Popularität der eingegebenen Suchbegriffe“.

Google, so der Standpunkt des Unternehmens, bildet nur das ab, was seine Nutzer suchen, es greift nicht ein. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, wenn überhaupt. „Google bildet die Welt nicht mehr ab, wie sie ist, sondern so, wie mächtige Interessensgemeinschaften es wollen“, sagt Felix Stalder, Professor für Digitale Kultur an der Zürcher Hochschule der Künste.

Bildergalerie: Bettina Wulffs Medien-Offensive

Das beginnt schon mit jener Autocomplete-Funktion, die Google nun verteidigt. Das Unternehmen sagt selbst, es schließe Begriffe aus, „die in engem Zusammenhang mit Pornografie, Gewalt, Hassreden und Urheberrechtsverletzungen stehen.“ Das funktioniert allerdings nur bedingt. Gibt man etwa die Kombination „Wie überfa ...“ ein, schlägt Google Folgendes vor: Wie überfalle ich eine Bank.

Die personalisierte Suche wird zum Problem.

In den vergangenen Jahren ist Google nach Ansicht von Kritikern eher weniger objektiv geworden. Eine wichtige Neuerung war die Einführung der personalisierten Suche im Jahr 2009. Sie funktioniert über Cookies, kleine Textdateien, die Daten über besuchte Webseiten ohne Aufforderung speichern. Cookies verraten Webseiten, die man besucht, welche anderen Seiten einen zuvor interessiert haben. Das ist auch bei Google so. Sucht jemand nach „Ägypten“ und klickt in erster Linie Reiseinformationen an, sortiert Google diese in der Folge immer weiter oben ein. Schon 2007 erklärte Google dazu: „Unser Ziel war es immer, dem Nutzer genau die Information zu liefern, die er gerade haben will.“ Google versucht, die Wünsche seiner Nutzer zu erraten.

Bei der personalisierten Suche stellt sich die Frage: Lässt sie überhaupt noch Interessensvielfalt zu? Eine Antworten gibt Eli Pariser in seinem Buch „Filter Bubble“. „Mehr und mehr wird dein Computermonitor zum Spiegel, der deine eigenen Interessen reflektiert, während algorithmische Aufseher beobachten, was du anklickst!“, schreibt er. „Spiegelrealität“ heißt das Phänomen. Der Nutzer glaubt, durch eine Glasscheibe in die Tiefen des Internets zu schauen, dabei zeigt ihm Google lediglich eine Spiegelung seines Klickverhaltens.

Die Komponenten des Algorithmus, der die Suchergebnisse sortiert, hält das Unternehmen so geheim wie Coca-Cola das Rezept für seine braune Brause. Nur wird das Rezept bei Google immer wieder geändert. Bis zu 200 Mal im Jahr basteln Ingenieure an den Suchregeln. Der User bekommt davon meist nichts mit. Anders war das im vergangenen Jahr im Fall des Panda-Updates. Google wollte Seiten mit qualitativ guten, originären Inhalten bevorzugen. Sogenannte Content Farmen und Webseiten, die nur Inhalte anderer sammeln, wurden herabgestuft. Kritiker warnten: „Das ist so, als würden die Gelben Seiten einfach Firmen herausstreichen.“ Der Fall zeigte erneut: Was ganz oben steht, wird sehr wohl gezielt gesteuert. Zudem löscht das Unternehmen gezielt Einträge, etwa in China, wo mehrere Millionen Internetseiten ganz unterdrückt oder herabgestuft werden, in der Fachsprache nennt man das Downranking.

Google sortiert bestimmte Seiten gezielt aus.

Seit August diesen Jahres widerfährt das auch im Westen Webseiten, nämlich solchen, die wegen Urheberverletzungen auffällig geworden sind, Seiten auf denen man Filme, Musik oder Spiele illegal herunterladen kann. So taucht etwa das Schweizer Unternehmen Rapidshare nicht mehr in den Suchergebnissen auf. Es bietet Server für den Austausch großer Mengen von Daten an, Server, die vielfach für den Austausch illegaler Inhalte genutzt werden. Das Geschäftsmodell ist juristisch nicht unumstritten, zuletzt verfügte der Bundesgerichtshof, dass Rapidshare illegale Inhalte filtern solle, wenn es von Rechteinhabern auf Verstöße aufmerksam gemacht wird. Vom Prinzip her aber ist das Filehosting rechtens – und dennoch sperrt Google Rapidshare aus. Der Zürcher Professor Stalder sieht das kritisch: „Entweder ein Angebot ist legal, und dann soll es wie jedes andere behandelt werden oder es ist von einem Gericht als illegal befunden worden, dann muss man darüber sprechen, ob es ganz aus dem Index verschwinden soll.“

Ein Grund für Googles Politik ist, dass sich der Charakter des Konzerns in den letzten Jahren grundlegend geändert hat. Angetreten als Suchmaschine, hat sich das Unternehmen mit Angeboten wie Youtube und dem Filmverleih Google-Play zu einem Medienunternehmen entwickelt und macht nun selbst Geschäfte mit Rechteinhabern.

Auch die Monopolstellung des Unternehmens sei ein Problem, sagt Stalder. Diese beschäftigt inzwischen auch die amerikanische Justiz. Geprüft wird, ob das Unternehmen seine Marktstellung dazu nutzt, Konkurrenten abzuwürgen, indem es sie einfach weiter unten in den Suchergebnissen einsortiert. Google hat darauf reagiert und ein Gutachten erstellen lassen. Ein Jurist der University of California kam zu dem Schluss: „Google sollte unter rechtlichen Gesichtspunkten wie ein Medienunternehmen betrachtet werden, ähnlich der New York Times und CNN.“ Die Argumentation stützt sich auf den ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung, der die Rede- und Pressefreiheit schützt. Folgen die Gerichte dieser Auffassung, würde das Unternehmen größere Freiheit erhalten. Auch den Tagesspiegel könnte ja niemand zwingen, positiv über die Konkurrenz zu berichten. Doch Google schafft sich damit auch ein Problem, denn andererseits möchte es nicht für die dargestellten Inhalte verantwortlich sein. „An diesem Spagat“, ist Stalder überzeugt, „werden sie letztendlich scheitern.“

Zur Startseite