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Der Medienandrang war groß zum Auftakt des Münchener Prozesses gegen Beate Zschäpe, mutmaßliches Mitglied der rechtsextremen Terrorgruppe NSU.

© dpa

Vom Netz genommen (13): Lob des Live-Tickers - auch beim NSU-Prozess

Ist ein Live-Ticker oder Live-Blog bei einem Gerichtsverfahren, noch dazu dem NSU-Prozess, angemessen? In unserer Debattenkolumne greifen wir wieder Leserkritik auf. Kommentieren und diskutieren Sie mit!

Von Markus Hesselmann

Was kann eine Online-Seite, was die gedruckte Zeitung nicht kann? Sie kann zeitlich näher am Ereignis berichten als das ein- bis zweimal am Tag erscheinende Printwerk. Sie kann weiter ausholen, als es auf einer Papierseite möglich ist, auf die nun einmal nur eine bestimmte Zahl von Zeilen passt. Sie kann einzelne Beiträge zum selben Thema bündeln und verlinken - gern auch über das eigene Portal hinaus. Sie erlaubt Leserinnen und Lesern ein schnelleres Feedback als auf Leserbriefseiten sowie - ganz wichtig - Diskussionen untereinander. Ihre Beiträge lassen sich über Facebook, Twitter und Google plus verbreiten und teilen sowie auch dort weiter diskutieren. Und sie bietet die technischen Möglichkeiten für weitere Genres: Dazu gehören Fotoreportagen und Videos, aber dazu gehört vor allem der Live-Ticker oder Live-Blog, um den es in dieser Folge meiner Debattenkolumne gehen soll.

Denn unsere Live-Ticker und Live-Blogs kommen nicht immer und bei allen gut an. Wir hatten mit unserer laufenden Berichterstattung zum Auftakt im NSU-Prozess noch gar nicht richtig angefangen, da schrieb unser Leser "M. Desgrieux" bereits in seinem Kommentar: "Live Ticker???? Das ist weder ein Fußballspiel noch landet der Papst. Ich glaub es hackt."

Interessant an dieser schwungvoll vorgetragenen Kritik ist, dass sie sich nicht am Inhalt, sondern am Genre entzündet. Und an der Verbindung des Genres mit dem speziellen Ereignis. Ein Live-Ticker zu einem Gerichtsverfahren erscheint als unangemessen. "M. Desgrieux" führt seine Kritik, die ich für beispielhaft und wichtig halte, noch weiter aus: Man solle "Emotionen nicht künstlich pushen". Ein Live-Ticker gebe "das Gefühl, dabei zu sein. Er baut Spannungen auf, spielt mit den Emotionen. Es gibt keine Information, die nicht in einem sachlich berichtenden Artikel ihren Platz finden würde".

Andere teilen diese Haltung: "Zum Marathon, der Hanfparade oder dem Myfest mag ein Liveblog ja sinnvoll und informativ sein", schreibt zum Beispiel Leser "guyana07" in seinem Kommentar. "Aber bei einem Gerichtsverfahren? Vielleicht können sich die zuständigen Redakteure ja mal zur Sinnhaftigkeit eines solchen Blogs äußern. Würde mich sehr wundern wenn da eine fundierte Erklärung käme."

Mache ich gern: Die Sinnhaftigkeit des Live-Tickers oder Live-Blogs - den Unterschied hat mein Kollege Christian Tretbar übrigens hier gut erklärt -, ergibt sich vor allem aus dessen Übersichtlichkeit. Wenn wir ein Ereignis für so wichtig halten, dass wir fortlaufend und im Detail darüber berichten wollen, dann bietet sich der Live-Ticker eher an als ein Bericht, der immer wieder aktualisiert wird. Solche Berichte haben wir natürlich auch auf unserer Seite, Sie erkennen sie am rot unterlegten "UPDATE"-Feld. Doch spätestens nach dem dritten oder vierten Update wird es für Leser, die am Thema dranbleiben wollen, unübersichtlich. Das Neue ist nicht immer sofort zu erkennen. Weil es zwar neu, aber womöglich nicht das Wichtigste ist, steht es vielleicht etwas weiter unten im Text. Und wer verliert nicht die Geduld, wenn er bereits Gelesenes mehrfach durcharbeiten muss, um zum Neuen vorzustoßen? Beim Live-Ticker steht das Aktuelle immer oben. Die interessierten Leser erkennen es sofort. Und viele lesen den Blog sogar noch, wenn das Ereignis längst zu Ende ist, weil sie an dessen Ablauf interessiert sind. Das belegen unsere Zugriffsstatistiken.

Warum sollte das bei einer Gerichtsverhandlung per se unangemessen sein? Ob Spannungen aufgebaut werden oder mit Emotionen gespielt wird, liegt aus meiner Sicht nicht am Genre, sondern daran, wie die Autoren ihre Aufgabe angehen. Bei einem Hertha-Spiel ist es sicher richtig, auf Spannung, Emotion und auch auf Unterhaltung zu setzen. Beim Auftakt des NSU-Prozesses sicher nicht. So wie ein Autor einer Reportage sich vom Stil, Ton und emotionalen Potenzial her an sein Thema anpassen sollte, so sollte dies auch der Autor eines Live-Tickers oder Live-Blogs.

Ich wage zum Schluss noch einen kleinen sprachkritischen Exkurs: Könnte die Abneigung gegen Live-Blog und Live-Ticker womöglich auch an den modisch klingenden englischen Begrifflichkeiten liegen? Das würde mich interessieren. Und käme es nicht arg gestelzt daher, wenn wir die Begriffe künstlich eindeutschten? "Direkt-Lauftext"? "Direkt-Logbuch"? Oder haben Sie bessere Ideen für Eindeutschungen? Ich bin für Vorschläge offen. Zunächst einmal haben sich die englischen Begriffe eingebürgert. Grundsätzlich halte ich es übrigens so, dass ich liebend gern auf ein englisches Wort verzichte, wenn es einen gebräuchliches deutsches gibt. Und es dasselbe aussagt.

Und jetzt sind Sie wieder dran. Was meinen Sie? Überzeugt Sie meine Argumentation, oder sind Sie ganz anderer Ansicht? Halten Sie einen Live-Ticker zu einem Gerichtsverfahren auch für unangemessen, speziell beim NSU-Prozess? Oder wann wäre er aus Ihrer Sicht sinnvoll? Gefallen Ihnen unsere Live-Blogs? Was könnten wir verbessern? Kommentieren und diskutieren Sie mit! Bitte benutzen Sie dazu die leicht zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite.

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