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Alles rennet, rettet, flüchtet? Der Henri-Nannen-Preis wird die Turbulenzen um Vergabe und Rücknahme des Preises an René Pfister verkraften.

© dpa

Reaktionen auf Rücknahme des Preises: Eifer und Empörung

Die Jury des Henri-Nannen-Preises denkt über eine Erweiterung der Statuten nach, der "Spiegel" schäumt.

Das Rumoren um die Verleihung und Aberkennung des Henri-Nannen-Preises für den „Spiegel“-Autor René Pfister geht weiter. Vor den Kulissen, mehr noch hinter den Kulissen. Die Kommunikationswissenschaftlerin Irene Neverla hat bei Pfister und bei der Jury Fehler ausgemacht. „Die Übergangszone zwischen Fakt und Fiktion“ sei zwar gestattet wie in Pfisters Reportage ,„Am Stellpult“ über Horst Seehofers Modelleisenbahn, „aber sie muss gekennzeichnet werden“, sagte sie der dpa. „Meiner Meinung nach hätte die Jury in diesem Fall den Riecher haben müssen nachzufragen, ob der Reporter nun wirklich dabei war oder nicht.“

Der Vorgang – Verleihung und Aberkennung – wird voraussichtlich Konsequenzen für die Statuten des Journalistenpreises haben. Künftig könnte von allen Bewerbern ein „Making of“ verlangt werden, in denen sie den Verlauf ihrer Recherche offenlegen. Das sei zwar keine Garantie, dass die Angaben tatsächlich korrekt sind, machen den Gang der Recherche aber besser nachprüfbar, heißt es aus der Jury. In einer der nächsten Sitzungen soll über eine mögliche Änderung der Teilnahmebedingungen diskutiert werden.

Schon jetzt wird ein solches „Making of“ für eine Bewerbung um den Nannen-Preis in der Kategorie Investigation verlangt. Der Gang der Recherche soll darin „so umfassend wie möglich“ geschildert werden. Wenn Pfister seinen Rechercheweg dargelegt hätte, hätte die Jury womöglich vor ihrer Entscheidung entdeckt, dass Pfister nicht alle Teile seiner Geschichte selbst erlebt und beobachtet hat.

Teilnahmeberechtigt für den KischPreis sind „journalistische Arbeiten, die in nicht-fiktiver Darstellungsform eine räumlich und zeitlich begrenzte Geschichte wiedergeben, die vom Autor erlebt oder beobachtet wurde.“ Die Geschichte dürfe „subjektive Elemente enthalten und soll beim Leser für ,Kino im Kopf’ sorgen. Für diese Kategorie können auch journalistische Porträts ausgewählt werden.“

Bei der Verleihung am Freitagabend hatte Pfister mehr beiläufig zugegeben, selbst nie in dem Keller gewesen zu sein, wo Seehofers Modelleisenbahn steht. Dieses „Geständnis“ führte schließlich zur Aberkennung des Preises durch die Jury mit sieben zu vier Stimmen. „Entgegen dem Eindruck der Leser und aller Juroren“ habe die Reportage „nicht auf der eigenen Wahrnehmung des Autors beruht“, heißt in der Begründung der Jury. „Die Glaubwürdigkeit einer Reportage erfordert aber, dass erkennbar ist, ob Schilderungen durch die eigene Beobachtung des Verfassers zustande gekommen sind, oder sich auf eine andere Quelle stützen, die dann benannt werden muss.“ Die Jury betonte aber, dass sie keinen Zweifel an der Korrektheit von Pfister Fakten habe. „Von einer ,Fälschung’ kann keine Rede sein.“

Pfisters Chef Dirk Kurbjuweit, der Berliner Büroleiter des „Spiegel“, versteht die Aberkennung nicht. Es sei richtig gewesen, dass Pfister den Preis nicht freiwillig zurückgegeben habe. „Er hat sich nichts vorzuwerfen, und eine Rückgabe wäre das Eingeständnis einer Schuld gewesen. Die Jury wollte sich mit diesem Ansinnen ihres Problems auf eine bequeme und feige Art entledigen. Stattdessen hätte sie Pfister unbedingt zu den Vorwürfen befragen müssen. Man kann nicht jemandem eine Höchststrafe verpassen, ohne ihn gehört zu haben.“

Der „Spiegel“ reagierte in einer Stellungnahme „mit Unverständnis“ auf die Entscheidung der Jury. Pfister, ein „untadeliger Kollege“, habe an keiner Stelle behauptet, selbst in dem Keller gewesen zu sein. Die Fakten der Eingangspassage seien zudem unbestritten. „In der Vergangenheit sind bereits öfter Geschichten mit dem Egon-Erwin-KischPreis ausgezeichnet worden, die szenische Rekonstruktionen enthielten.“ Jede Reportage bestehe nicht nur aus Erlebtem, sondern auch aus Erfragtem und Gelesenem.

Von mehreren Teilnehmern wurde die Jury-Sitzung am Montag als lebhaft, kontrovers, ja aggressiv beschrieben. Mathias Müller von Blumencron, als Mitglied der „Spiegel“-Chefredaktion auch Mitglieder der Nannen-Preis-Jury, soll für den Fall, dass Pfister die Auszeichnung aberkannt werde, mit dem Auszug aus dem Gremium gedroht haben. Es ist bei der Aberkennung geblieben.

Jetzt wird beim „Spiegel“ überlegt, ob und wie weiter auf diese „völlig überzogene Entscheidung“ reagiert werden soll. Die Brandstwiete schäumt.

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