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Medien: „Ich habe die Engel gesehen“

Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle über Fügungen, den 8. Mai 1945, große Männer und hässliche Fotos

Frau Noelle, mögen Sie Berlin?

Sehr. Ich bin mindestens einmal im Monat in der Stadt. Ich wohne allerdings nicht in dem Haus, das mein Großvater Ernst Noelle im Grunewald, Winklerstraße 10, 1902 erbauen ließ und das heute Herrn SchulzEbschbach, einem sehr erfolgreichen Malermeister, gehört. Ich wohne im Hotel, weil ich immer erreichbar sein will. Also sozusagen aus dienstlichen Gründen.

Schreiben Sie immer noch täglich?

Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht wenigstens eine Zeile schreibe. Aber zurzeit erzähle ich eher. Einmal im Monat erzähle ich einem leitenden Mitarbeiter aus dem Allensbacher Institut Geschichten aus meinem Leben. Er hat ein Tonband aufgestellt. Vielleicht taugt das einmal für eine Biografie.

Werden wir Dinge lesen, die bisher nicht bekannt waren?

Sie werden überrascht sein. Vor allem über die 25 komplett irrationalen Erlebnisse, die ich in meinem Leben hatte.

Sie sind abergläubisch.

Die Leitzahl meines Lebens ist die 19. Ich bin zum Beispiel in der Bendlerstraße 19 geboren, ich war als Kind zur Erholung auf Amrum, da wurde in meine Kleider die Zahl 91 eingenäht, eine umgedrehte 19. In Ägypten traf ich bei einer Ausgrabung auf einen Wissenschaftler von der Sorbonne, der Pariser Universität. Dieser Wissenschaftler erzählte mir, er hätte entdeckt und in einem Buch beschrieben, dass die Ägypter alles und jedes in 19 Felder einteilten. Zum Beispiel, wenn sie Skulpturen herstellten. Alles und jedes in 19 Felder einteilen – Zufall?

Die Meinungsforscherin Noelle, die Frau der Zahlen und Fakten, dem Irrationalen verfallen. Das überrascht uns jetzt aber doch.

Freuen Sie sich lieber! Überraschungen sind doch das Schönste für Journalisten.

Wir hätten gedacht, Sie wären dem Konkreten rettungslos verfallen.

Ich habe in meinem Leben derartig viele Fügungen erlebt, dass ich gelernt habe, mich dem zu fügen. Ich meine, ich sei vom Schicksal begünstigt.

Aber Sie hatten viele und eifrige Gegner.

Und wie gegen mich gekämpft worden ist! Ich sehe mich noch gleich, wie ich den Chefredakteur der dpa in Hamburg besuchte. Auf dem Weg zu ihm traf ich drei Kollegen, die mich baten, sie nach dem Gespräch im Souterrain zu besuchen. Sie erzählten mir, dass es die Anweisung gab, von mir nur hässliche Fotos zu archivieren.

Wie haben Sie so viel Zorn auf sich ziehen können?

In Amerika ist mir dasselbe passiert. Es ist einfach so: Immer waren viele Leute wütend auf mich.

Man hat Sie als „Nazi-Journalistin“ bezeichnet.

Ich war in eine Talkshow zu Lea Rosh eingeladen. Lea Rosh sagte als allerersten Satz zu mir: „Dass Sie kein Nazi waren, wissen wir.“ Ich habe mich gefragt, woher sie das so genau wüsste. Drei Tage später wurde ich an der Gepäckausgabe des Münchner Flughafens von einem jungen Mann angesprochen, der mir sagte, er hätte von Lea Rosh den Auftrag bekommen, alles zu lesen, was von mir im Dritten Reich veröffentlicht worden ist. Er hatte nichts Anstößiges gefunden.

Ende der sechziger Jahre geriet ich in die Phase der Studentenunruhen.Ich hatte einen Trick. Wenn es in einer Vorlesung mal wieder wild zuging, sagte ich, schade, dass Sie so viel Krach machen, ich wollte Ihnen gerade einen Witz erzählen. Schon war es ganz ruhig im Saal. Ich hatte mir jeden Morgen vor der Vorlesung drei Witze in die Tasche gesteckt.

Sie haben Feinde reich an Zahl. Was, glauben Sie, wird Ihnen am meisten verübelt?

Vielleicht mein Selbstbewusstsein. Ein Mensch, der so selbstbewusst ist, wie ich es bin, der erregt vielleicht Ärger. Als ich bei der „Frankfurter Zeitung“ anfing, wurde ich vom Chefredakteur an meinen Platz am Konferenztisch geführt. Er sagte: „Sie sind die erste Frau, die an diesem Tisch Platz nimmt.“ Meine Antwort lautete: „Das interessiert mich nicht.“ Da kann man sich schon ärgern.

Sie waren hochgradig selbstbewusst. Woher kommt das?

Ich bin im Alter von fünf Jahren eines Nachts aufgewacht, und mein Zimmer war gleißend hell erleuchtet. Ich sah mich um, konnte die Quelle des Lichts aber weder entdecken noch mir erklären. Am nächsten Morgen fragte ich jeden, ob er in meinem Zimmer gewesen sei. Alle verneinten. Dann beschloss ich: Die Engel haben mich besucht. Ich glaube noch heute an Engel.

Sie kennen Helmut Kohl sehr gut und kannten Konrad Adenauer. Wie war der Alte vom Rhein?

Hin und wieder war ich bei den berühmten Tee-Gesprächen Adenauers dabei. Ich wollte diesen Mann ganz genau betrachten.

Was haben Sie gesehen?

Adenauer hatte eine sehr starke Ausstrahlung.

Was hat Sie mehr interessiert, der Mann oder der Politiker?

Finden Sie das eine schöne Frage?

Vielleicht nicht schön, aber interessant.

Schöner, blauer Himmel heute, finden Sie nicht auch?

Wo waren Sie am 8. Mai 1945?

In Tübingen. Mein jüngster Bruder war Referendar bei Carlo Schmid, der damals am Landgericht Amtsgerichtsrat war. Unsere Familie hatte sich verabredet, sich dort zu treffen. Dort bekam ich ein sehr schönes Zimmer, in dem mich Carlo Schmid oft besucht hat.

Hatten Sie im Mai 1945 eine Idee davon, was kommen sollte?

Erst einmal war da ein Gefühl ungeheurer Erleichterung. Ich war fröhlich. Ich fühlte mich wie erlöst. Bei den Nazis stand ich ja auf der schwarzen Liste. Mir wurde später berichtet, dass Robert Ley gesagt hätte: „Die gehört ins KZ.“

1943 waren Sie bei der „Frankfurter Zeitung“, davor bei der NS-Zeitschrift „Das Reich“. Worüber haben Sie geschrieben?

Anfangs hatte ich nur eine Seite zu betreuen, die „Briefe aus dem Reich“ hieß. Später war ich Leiterin des Ressorts Innenpolitik und habe mich darum unter anderem darum bemüht, Talente zu fördern, möglichst viele jungen Menschen zu finden, die gut schreiben könnten.

Goebbels wollte, dass Sie seine Adjutantin würden.

Ich sollte für ihn arbeiten. Weil er wollte, dass ich für ihn Umfragen machte. Systematische Umfragen gab es ja bis dahin in Deutschland nicht. Ich wurde im Propagandaministerium von einem Mann, Schirrmeister, empfangen, der mir sagte, der Minister möchte, dass Sie für ihn arbeiten. Ich ging nach Hause und fragte mich, was nun? Und was passierte? Ich wurde schwer krank. Damit hatte sich das natürlich erledigt. Fügung.

Wussten Sie von den Verbrechen der Nazis?

Ja, von meinem späteren ersten Mann, Erich Peter Neumann, der als Journalist an der Ostfront war. Ich wusste schon sehr früh, wie es kommen würde. Denn das steht schon bei Nostradamus, von dem ich zu Hause ein ganzes Regal voll habe.

Sie haben Albert Speer drei Tage nach seiner Entlassung aus der Spandauer Haft in seinem Haus in Heidelberg getroffen. Was haben Sie mit ihm besprochen?

Das weiß ich nicht mehr. Obwohl ich eigentlich die Angewohnheit habe, mir alles und jedes aufzuschreiben.

Sie könnten über die Faszination Hitler gesprochen haben.

Das glaube ich kaum. Für mich war das alles abgeschlossen.

Sie waren immer Wissenschaftlerin. Wollten Sie nicht auch mit Hilfe der Demoskopie die Welt verändern, jedenfalls ein bisschen?

Keinesfalls. Die Demoskopie kann schreiben, was sie will, sie ändert doch nichts an den Realitäten. Das glaubt mir niemand. Aber so ist es.

Frau Noelle, Sie kennen Ihren Nostradamus. Was erwartet uns?

Er beschreibt in Zenturien, das sind hundert Vierzeiler, die Zukunft. Man kann nicht alles und jedes daraus lesen, sondern wenn die Ereignisse eingetreten sind, dann erkennt man, ja, das ist es, was Nostradamus in verschlüsselter Weise beschrieben hat. Beispielsweise endet der Nostradamus-Zyklus über Napoleon mit dem Satz: Ein Fass Bienenhonig. Der fett gewordene Napoleon, der sich einen Königsmantel sticken ließ, von oben bis unten besetzt mit goldenen Bienen. So ein merkwürdig eindringliches Bild.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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