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Macht die Tür wieder auf, sagt der Blogger Johnny Haeusler und meint damit, es müsse wieder mehr in Blogs, außerhalb sozialer Netzwerke veröffentlicht werden. Unser Bild zeigt einen Teil des Kunstprojektes "Öffne die Tür für eine andere Welt", die Porta Alpinae am Zeigersattel beim Nebelhorn im Allgäu.

© Imago

Internet und Großunternehmen: Kommt zurück in die Blogs!

Inhalte und Diskussionen verschwinden im Netz immer stärker hinter den Mauern sozialer Netzwerke. Die Folge: Das wirklich öffentliche Internet verarmt, und wir werden abhängig von Großunternehmen.

Nachtrag d. Red. (8.1.2013): Im Netz hat dieser Text bereits eine lebhafte Debatte ausgelöst. Der Autor fasst sie hier in seinem Blog zusammen, mit allen Links zum durchklicken.

Vorbei die Zeiten, in denen für die Öffentlichkeit gedachte Inhalte im öffentlichen Raum – dem Web nämlich – stattfanden, wo sie in den meisten Fällen von allen Internetnutzern gefunden, gesehen, verlinkt und kommentiert werden konnten. Vorbei auch die Zeiten, in denen Repräsentanz im Netz bedeutete, eine eigene Homepage oder einen Blog zu haben, auf denen ein individuelles Archiv der Meinungen, Links und Netzfundstücke der Betreiber entstand.

Heutzutage vergraben wir unsere kurzen Gedanken und Links in der Twitter-Wüste, unauffindbar, nach nur wenigen Tagen. Wir posten längere Artikel bei Google Plus und können nur hoffen, dass Google den Dienst nicht irgendwann genauso einstellt wie viele andere Dienste zuvor. Und wenn wir das tolle Video suchen, das neulich jemand auf Facebook geteilt hat, dann sind wir aufgeschmissen, sobald die Facebook-Timeline es verschluckt hat.

Wenn bit.ly und andere URL-Shortener den Geist aufgeben, funktionieren Millionen von Links im Web nicht mehr. Würde Apple beschließen, auf seinen Betriebssystemen nur noch Apps und keine Web-Browser mehr zuzulassen, hätte das Unternehmen seine Nutzer effektiv aus dem World Wide Web ausgesperrt und ein eigenes Netz kreiert. Doch Apps lassen sich nicht untereinander verlinken, und für einzelne Beiträge in News- oder Blog-Apps lassen sich keine Browser-Lesezeichen ablegen. Und wenn Facebook den automatischen RSS-Import von Blog-Beiträgen unterbindet und gleichzeitig privilegierten Unternehmen neue Möglichkeiten gibt, dann ist das Web, wie wir es kannten, tot.

Es wird also Zeit, dass wir uns – und damit meine ich alle Internetnutzer, deren Nutzungsverhalten über den gelegentlichen Online-Einkauf von Waren hinausgeht – das Web zurückholen. Nicht, indem die Nerds unter uns die Zeit zurückdrehen und von Früher™ schwadronieren. Und auch nicht, indem wir die genannten gewinnorientierten Unternehmen verteufeln, sie boykottieren und ignorieren. Ganz im Gegenteil: Wir sollten von ihnen lernen. Denn sie alle sind nicht deshalb so erfolgreich, weil ihre Nutzer dummes Klickvieh sind, sondern weil sie auf die Bedürfnisse vieler Internetnutzer reagiert und Dienste des Netzes auch für diejenigen leicht nutzbar gemacht haben, die sich weder mit Blog-Systemen und RSS noch mit Trackbacks beschäftigen wollen.

Während wir als Blogger, Podcaster, Programmierer und Web-Designer unsere eigene elitäre Geek-Suppe köchelten, immer mehr Gewürze hineinstreuten, jeden auslachten, der den Fraß nicht probieren wollte, und (fast) jeden mit Missachtung straften, der sich um die Monetarisierung dieser Kochkunst Gedanken machte, schoben sich ein paar kalifornische „Rich Kids“ die Milliarden zu, schauten sich die Bedürfnisse der Durchschnittsnutzer an und bauten Onlinedienste, die ohne jede technische Vorkenntnis funktionieren und Spaß machen. Dass die meisten dieser Dienste die Nutzer quasi rechtlos machen und nebenbei noch jede Menge Einnahmequellen auf Basis der Aktivitäten der Nutzer eingebaut haben, ist ein Nebeneffekt, von dem allein die Betreiber der Dienste profitieren.

Google hat die Währung des Webs, Links nämlich, mit seinen Angeboten für Werbetreibende clever in Bares verwandelt. Twitter hat erkannt, dass es für einen coolen Link keinen Blogeintrag braucht. Facebook war bewusst, dass es nur eine Minute dauern darf, sich das eigene Netzwohnzimmer einzurichten. Und Apple hat für die um Viren, Spam und die dunkleren Seiten der Netzwelt besorgten Nutzer ein eigenes Ökosystem der Online-Unterhaltung geschaffen und nebenbei noch für Rechtssicherheit sowie Einnahmequellen für Coder und Rechteinhaber gesorgt. Pinterest weiß, dass ein Bild manchmal mehr sagt als tausend Worte. Und sie alle zusammen haben vor allem frühzeitig auf das mobile Netz gesetzt. So wächst eine Generation von Netznutzern heran, die keine E-Mails mehr benutzt (sondern kommerzielle Dienste wie Skype, WhatsApp oder Facebook-Nachrichten) und die kaum noch weiß, was ein Web-Link ist (weil geteilte Inhalte auf Facebook direkt angezeigt werden und weitergegeben werden können – innerhalb des Systems).

Es gibt ein paar einfache Dinge, die wir ändern können

Ich trete an dieser Stelle mal kurz auf die Bremse und gebe zu, dass ich fast alle der genannten Dienste aus dem gleichen Grund wie die meisten anderen nutze: Ich bin faul. Einen Gedanken per Twitter via Smartphone zu verschicken dauert nur Sekunden, ein Eintrag auf meinem Blog „Spreeblick“ würde mich mindestens einige Minuten kosten, denn ein gut funktionierender mobiler Zugriff auf WordPress ist mir nicht bekannt. Ich mag es, in den Kommentaren bei Facebook nachsehen zu können, wer hinter einem klugen Satz steht. Und Instagram und Pinterest machen mir einfach Spaß. Trotzdem ärgert es mich, dass das Web immer mehr in die Hände von wenigen Unternehmern gerät – und damit deren Willkür ausgesetzt wird.

Wenn ich früher einen Artikel wie diesen hier auf Spreeblick veröffentlichte, stießen nach und nach ein paar andere Blogger darauf, verlinkten ihn vielleicht, und im besten Fall gab es eine Diskussion, die man auch Jahre später noch nachlesen konnte, direkt unter dem Artikel. Veröffentliche ich heute etwas, stoßen die meisten Leserinnen und Leser erst dann darauf, wenn ich den Link per Twitter und Facebook weitergebe, wo der Inhalt auch oft diskutiert wird. Die Debatte aber – die Kommentare zu einem Artikel und meine Antworten darauf – teilt sich auf die diversen Kanäle auf, sie zerfasert und verschwindet schnell im Nirwana der sozialen Netzwerke. Noch schlimmer: Wenn auf einen Tweet verschiedene interessante Antworten folgen, sind diese nach kurzer Zeit verloren, eine Dokumentation ist beinahe unmöglich. Und das ist Mist.

Das Web sammelt Wissen und dokumentiert Menschheitskultur. Es ist für jeden zugänglich, der einen Internetanschluss hat. Wenn dieses Wissen und diese Dokumentation jedoch immer mehr hinter verschlossenen Türen stattfindet, in Räumen, die von wenigen kontrolliert werden, die nur diejenigen eintreten lassen, die zunächst ihre Daten hinterlassen und ihre Rechte abgeben, dann wird das Web verkümmern. Es wird zu einem obskuren Nerd-Spielplatz werden oder ganz sterben.

Es lässt sich jedoch eine Menge tun, um das zu verhindern. Wir können (und das geht zuallererst an mich selbst) wieder mehr bloggen, auch wenn es sich nur um einen kleinen Link handelt, den man postet. Wir können (und auch das geht zuallererst an mich selbst) wieder mehr Blogs verlinken und wieder mehr auf Blogs kommentieren. Und wir können (und das geht zuallererst an diejenigen, die programmieren können) uns kommerzielle Dienste ansehen und von ihnen lernen: mobile Apps, die uns die Arbeit erleichtern; Blog-Designs, die klar verständlich auch für Erstbesucher sind; Tools, welche die Vernetzung unter Blogs weiter verbessern; Werkzeuge zum Abonnieren von Blogs, die keine Auseinandersetzung mit RSS-Readern brauchen (Mail-Abos zum Beispiel dürften für die meisten Nutzer einfacher sein); vielleicht sogar Bewertungssysteme ähnlich dem „Like-Button“, die systemübergreifend funktionieren. Mir und den Leserinnen und Lesern dieser Zeilen fällt sicher noch viel mehr ein, das man tun könnte, um das offene und nicht von Großunternehmen bestimmte Web weiter voranzutreiben.

Johnny Haeusler betreibt das Blog „Spreeblick“. Dort ist auch dieser Text zuerst erschienen. Er ist Mitorganisator der Web-2.0-Konferenz „Republica“. Er lebt in Berlin.

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