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"Tagesschau"-Sprecherin Judith Rakers bekommt von Sonntag an Beine.

© dpa

Veränderungen bei der "Tagesschau": "Zuschauer werden die Beine des Sprechers sehen"

Am Sonntag sind die "Tagesschau"-Sprecher erstmals seit 63 Jahren von Kopf bis Fuß zu sehen. Interview mit dem "Tagesschau"-Chef Kai Gniffke

Herr Gniffke, habe ich die Zeichen im Ersten und in den sozialen Netzwerken richtig gedeutet: Die „Tagesschau“ steht vor einer Revolution? Im Video tanzen Judith Rakers, Jan Hofer und die übrigen Sprecherinnen und Sprecher ja schon Cancan.

Die „Tagesschau“ ist kein Ort für Revolutionen. Das vertraute Format bleibt, was es ist. Aber es wird am kommenden Sonntag eine behutsame Anpassung am Ende der Sendung geben. Erstmals seit 63 Jahren werden die Zuschauer die Beine des „Tagesschau“-Sprechers sehen. Das ist eigentlich eine kleine Veränderung, aber für die „Tagesschau“ sind auch kleine Schritte eine große Sache. Und es wird daran deutlich, dass die „Tagesschau“ sich über die vielen Jahre optisch und inhaltlich stets weiterentwickelt.

Das Video spielt um den Begriff „Beinfreiheit“. Ist das wortwörtlich zu nehmen, sprich die Sprecherinnen und Sprecher der „Tagesschau“ bekommen einen Unterleib?

So ist es. Wenn die Sprecherinnen und Sprecher nach dem Wetterbericht die Schwerpunkte der „Tagesthemen“ ankündigen, werden sie seitlich am Tisch stehen, so dass wir die Themenankündigung mit großformatigen Fotos auf der Medienwand illustrieren können. Dann folgt der Abspann und die Präsentatoren sind von Kopf bis Fuß zu sehen.

Was bringt die Verantwortlichen von ARD-aktuell auf die Idee, dass das Konzept der zuschauerstärksten Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen geändert werden muss?

Keine Sorge, das Konzept bleibt wie es ist. Bei durchschnittlich neun Millionen Zuschauern jeden Abend gilt das Motto „never change a winnig team“. Das heißt aber nicht, dass wir nicht von Zeit zu Zeit an der Sendung polieren.

Kai Gniffke, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell, wo "Tagesschau" und "Tagesthemen" produziert werden.
Kai Gniffke, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell, wo "Tagesschau" und "Tagesthemen" produziert werden.

© dpa

Was werden die einzelnen Schritte sein?

Am kommenden Sonntag kommt die kleine kosmetische Veränderung. Damit einher geht die bereits eingeleitete inhaltliche Entwicklung zu mehr Erklärung und Vertiefung in der „Tagesschau“.

Heißt: Inhalt geht vor Optik?

Es wäre zu kurz gesprungen, wenn wir nur an die Optik denken und die Schlusseinstellung auf den Prüfstand stellen. Im Gegenteil, am wichtigsten ist uns die behutsame inhaltliche Entwicklung von der Faktenvermittlung hin zu noch mehr Erklärung. Ich bin überzeugt, dass unsere Arbeit als Fakten-Checker und Erklärer von komplexen Zusammenhängen künftig noch wichtiger wird. Das heißt, dass wir vielleicht ein oder zwei Themen in der Sendung weglassen und dafür die verbleibenden Themen noch besser aufbereiten. Sicher wird der Grafik- Einsatz noch wichtiger.

Ist das Publikum um seine Meinung gefragt worden?

Man sollte mit Veränderungen nicht warten, bis das Publikum beginnt zu pfeifen. Die „Tagesschau“ legt in der Akzeptanz 2015 zum zweiten Mal in Folge zu. Umso mehr möchten wir diesen Trend mit kleinen Verbesserungen verstärken.

Die "Beinfreiheit" gibt es nur am Schluss der "Tagesschau"

Fließen die Erfahrungen mit den liquiden „Tagesthemen“ mit ein, in denen die Moderatoren quasi durch die Nachrichtenwelten wandern?

Das erscheint uns im Gegensatz zu einer Magazinsendung bei der „Tagesschau“ nicht angebracht. Während der Sendung bleibt der „Tagesschau-Anchor“ am Tisch, aber am Ende der Sendung gilt die neue Beinfreiheit.

Werden alle Ausgaben der „Tagesschau“ betroffen sein oder beschränkt sich die „Aktion Beinfreiheit“ auf die 20-Uhr-Ausgabe?

Im Moment konzentrieren wir uns auf unser Flaggschiff. Daneben wollen wir den Menschen verstärkt auch im Web Informationen in Form von Videos anbieten. Wir möchten den Beitragszahlern „Tagesschau“-Nachrichten dort anbieten, wo sie nachgefragt werden.

Geworben wird mit dem Slogan „Der ganze Mensch – die ganze Wahrheit: Tagesschau“. Was war die Nachrichtensendung denn bisher – nur die halbe Wahrheit?

Den Slogan haben wir mit einem Augenzwinkern gemacht. Ebenso wenig wie bislang halbe Menschen die „Tagesschau“ präsentiert haben, nehmen wir für uns in Anspruch, immer die ganze Wahrheit zu kennen. Das ist ein großes Ziel und wir arbeiten jeden Tag hart daran, diesem Ziel zumindest nahezukommen.

Ist das Intro der Änderungen, sind also die Hosenbeine im Studio und das Tanzvideo im Netz der gewollten Seriosität der „Tagesschau“ noch angemessen?

Die Menschen wissen zu differenzieren zwischen der „Tagesschau“ und unserem Video im Netz, das zum Schmunzeln anregt. Ja, wir wollen zeigen, dass auch eine seriöse Nachrichtensendung sich nicht immer so ernst nimmt. Der „Auftritt“ des halben Menschen im Studio war eine einmalige Geschichte, hat keine Sekunde Sendezeit gekostet und keine Silbe Text. Deshalb ist es legitim, die Zuschauer auch mal so auf anstehende Veränderungen einzustimmen. Andere Medien tun das auch. Dass sogar die Hauptnachrichtensendung in Österreich, also „ZIB 2“, den halben Studiogast übernommen hat, zeigt doch, dass die Leute offenbar Spaß an einer solchen kleinen Überraschung haben.

Das Interview führte Joachim Huber.

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