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Medienkritik: Macht die Glotze aus!

Die mediale Landschaft ist versprengt und fragmentarisiert. Viel zu lange haben die Verantwortlichen der TV-Sender diese Entwicklung missachtet. Jetzt will niemand mehr sehen, was sie vorgeben. Warum Internet das bessere Fernsehen ist - Teil Drei einer Qualitätsdebatte.

Irgendwann blieb der Fernseher einfach aus. Nicht, dass dies eine bewusste Entscheidung gewesen ist. Wir wollten uns nicht von der Manipulation dieser Unterhaltungsmaschine befreien. Wir drohten dem schwarzen Kasten auch nicht wutentbrannt mit der Faust, weil er einen schon wieder auf Gebührenkosten mit abgrundtiefer Langeweile nervte. Wir verloren einfach das Interesse.

Tatsächlich wunderte sich der Medienredakteur des Tagesspiegels, Joachim Huber, vor zwei Wochen auf diesen Seiten nicht ganz zu Unrecht, wie das kommen konnte. Ja, auch wir sind noch mit dem Fernsehen aufgewachsen. Aber er irrt sich, wenn er meint, wir blieben teilnahmslos davor sitzen und würden Piepmatz Pilawa ertragen. Matthias Kalle hat ja im letzten Beitrag für die „Generation Glotze“ gut beschrieben, wie die Karriere verschiedener aufgeweckter Persönlichkeiten im Musikfernsehen verheißungsvoll startete, um anschließend von den großen Programmanstalten gekonnt beendet zu werden. Ich wiederhole noch mal: Charlotte Roche. Christian Ulmen. Sarah Kuttner und vor allem ihr Sidekick Sven Schumacher. Und so weiter und so fort.

Aber auch sonst war man im deutschen Fernsehen nicht sehr experimentierfreudig. Woanders liefen Serien zur neuen kulturellen Hochform auf. „Lost“ reichte dem Kinofilm das Wasser, der schwarze Humor des „Dr. House“ erfand die Krankenhaus-Serie neu und mit „The Wire“ legte der amerikanische Fernsehsender HBO schließlich eine Polizeiserie vor, die dem Lesen eines naturalistischen Émile-Zola-Romans in nichts nachsteht. Die deutsche Serie dagegen erkannte man im Fernsehen umgehend an ihrer eigenartigen, gerne leicht brauntonigen Beleuchtung, so dass man in Sekundenschnelle wegzappen konnte.

Eines Abends machten wir allerdings nicht mal mehr das. Wir standen vom Sofa auf und gingen an unseren Schreibtisch zurück. Dort legten wir eine DVD in den Computer, die genau an die Stelle sprang, die wir zuletzt gesehen hatten. Irgendwann holten wir dann den Computer ganz hinüber ins Wohnzimmer – das war der Moment, in dem dann der Fernseher wutentbrannt hinter das Regal kippte. Und da verstaubt er bis heute.

Also lieber Herr Huber, ein psychosoziales Einverständnis zwischen uns und dem scheußlichen Programm gibt es kein Stück. Wenn heute keine Generation wütend an die Mattscheibe klopft und Einlass fordert, hat das einen Grund: Wir toben uns woanders aus. Über das Fernsehen ärgern wir uns nicht lang. Gut, kurz waren wir ein wenig wehmütig. Aber warum sollen wir uns übergangen und unterdrückt fühlen, wenn unser Computer die viel besseren Angebote macht? Warum sollen wir uns anstrengen, uns gegen eine Massendurchschnittsbiene wie Pilawa durchzusetzen, wenn wir uns im Internet viel niveauvoller austoben können? Unsere Blogs immer mehr Leser bekommen? Wir Tastatur, Digitalfotos oder Filmkamera in die Hand nehmen und zusammen mit Freunden Diskussionen zu Themen verfolgen, die uns interessieren? Das gängige TV-Programm führt vielleicht dazu, dass Sie uns für völlig debil oder spießig halten. Nur: Wir waren dann mal weg.

Im Grunde ist die Ära des Fernsehens vorbei. Die Zeiten sind gesegnet, in denen sich die Nation vor der Glotze versammelte, wie im 19. Jahrhundert die Familie um das abendlich wärmende Kaminfeuer. Die mediale Landschaft ist versprengt, fragmentarisiert. Und viel zu lange haben die Fernsehverantwortlichen diese Entwicklung missachtet. Sie haben gedacht, wenn sie ihr Programm dumpf auf Masse ausrichten, fände die sich auch ein. Aber die Masse machte da nicht mit. Dass man eines Tages mal zu besseren Angeboten ausweichen kann, damit haben die Programmdirektoren nicht gerechnet. Pech gehabt. Programmdiktat gehört heute der Vergangenheit an.

Allerdings könnte man uns noch kriegen – ab mit den Inhalten ins Netz. Die ARD Online Studie 2008 bestätigt die Neugierde gegenüber multimedialen Anwendungen. 55 Prozent aller erwachsenen Internetnutzer (10 Prozent mehr als im Vorjahr) rufen Videos und TV-Inhalte über Videoportale und Mediatheken auf – live oder zeitversetzt. Bei den 14- bis 29-Jährigen sind es schon 84 Prozent. Leider steht uns das alte Leitmedium Fernsehen genau bei dieser Nutzung im Weg: Während sich in Deutschland noch viele Sender sträuben, ihr Portfolio frei zugänglich und kostenlos zu veröffentlichen, spielen die USA wieder den Vorreiter. Dort präsentieren TV-Sender Serien und Talkshows wie „The Daily Show“ bereits selbstverständlich im Netz – und auch das Weiße Haus hat auf Youtube einen Sendekanal.

Neben einem großen freien Angebot kann man sich sogar wieder der traditionellen Gemeinschaft des typischen Samstag-Fernseh-Abends annähern, als die Familie gemeinsam mit dem Rest von halb Deutschland vor dem Fernseher saß. Und das geht so: Ist man Mitglied des sozialen Netzwerkes Facebook, bieten Fernsehsender die Möglichkeit, was man Online sieht live in einer Art Chat zu kommentieren. Allen Bekannten, die online sind, werden diese Kommentare angezeigt – und oft schalten sie zu und diskutieren dann wild durcheinander.

Doch halt! Wenn wir jetzt verdächtigt werden, dass mit diesen medialen Ersatztreffen unsere soziale Fähigkeiten verkümmern, weil wir wichtige Konflikte nicht mehr in der echten Welt austragen, beispielsweise wie den, wer die Fernbedienung halten darf, der lese bitte weiter. Wir würden zwar laut der JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes lieber auf unseren Fernseher verzichten, als auf Computer oder Internet, aber keine Angst, wir tauchen mit ihm nicht in eine rein virtuelle Welt ab. Computer, Internet und Mobiltelefone nutzen wir nur als kommunikative Stütze von Freundschaften. Da können wir die Generation Kukident beruhigen: Mit 91 Prozent liegt die reale Verabredung weit vor Online-Treffen (71 Prozent).

Also, liebe Generation Kukident. Auch ihr müsst nicht einsam vor der schlechten Glotze hocken. Es gibt Hoffnung. Millionen haben es geschafft, der Masse zu entkommen. Lasst den Kasten doch aus, schmeißt das Internet an und verabredet euch mit Freunden. Ihr werdet erstaunt sein, was man von denen alles erfährt.

Mercedes Bunz, 37, ist vor zehn Jahren vom Fernseher zum Internet umgestiegen und hat für diesen Text noch einmal den Staub von ihrem Fernseher geblasen – zu spät!

Nadine Lantzsch, 23, ist mit dem Netz aufgewachsen und froh darüber, wertvollen Wohnraum nicht mit einem TV-Gerät verschwenden zu müssen.

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