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Generalbundesanwalt Harald Range (Mitte)

© dpa/Ralf Stockhoff

Update

Nach Verdacht auf Landesverrat: Bundesanwalt setzt Ermittlungen gegen netzpolitik.org aus

Die Ermittlungen gegen netzpolitik.org werden stark kritisiert. Nun will Generalbundesanwalt Range erstmal abwarten. Die Regierung hatte Kenntnis von der Anzeige.

Im Verfahren wegen Landesverrats gegen das Internetportal "netzpolitik.org" will Harald Range die Ermittlungen vorerst ruhen lassen, berichtet FAZ.net. Der Generalbundesanwalt sagte, seine Behörde verzichte mit Blick auf das hohe Gut der Pressefreiheit vorerst auf nach der Strafprozessordnung mögliche Exekutivmaßnahmen. In dem Ermittlungsverfahren sei zunächst zu klären gewesen, ob es sich bei den Veröffentlichungen um die Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses handelt, erklärte Range. Dazu werde ein externes Sachverständigengutachten eingeholt. Dies konnte laut Range nur in einem förmlichen Ermittlungsverfahren geschehen. „Bis zum Eingang des Gutachtens wird mit den Ermittlungen innegehalten“, erklärte er.

Für den Betreiber von "Netzpolitik", Markus Beckedahl, ist die Aussetzung kein Grund zur Beruhigung. "Das ist leider gar kein Grund zur Entwarnung. Es irritiert eher, dass erst die Ermittlung gestartet und die Öffentlichkeit informiert wird, um dann ein Gutachten einzuholen", sagte er dem Tagesspiegel. "Das bestätigt eher unsere These, dass es sich bei den Ermittlungen um einen Einschüchterungsversuch handelt."

Landesverräter? Markus Beckedahl von netzpolitik.org
Landesverräter? Wohl doch nicht. Markus Beckedahl von netzpolitik.org

© dpa

Laut einem Bericht von heute.de wusste das Bundesinnenministerium über die Anzeige des Verfassungschutzpräsidenten Bescheid. Demnach informierte Hans-Georg Maaßen den zuständigen Abteilungsleiter sowie die Staatssekretärin im Ministerium. Diese hielten die Information offenbar für politisch so brisant, dass sie ihren Minister, Thomas de Maizière (CDU), nicht darüber informierten, so der Bericht weiter. De Maizière jedenfalls habe von der Anzeige keine Kenntnis gehabt, sagte ein Sprecher heute.de.

Schaar: "Das hat das Potential, das einen Minister das Amt kosten könnte."

Für den ehemaligen Datenschutzbeauftragten Peter Schaar trägt das Innenministerium die politische Verantwortung für die Ermittlungen gegen die Journalisten des Internetblogs netzpolitik.org. "Ich gehe davon aus, dass sich Herr Maaßen im Ministerium grünes Licht geholt hat", sagte er heute.de. Auch für Thomas de Maizière könne es jetzt eng werden, so Schaar: "Das hat das Potential, das einen Minister das Amt kosten könnte."

Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts stießen zuvor auf Kritik. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne), sprach im „Kölner Stadt-Anzeiger“ von einer Blamage für den Rechtsstaat. Beckedahl nannte die Ermittlungen absurd. Man habe mit der Veröffentlichung von internen Dokumenten des Verfassungsschutzes lediglich eine gesellschaftliche Debatte über den Ausbau der Netzüberwachung anstoßen wollen, sagte er dem Deutschlandfunk am Freitagmorgen. Beckedahl fügte hinzu, er betrachte die Ermittlungen als einen Warnschuss der Bundesanwaltschaft gegen alle Quellen von Journalisten. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sprach von einem Angriff auf die Pressefreiheit.

Der Vorwurf: Landesverrat

Generalbundesanwalt Harald Range ermittelte nach einer Strafanzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen Beckedahl und den Journalisten André Meister sowie gegen deren unbekannte Informanten.

Bereits Anfang Juli hatte Beckedahl mitgeteilt, dass der Generalbundesanwalt möglicherweise gegen die Quellen von netzpolitik.org ermittelt. Es ging um Quellen, die netzpolitik.org Haushaltspläne des Verfassungsschutzes zugeschickt haben. In zwei Artikel hatten Beckedahl & Co. im Frühjahr aufgedeckt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Netzüberwachung massiv ausbaut und dafür viele Steuergelder in Personal und Rastersysteme steckt. Nun wurden Andre Meister und Markus Beckedahl von netzpolitik.org tatsächlich darüber in Kenntnis gesetzt, dass offiziell Ermittlungen "gegen uns und Unbekannt" laufen. Der Vorwurf: Landesverrat.

"Wir sollen als Mittäter haftbar gemacht werden"

Auf netzpolitik.org schreibt Meister: "Wir haben Post vom Generalbundesanwalt erhalten. Darin bestätigt er die Ermittlungen gegen Markus, mich und Unbekannt „wegen Verdachts des Landesverrats“ nach § 94 Strafgesetzbuch:

Wir sind keine Zeugen, sondern sollen als Mittäter ebenso haftbar gemacht werden wie unsere unbekannte(n) Quelle(n). Wir sehen das als einen Angriff auf die Pressefreiheit! Es ist lange her, dass in Deutschland so gegen Journalisten und ihre Quellen vorgegangen wurde."

Künast wirft Generalbundesanwalt Missverhältnis vor

Die Grünen-Politikerin Künast warf Range ein Missverhältnis vor. „Auf eine Anzeige hin prüft er nicht lange. Da geht das zack, zack“, sagte Künast. Da werde auch nicht die Verhältnismäßigkeit abgewogen. Auf der anderen Seite gebe es „ein massenhaftes Ausspähen und Abhören“ durch den US-Geheimdienst NSA. „Und da passiert gar nichts. Das erbost mich und ist rechtsstaatlich eine Blamage“, sagte die Bundestagsabgeordnete und fügte mit Blick auf die NSA-Abhörmaßnahmen hinzu: „Wenn es keinen investigativen Journalismus gäbe, dann wüssten wir gar nichts.“

Schäfer-Gümbel zeigt sich irritiert über Range

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sagte dem Tagesspiegel: „Ich bin irritiert über den Generalbundesanwalt. Einerseits sieht er keinen Anlass, gegen das massenhafte Ausspähen deutscher Stellen durch den US-Geheimdienst NSA zu ermitteln. Andererseits nimmt er jetzt Journalisten ins Visier." Fast dränge sich der Verdacht auf, es gehe  Range darum, mögliche künftige Whistleblower abzuschrecken. „Das Vorgehen von Generalbundeswalt Harald Range halte ich deshalb für völlig unverhältnismäßig.“

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Der Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“, Georg Mascolo, sagte dem Radiosender MDR Info am Freitag, es gebe zwar ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Staates. Doch „wenn Journalisten Täter werden, wenn sie befürchten müssen, sich durch die Veröffentlichung von bestimmten Informationen strafbar zu machen, dann ist das Risiko für Journalismus ungeheuer hoch“. Zudem habe der Vorwurf des Landesverrats in Deutschland eine unselige Tradition. Die Generalbundesanwaltschaft sei in den vergangenen Jahrzehnten mit solchen Vorwürfen selbst bei heikleren Geschichten zurückhaltend umgegangen.

Die Journalisten des Rechercheportals Correctiv.org haben derweil ebenfalls die geheimen Dokumente veröffentlicht. "Der Angriff auf Beckedahl und Meister ist ein Angriff auf alle Medien", sagte Correctiv-Chefredakteur Markus Grill. Deshalb zeige sich Correctiv.org solidarisch - und veröffentlicht gleich in dem Beitrag ebenfalls alle geheimen Dokumente, deretwegen die beiden verfolgt werden. "Und wir werden noch heute Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen uns selbst stellen", teilte Grill mit. "Wir verbinden damit die Hoffnung, dass viele Redaktionen ebenfalls die Dokumente veröffentlichen und ebenfalls Strafanzeige gegen sich stellen." Je mehr Redaktionen sich beteiligen würden, desto schwieriger sei es für den Generalbundesanwalt, die Ermittlungen gegen Beckedahl und Meister durchzuziehen. "Soll er doch gegen uns alle ermitteln! Wir alle sind netzpolitik.org!".

Netzpolitik.org will sich nicht einschüchtern lassen

Netzpolitik.org wolle sich nicht einschüchtern lassen, betonte Meister. Man finanziere sich über freiwillige Spenden. "Mit Eurer Unterstützung können wir noch viel mehr aufdecken und uns rechtlich besser wappnen."

Und weist daraufhin, dass das Portal am nächsten Mittwoch eine Auszeichnung als "Ausgezeichneter Ort" von Deutschland - Land der Ideen erhält, einer „gemeinsamen Standortinitiative der Bundesregierung und der deutschen Industrie“ – Schirmherr ist Bundespräsident Joachim Gauck.

Netzpolitik.org ist einer der bekanntesten deutschsprachigen Blogs und wurde 2014 mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Die Blogger setzen sich für digitale Bürgerrechte ein. Sie berichten unter anderem in Echtzeit aus dem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Der Fall erinnert an die "Spiegel-Affäre" 1962

Der Fall weckt Erinnerungen an die „Spiegel-Affäre“. Das Nachrichtenmagazin hatte 1962 unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ Informationen veröffentlicht, wonach die Bundeswehr für einen Atomkrieg nicht gerüstet sei. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) schäumte, gegen das Magazin wurde wegen Landesverrats ermittelt. Der Bundesgerichtshof lehnte ein Verfahren schließlich ab, und der „Spiegel“ ging gestärkt aus der Affäre hervor. (mit dpa/epd)

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