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Wer ist, zum Beispiel, Jörg Kachelmann? Bislang haben 165 Autoren am Wikipedia-Artikel über den Moderator mitgeschrieben. Es gab 396 Überarbeitungen, 19 Quellenangaben und diverse Löschaktionen. Das ist nicht unbedingt zuverlässig, sagt Wiki-Watch. Foto: dpa

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Neues Online-Projekt: Wiki-Watch.de: Unter der Lupe

Ein neues Online-Projekt und neue Fragen zu Sinn und Unsinn der Netz-Enzyklopädie Wikipedia.

Kernenergie beispielsweise. Ein heißes Thema, vor allem in dieser Woche, nachdem die schwarz-gelbe Koalition die Verlängerung der Akw-Laufzeiten beschlossen hat. Über das Für und Wider wurde viel debattiert. Wer sich als Laie auf den Stand der Dinge bringen viel, schlägt gerne, schnell und vorbehaltlos beim Online-Lexikon Wikipedia nach, der mit 1,1 Millionen deutschsprachigen Artikeln wichtigsten Wissensressource. Aber inwieweit entsprechen die Beiträge dort, die ja von den Nutzern selbst fortlaufend geschrieben werden, wirklich der Wahrheit? Wie zuverlässig sind diese Artikel, wie transparent? Eine Unsicherheit, die die Enzyklopädie seit dem Deutschland-Start 2001 begleitet und die nun das Onlineprojekt Wiki-Watch auf den Plan gerufen hat.

Seit ein paar Tagen ist Wiki-Watch.de im Netz, derzeit als Testversion. Die von Medienrechtlern der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) entwickelte Plattform soll eine Plausibilitätsprüfung einzelner deutschsprachiger Artikel für jeden Nutzer ermöglichen und Hintergrundinformationen über Wikipedia liefern. Manche halten das für überflüssig. Wikipedia-Experten können die Plausibilität eines Artikels aufgrund der auf der Website nachzuvollziehenden Entstehungsgeschichte gut einschätzen. Unerfahrenen Nutzern hingegen soll Wiki-Watch eine erste Orientierung über den Wert eines Eintrags liefern. Jener eben zum Thema „Kernenergie“ bekommt von Wiki-Watch fünf Sterne verliehen, das hieße, zumindest in der Logik von Wiki-Watch: Bestnote, eine zuverlässige Quelle zur Wissensgewinnung.

Kein Grund zum Besserwissen also, anders als zum Beispiel beim Wikipedia-Artikel zu „Jörg Kachelmann“, dem aus Wiki-Watch-Sicht mit Skepsis zu begegnen ist, wegen diverser Löschaktionen unter angemeldeten Editoren. Das heißt, sagt Wiki-Watch-Mitinitiator Wolfgang Stock, der eine will nicht stehen lassen, was ein Vorgänger geschrieben hat. „Wir empfinden es als eines der wichtigen Angebote von Wiki-Watch, dass wir den Leser davor warnen, wenn ein Artikel nicht unumstritten ist.“ Die Bewertung der Artikel erfolge bei Wiki-Watch nach rein statistischen Kriterien. Viele unterschiedliche Autoren, häufige Überarbeitungen und Bezüge zu anderen Quellen – das alles führt zu einer guten bis sehr guten Einschätzung durch Wiki-Watch.

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So viel Ehrgeiz zu einem so gefragten Internetportal – das ruft Kritiker auf den Plan. Wikipedia habe einen unglaublichen Bekanntheitsgrad, aber vielen ist immer noch nicht bewusst, dass jeder mitschreiben kann. Es sei gut, wenn Wikipedia transparenter wird, sagt Netz-Experte Markus Beckedahl. „Ich bin im Moment aber skeptisch, ob Wiki-Watch dafür eine geeignete Instanz ist.“

Dem hält Wolfgang Stock entgegen, dass das Ziel von Wiki-Watch nicht sei, die Wikipedia-Lemmata zu verbessern, auch wenn das gelegentlich gemacht werden soll. „Unser Ziel ist, dem Nutzer Hinweise auf die Zuverlässigkeit des konkret nachgefragten Lemmas zu geben.“ Natürlich könne die automatische Bewertung eine menschliche nicht ersetzen, aber Hinweise dafür liefern. Alle Mitarbeiter bei Wiki-Watch seien aktive Editoren, das heißt, selbst an der Verfertigung der Artikel beteiligt.

Abgesehen davon, dass es ein ähnliches Unterfangen für den Schulunterricht mit dem Berner Hochschulprojekt wikibu.ch schon gibt, diejenigen, die auf dem Prüfstand stehen, sind von Wiki-Watch nicht begeistert: die Administratoren. Sie sind als – von angemeldeten und aktiven Wikipedia-Nutzern – gewählte Vertreter hauptverantwortlich für Inhalte bei Wikipedia. Der Artikel zu Wiki-Watch auf Wikipedia wurde von den Administratoren gelöscht: Das Thema sei irrelevant. Dafür wird in Blogs, auch bei Wiki-Watch, über Sinn und Unsinn eines solchen Projektes diskutiert. Die Vorwürfe reichen von „selbsternannten Kritikern“ bis zu „Zensoren“. Blogger „Thorsten“ schreibt bei netzpolitik.org: „Wirklich schlauer werde ich dadurch nicht – was spricht hier für oder gegen die Plausibilität des Artikels?“

Da ist es aufschlussreicher, sich einer Umfrage über die Motivation und den Hintergrund der 281 Administratoren der deutschen Wikipedia zuzuwenden, die Wiki-Watch durchgeführt hat. An der anonymen Befragung sollen mehr als zwanzig Prozent der Männer und Frauen „an den Schaltknöpfen“ der Online-Enzyklopädie teilgenommen haben, mit zwei interessanten Ergebnissen. Politisch sind die meisten Administratoren linksliberal mit grünen Zügen. Und: Die Diskussionskultur bei Wikipedia sei „unterirdisch“. Oft würden andere Editoren beleidigt. „Wieder mehr Freiheit, weniger Admin-Willkür“, heißt es über die „feindliche Atmosphäre“ innerhalb von Wikipedia. 38 Prozent der langjährigen Administratoren, die an der Umfrage teilnahmen, macht ihre Arbeit keinen Spaß mehr.

Und solche Menschen sollen entscheiden, was relevant ist. Aber Objektivität hin, letzte Wahrheit her, Wikipedia wird, auch mit Wiki-Watch, für Millionen Menschen weiter erste Quelle bleiben, um sich einen Überblick zu verschaffen.

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