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Wo Zuschauer Kunden werden: Leoparden im Nachthemd

Teleshopping-Sender wie HSE 24 boomen. Das ist kein Zufall, das ist Strategie. Jede Sendeminute muss 1000 Euro Umsatz gemacht werden.

Küsschen links, Küsschen rechts, Moderatorin Andrea Lamar und „Wäscheexpertin“ Heidi Ramskugler begrüßen sich wie Freundinnen, dann beginnt die Show. Wie wild streichen sie über Nachthemden und Bademäntel, Lamar schreit: „Ich würde mir wünschen, dass es Fühlfernsehen gäbe.“ Sie krault ein Leopardenteil. Dann ist Model Sissi groß im Bild, sie trägt einen Hausanzug in Leopardenoptik, posiert, lächelt, alles live. „49,99 Euro“, das ist der HSE-24-Preis. „Sie sparen fünf Euro.“

Home Shopping Europe (HSE) 24 ist erfolgreich. Manche mögen den Teleshopping-Sender belächeln, aber irgendwer muss Aerosoft-Schuhe, Ginkgo-Kapsen, Leoparden-Mode und Schlankstütz-Tops kaufen. Deutschland ist weltweit führend im Versandhandel, nirgendwo wird so viel bestellt. Jeder zehnte Deutsche hat schon einmal bei HSE 24 eingekauft. 2011 erzielte der Sender einen Umsatzrekord, die Erlöse stiegen um sieben Prozent auf 470 Millionen Euro. Produziert wird in drei Studios in Ismaning bei München.

Nach sieben Minuten sind die Größen 36/38 und 40/42 bereits ausverkauft. Zu Lack-Pumps tragen Lamar und Ramskugler Nachthemden aus der Kollektion, es ist Dienstagnachmittag. „Elastisch“ und „silky touch“ sind die Zauberwörter dieser Stunde. In jeder Verkaufsshow gibt es solche Codewörter, sie sollen die Zuschauerin zur Kundin machen. Vorwiegend Frauen bestellen, im Schnitt geben sie 70 Euro pro Order aus. Die typische HSE-24-Kundin ist 57 Jahre alt und lebt in einem Zwei-Personen-Haushalt, weil die Kinder bereits ausgezogen sind. Sie arbeitet Teilzeit und verfügt durch ihren Mann über ein eher überdurchschnittliches Einkommen – Geld, das sie beim Teleshoppen ausgeben kann.

In Deutschland sendet HSE 24 seit 17 Jahren, inzwischen auf drei Kanälen: Der Zuschauer zappt von Blusen zu Schuhen zu Gesichtscremes. Der Hauptkanal läuft von 8 bis 24 Uhr, HSE 24 Extra sendet täglich drei Stunden live, am Wochenende sechs Stunden – der Rest sind Wiederholungen, programmiert nach Bestsellern. Den Moderatoren werden Experten zur Seite gestellt, meist sind das sogar die Firmenchefs selbst. Der Sender arbeitet mit mehr als 300 Unternehmen zusammen, kleine bis mittelständische Unternehmen, wenige große. Viele entwickeln Produkte eigens für den Teleshoppingsender. Welche Produkte das sind, entscheidet Sonja Piller. Piller ist für Einkauf und Planung zuständig. Das gefragteste Produkt im vergangenen Jahr waren LED-Weihnachtskerzen mit Fernbedienung für 24,99 Euro, mehr als 140 000 Stück sind davon verkauft worden. Die Weihnachtskerzen hätten eine „USP“, sagt Piller. Eine Unique Selling Proposition, ein Alleinstellungsmerkmal: Sie sind kabellos.

Der Sendeablauf ist strategisch und minutiös geplant. Am wichtigsten sind das Angebot des Tages und der „Joker der Woche“, ein Produkt, das eine Woche lang reduziert angeboten wird. Das Angebot des Tages wird bis zu acht Mal am Tag gezeigt. Wie viel Sendezeit ein Produkt bekommt, dafür gibt es Richtwerte. So hat Mode weniger Sendezeit als ein Topfset. Sonja Piller sagt: „Innerhalb des Tages optimieren wir auch noch mal. Wenn wir morgens merken, dass sich ein Produkt in zwölf Minuten besser verkauft als in 15, ändern wir das.“ Produkte für Männer werden abends und am Wochenende präsentiert.

Abends und am Wochenende wird am meisten gekauft, weil zu diesen Zeiten die meisten Menschen fernsehen. Erfolg misst sich bei HSE 24 nicht an der Einschaltquote, sondern am Umsatz pro Minute. „Rund 1000 Euro müssen es sein“, sagt Piller.

Dass diese Zahl erreicht wird, darauf achtet der Producer. Er sitzt neben dem Regisseur und sieht, wie die Moderatorin gerade auf den Golddruck eines Pyjamaoberteils zeigt. Vor dem Producer steht ein Bildschirm, darauf kann er ablesen, wie viel Umsatz an diesem Tag erzielt werden muss. Und wie viel bisher davon erreicht wurde. Rund 1,6 Millionen Euro sind es an diesem Tag. Auf dem Bildschirm steht auch die noch vorhandene Stückzahl eines Produkts. Nähert die sich der Null, wird bei Mode die Größe rot unterlegt. Bei anderen Produkten wird heruntergezählt. Andrea Lamar zieht an dem Pyjama-Oberteil und sagt „elastisch“. Sie trägt – wie alle Moderatoren – einen Knopf im Ohr, über den sie mit dem Producer verbunden ist. Merkt der Producer, dass bei einem Wort besonders viele Menschen anrufen, müssen die Moderatoren dieses Wort wiederholen. Dann verändert sich das Balkendiagramm auf dem Bildschirm: Mehr Zuschauer werden Kunden.

HSE 24 ist Selltainment, also Verkauf und Unterhaltung. Moderatoren und Experten erzählen viel Privates, von ihren Eltern, der Hochzeitsreise oder ihrem Nebenjob zu Studienzeiten. Die Zuschauerin soll das Gefühl bekommen, Teil der Sendung zu sein. Sie weiß, dass der Kameramann Andi heißt. Glamour fehlt, die Models haben Falten und Rundungen. „Stehen Sie zu Ihrer Weiblichkeit, auch wenn Sie etwas fülliger sind“, sagt Ramskugler. Bei HSE 24 werden die Konfektionsgrößen 40 bis 44 am meisten gekauft.

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