zum Hauptinhalt

Gesellschaft: Nacht Die Stimme der

Louie Austen hat in Hotelbars auf der ganzen Welt gesungen, Charlton Heston und Joe Cocker hörten ihm zu. Hier verrät der Wiener, was man am Tresen trinkt

Ganz ehrlich, eine Hotelbar in Wien unterscheidet sich kaum von einer in New York. Darf sie auch nicht. Das verbietet die Philosophie der großen Ketten. Ein Gast, der in Russland oder Rumänien ins Hotel geht, soll nicht verunsichert werden. Er muss sich sofort zu Hause fühlen, auch an der Bar. Deshalb sieht es im Wiener Marriott, wo ich fast jeden Samstag singe, ähnlich aus wie in hundert anderen Hotels: großer Holztresen, blaue Sessel, blau gemusterter Teppich. Aber wir haben einen künstlichen Wasserfall! Links daneben baue ich die Bühne auf. Zum Glück kann man das Wasser regulieren, dann rauscht es nicht so laut, wenn ich Songs von Frank Sinatra oder Dean Martin singe, aber auch lateinamerikanische Lieder von Antonio Carlos Jobim.

Dazu ziehe ich mir einen weißen Anzug an, setze einen weißen Hut auf und binde mir manchmal eine rote Krawatte um. Das wirkt auf die Zuschauer. Zu mir kommen viele junge Menschen, die kennen mich von meinen Platten, die ich mit Produzenten elektronischer Musik aufnehme. Die holen einen weißen Anzug aus dem Schrank, weil sie wissen, sie gehen zum Louie – oder mal ein fesches Sportsakko die Herren und ein Cocktailkleid die Damen.

Was ich mache, ist im Grunde Denkmalpflege. So ein Programm gibt es in Hotels nicht mehr. Und ich muss es wissen, ich arbeite seit fast 40 Jahren in Hotelbars. Meine Karriere begann in Südafrika, ich bin mit meiner damaligen Frau 1973 ausgewandert. In Johannesburg sang ich in einem Hotel, da war die Bar elegant mit Holz eingerichtet, die Stühle waren mit rotem Samt bezogen, das Licht war schummrig, und die Bedienung, natürlich schwarz, war livriert. Alle unterhielten sich leise und höflich, es war wie in einem Herrenclub, in dem auch Damen erlaubt waren. Meist kamen gut situierte Pärchen nach dem Abendessen in die Bar, er trank einen Cognac, wahrscheinlich einen Remy Martin, sie einen Cocktail, vielleicht einen Manhattan. Der ist faszinierend wegen der spezifischen Gewichtung. Drei verschiedene Alkoholsorten gehören dazu: Whisky, süßer Wermut und Orangenbitter. Das hat seinen Reiz, wie die sich vermischen, mir ist er jedoch zu süßlich. Ich trinke lieber bittere Getränke wie Whisky.

Südafrika war ein schwieriges Land für mich. Meine Helden in der Musik waren auch Schwarze, ich war entsetzt, wie man sie aus dem öffentlichen Leben ausklammerte. Ich bin mit meiner Frau nach einigen Monaten wieder nach Österreich zurückgegangen. Ich konnte nicht unter Menschen leben, die ernsthaft glaubten, Weiße hätten mehr Gehirnzellen und seien deshalb besser als Schwarze.

Zwei Jahre später bin ich nach Australien gegangen, nach Sydney. Aber da habe ich schwer Fuß gefasst. Die Australier hörten 1975 viel Country und Westernmusik. In einigen großen Hotels an den Docks, wo die Fähren anlegen, habe ich ab und zu Jobs bekommen. Sicher, tolles Wetter, gut zum Surfen, aber musikalisch unergiebig. Und an das Trinkverhalten konnte ich mich schwer gewöhnen. In den Hotelbars war alles gesittet, aber die Privatpartys! Die Gastgeber hatten eine ganze Badewanne bis oben hin mit Eis und Getränken gefüllt. Und nach vier Stunden war alles leer gesoffen. Das hatte ich in meinem Leben noch nie gesehen.

Meine nächste Station war 1977 Las Vegas. Die Stadt war nicht so ein Disneyland wie heute, die Menschen kamen am Wochenende, um zu spielen, mehr nicht. Das Entertainment in den Hotelbars war eine Nebensache und spielte sich auf drei Bühnen in den riesigen Hotels ab. Einmal habe ich im Tropicana gesungen, das ist inzwischen abgerissen. Das hatte eine beeindruckende Fassade, mit Palmen, die sie aus Metall gesägt hatten. Aber drinnen sah es schlimm aus, da kamen Hinz und Kunz hinein, mit Jeans oder Jogginghosen, und spielten ununterbrochen an den einarmigen Banditen. In Las Vegas arbeiteten wir Tag und Nacht, zwei Shows am Tag. Ich habe gesehen, wie Kollegen sich mit chemischen Mitteln aufputschten, damit sie nicht durchdrehten. Mir wurden oft Getränke angeboten. Ich trinke bei meinen Auftritten aber bis heute nur Wasser. Der Gast ist zum Feiern da, ich zum Arbeiten.

1980 bin ich aus den Staaten zurückgegangen. Ursprünglich wollte ich nur einen Monat in Wien bleiben, um Freunde zu besuchen. Dann bekam ich ein Angebot vom Hilton Hotel und blieb. Ich habe in der roten plüschigen Klimtbar im Erdgeschoss gearbeitet. Sie wurde weltweit die umsatzstärkste Bar – weil unser Entertainment so gut war. Mit einem Pianisten habe ich amerikanische Standards gespielt, ganz karg, aber die Leute waren von den Socken.

Wenn ich abends ins Hotel kam, hat sich der Generaldirektor vor mir verbeugt – und der hat sonst mit niemandem Kontakt gepflegt. Die Zentrale in Washington hat nach zwei Jahren angerufen und gefragt: Wie macht ihr das? Jedes Jahr mussten sie die Bar vergrößern, so viele Leute kamen. Zuerst haben sie einen Baldachin mit Sitzen und Tischen außerhalb der Bar aufgebaut, dann wurde aus der ganzen Lobby eine Bar.

Wir haben sieben Tage pro Woche gearbeitet, am Anfang haben wir um 22 Uhr Schluss gemacht, nach ein paar Monaten um drei Uhr – und statt zwei Mann wie früher arbeiteten 16 in einer Nacht. Die Menschen tranken Champagner flaschenweise, ich glaube, 20 DM hat der damals gekostet. Pro Abend spülten wir 10 000 DM in die Kasse. Leider wurde das Hotel Mitte der 80er Jahre umgebaut, danach wurde es nie wieder wie vorher. So ging ich 1986 rüber ins Marriott an den Ring.

Mir gefällt das Flair von Hotelbars. Das waren und sind Orte, an denen man nach 22 Uhr noch einen Kaffee oder einen Drink bekommt. Im Gegensatz zu Nachtclubs sind sie offen, man muss keinen Eintritt zahlen und trifft Menschen, die am Tresen gestrandet sind. Mir ist es schon oft passiert, dass man eine Stunde Englisch miteinander redet, bevor man plötzlich merkt, Mensch, wir sprechen doch beide Deutsch.

Ich habe so interessante Menschen kennengelernt. Zum Beispiel allein stehende Damen. Egal wie hässlich man ist, als Sänger wirkt ein Mann anders auf eine Frau als ein Wurstverkäufer. Dann gibt es Geschäftsleute, die einem zurufen: Louie, ich feier meinen 50. Geburtstag und würde dich gerne engagieren. Ich habe Botschafter, Industrielle und Weltstars getroffen: Al Jarreau, Joe Cocker und so weiter. Die haben respektiert, was ich mache. Ende der 80er Jahre kam mal ein älterer Mann auf mich zu und sagte: „I’m Charlton Heston. You do a great job.“

Ein anderes Mal wurde ich an einen Tisch gerufen, ein Typ mit Sonnenbrille und weißem Bart, sagte: „Hi, my name is Engelbert Humperdinck.“ Habe ich ihm nicht geglaubt, ich hatte den als jugendlichen Sänger mit Schnauzer in Erinnerung. Also habe ich ihm geantwortet: „Wenn Sie der Humperdinck sind, haben Sie bestimmt Lust, mit mir ein Lied zu singen.“ Er kam mit auf die Bühne, wir sangen „Feelings“, und beim zweiten Takt wusste ich, das ist er tatsächlich, auch wenn er nicht mehr so fesch aussieht.

Ich habe keine Lieblings-Hotelbar, viel lieber würde ich mal eine bauen. Wie eine Arena soll sie sein, in der Mitte steht ein Rondell, da singt der Künstler, drumherum gibt es die Sitzplätze und die Bar. Auf jeden Fall darf kein Plüsch rein, damit lockt man niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Die Böden müssten aus Stein oder Marmor sein, die Bar aus dunkelgrünem oder schwarzem Glas. Der Gast soll sich wie in einem modernen Luxusgeschäft fühlen, als wenn er gerade bei Prada wäre und ein tolles Unterhaltungsprogramm mit Drinks genießt.

Und ich bräuchte einen Barmann, der mindestens drei Sprachen beherrscht – Deutsch, Englisch und Französisch. Das verleiht ihm etwas Weltmännisches. Er muss dem Gast das Gefühl geben, er ist nicht bedeppert, weil er zwei Drittel der Karte nicht kennt, und er soll ihm wie ein Butler zur Seite stehen. Wenn die Dame mal etwas mit Baileys möchte, was kann er da mixen?

Ich finde, weder Bier noch Wein passen in eine Bar. Das trinke ich zum Abendessen. Eine Hotelbar braucht auch keine Speisekarte. Ich kann es nicht leiden, wenn Gäste essen, während ich singe. Nüsse sind okay, wenn auch nicht für mich als Sänger, weil sie zu sehr die Stimmbänder reizen.

Wenn ich in eine Hotelbar gehe, dann mit meiner Freundin, die ich bald heirate. Natürlich ziehe ich mich elegant an. Ich habe einen Fundus an alten Anzügen in meinem Schrankraum zu Hause, der könnte glatt als Boutique durchgehen. In der ersten Runde würden wir etwas Leichtes bestellen, einen Prosecco oder Champagner. Vielleicht trinke ich danach einen alkoholfreien Cocktail. Die können fantastisch schmecken, zum Beispiel der Sportsman, der ist orangig-fruchtig, mit Ananas.

Oder ich lasse mich vom Barkeeper beraten. Ich will dann etwas haben, was ich sonst nicht bekomme, wozu ich keinen Zugang habe. Und ich frage den Barmann: Sag mal, hast du nicht einen richtig guten Single Malt? Wenn er einen findet, einen, der 20 Jahre in einem Fass geschlummert hat, dann bin ich zufrieden.

Louie Austen, 64, heißt gebürtig Alois Luef. Zuletzt erschien von ihm das Doppelalbum „Last Man Crooning/Electrotaining You!“. Er singt am Wochenende in der Bar des Wiener Marriott Hotel, wenn er nicht gerade auf Tour unterwegs ist.

Protokoll: Ulf Lippitz

Zur Startseite