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salat

© Tsp

Tradition: Da haben wir den Salat!

An Heiligabend kommt Kartoffelsalat auf den Tisch. Nur bei den Zutaten sind die Deutschen heftig zerstritten: Ein tiefer Mayonnaisegraben trennt Nord und Süd.

Mit oder ohne, das ist hier die Frage. Mit Gürkchen oder ohne? Mit Fleischwurst oder ohne? Mit Apfelstückchen, ja oder nein, mit (oh Gott, auch das gibt’s) Fleischsalat, mit Senf, mit Schnittlauch, mit Zwiebelchen, Speck… Und die Kardinalsfrage: Mit Mayonnaise – oder mit Essig, Brühe und Öl?

Um es gleich zu sagen: Es geht nicht um ein paar Zutaten mehr oder weniger. Es handelt sich hier um eine Glaubensfrage. Genau wie beim Tannenbaum: Mit Lametta oder ohne?

Glaubt man Umfragen, stellt ein Drittel der Deutschen an Heiligabend Kartoffelsalat mit Würstchen auf den Tisch. Und zwar in genau dieser Reihenfolge – nicht Würstchen mit Kartoffelsalat, wie es sie beim Kindergeburtstag gibt. Am 24. Dezember ist der Salat selbst die Hauptsache, eine Tradition übrigens, die Ost und West vereint. Dem Kartoffelsalat „fehlt zwar eine symbolische Verankerung“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ einmal erklärte – so weit wir wissen, kommt er auch in der Bibel nicht vor –, „dafür ist er aber universell und praktisch“.

Warum man überhaupt an einem so feierlichen Tag etwas so Profanes serviert, ist daher schnell erklärt. An Heiligabend gibt’s genug zu tun. Weihnachtsbaum schmücken, Geschenke kaufen, Geschenke einpacken, Geschenke auspacken, in die Kirche gehen, Oma vom Bahnhof abholen, Streit schlichten… Und Kartoffelsalat eint, den mag jeder, auch wenn er Vegetarier ist, er ist der kleinste gemeinsame Familiennenner. Man muss vorher nicht lange überlegen oder gar diskutieren, was man kochen will (Diskussionen gibt es Weihnachten noch genug), muss nicht nach Rezepten suchen und 1000 Zutaten kaufen. Außerdem geht er relativ schnell (Würstchen warm machen noch schneller) und vor allem: Man kann ihn vorbereiten. Oder vorbereiten lassen. Auch in reichen Häusern soll es deshalb dieses schlichte Mahl schon immer gegeben haben, denn am 24. bekamen die Dienstmädchen mal frei.

Außerdem will an Weihnachten jeder wieder Kind sein, und welche Speise ist kindlicher? Und: Am Ersten und Zweiten Weihnachtstag wird ja schon opulent genug gekocht. Das Komische ist nur: Gans und Pute gibt es wirklich nur in der Weihnachtszeit, Kartoffelsalat dagegen immer und überall, an der Currywurstbude, in der Kantine, beim Grillfest. Und trotzdem bekommt er an Heiligabend den Status eines Heiligtums, ein Ritual, mit dem niemand brechen darf. Einmal Kartoffelsalat, immer Kartoffelsalat.

Schwierig wird es erst bei Eheschließungen, wenn zwei Traditionen aufeinanderprallen. In dem Film „Meine schöne Bescherung“, der gerade im Kino läuft, guckt Heino Ferch entsetzt, als Martina Gedeck, seine Filmehefrau, die Gänse präpariert, drei auf einmal. Keine Sorge, beruhigt sie ihren Mann, Du kriegst Deine Würstchen mit Kartoffelsalat. (Kriegt er dann doch nicht, verschiedene Katastrophen verhindern das, am Ende stellt er sich in die Küche und stopft sich die Würstchen kalt aus dem Glas in den Mund.)

Jede Region, ja, jede Familie hat ihr eigenes Kartoffelsalatrezept, aber eine überregionale Regel gibt es doch: So wie der Rösti-Graben die Schweiz zerteilt, trennt eine Mayonnaisegrenze den Süden Deutschlands vom Norden. Nie, nie! würde ein Schwabe zu Miracel Whip greifen. Er hält sich an Brühe, Essig und Öl. Dann aber kann er nicht genug vom Salat kriegen. In anderen Regionen serviert man Nudeln oder Kartoffeln, im Südwesten kredenzt man Maultaschen mit Kartoffelsalat, tunkt diese gern in die Brühe oder schüttet gar warme Bratensauce über den kalten Salat. „Ein Tag ohne Kartoffelsalat ist, in kulinarischer Hinsicht, ein vertaner Tag“, behauptet das süddeutsche Fernseh- und Kochbuch-Duo Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer.

Berlin ist übrigens die Ausnahme von der regionalen Regel und hat sich zur Hauptstadt des schwäbisch-alpinen Kartoffelsalats entwickelt – ein angenehmer Seiteneffekt der allgemeinen Begeisterung für die Gasthausküche und der hiesigen Wiener-Schnitzel-Euphorie. Selbst in Wien bekommt man wahrscheinlich nicht so viele wie hier, im Borchardt, im Austria, im Schneeweiß, im Ottenthal, im Alpenstück, im Sisi… Und immer mit Essig, Öl und Brühe angemacht.

Das klingt einfacher als es ist. Kartoffelsalat machen kann jeder, nur einen guten nicht unbedingt. Das fängt mit der Wahl der Kartoffeln an. Festkochende natürlich, aber welche? Sieglinde, oder, noch besser, King Edward, findet unser österreichischer Meisterkoch Kurt Jäger. Ulrich Morof von der Berliner Maultaschenmanufaktur nimmt Celina, Meuth und Duttenhofer empfehlen edle La Ratte.

Wichtig ist, die Kartoffeln schon beim Kochen zu würzen, Kümmel und Salz ins Wasser zu geben. Danach werden sie in der Regel gleich gepellt und in Scheiben geschnitten, und die heiße Brühe mit Zwiebelchen (die man auch vorher im Essig einweichen kann) darübergeben. Heiße Kartoffeln, so Meuth und Duttenhofer, saugen allerdings besonders viel Flüssigkeit auf; sie empfehlen daher, sie erst mit Brühe geschmeidig zu machen, damit die Angelegenheit am Ende nicht zu ölig wird. Aber welche, Gemüse-, Hühner- oder Rinderbrühe? Ganz nach Geschmack, erlauben die Experten, aber die fleischigen Suppen sind nun mal die kräftigeren. Die meisten Kartoffelsalatkenner schwören auf Weißwein- oder Sherryessig – ein billiger, behauptet Fernsehkoch Rolf Zacherl sogar, sei hier der Beste. Bei der norddeutschen Variante nimmt man auch gern ein bisschen Gewürzgurkenwasser aus dem Glas. Beim Öl greift man am besten zu neutralen Varianten, Raps- oder Sonnenblumenöl. Mit Senf oder ohne? Das ist wieder eine Glaubensfrage. Viele sagen: mit. Beim Würzen erlauben sich auch Puristen neben Pfeffer und Salz gelegentlich eine Extravaganz. Eine Prise Curry oder Muskatnuss zum Beispiel, ein bisschen Orangensaft geben dem Ganzen eine feine Note und ein goldenes Gelb. Schnittlauch sollte man möglichst erst kurz vor dem Servieren rein tun, sonst lässt er sich nicht gut aufbewahren.

Beim Umrühren muss man aufpassen. Nicht zu wenig und nicht zu oft, sonst hat man am Ende Kartoffelbrei. Deswegen sollte man schon beim Schneiden Acht geben: Sind die Scheiben zu dünn, zerfallen sie, sind sie zu dick, wird das Ganze schnell trocken. Manche geben auch noch ein paar Blättchen Feldsalat als Farbtupfer dazu und mischen dünne Salatgurkenscheiben drunter. Nicht zuletzt wegen der Konsistenz. Kartoffelsalat muss nämlich schön feucht sein – schlunzig, wie der Schwabe sagt. Notfalls muss man noch etwas heiße Brühe nachgießen. Weil er so saftig ist, passt er ja so perfekt zu allem, was nicht selber Sauce produziert – Würstchen eben, Boulette, Schnitzel, Hering, Schinken und, das gibt’s in Tschechien immer an Weihnachten, zu Karpfen.

Schleimig sei der deutsche Kartoffelsalat, hat der Schauspieler Henry Hübchen einmal erklärt, deswegen rutschte der Held in der „Pension Schöller“ ja auch „auf dem eigenen Schleim aus“. Für die legendäre Volksbühnen-Inszenierung nimmt man allerdings auch gekauften Salat aus dem Zehn-Kilo-Eimer, der nur eine kulinarische Anforderung erfüllen muss: Er darf noch nicht schlecht sein.

Ob Kartoffelsalat warm serviert werden soll oder kalt? Da gibt es nur eine eindeutige Antwort: auf keinen Fall kühlschrankkalt. Steht er endlich auf dem Tisch, stellt sich die allerletzte Frage: Was kann man überhaupt dazu trinken? Bier ist für Heiligabend nicht feierlich genug, ein schwerer Bordeaux passt nicht so recht. Kein Problem, meint der Stuttgarter Weinhändler Bernd Kreis, „Kartoffelsalat ist ziemlich weinkompatibel“. Er empfiehlt einen leichten Rotwein mit wenig Tanninen, einen Württemberger Trollinger oder Spätburgunder. Und als Weißen einen Grauburgunder oder kräftigen Riesling, „der darf nicht filigran sein“. Nur Würstchen, findet er, passen nicht zum Wein.

Das Gute am Kartoffelsalat: Wenn nicht gerade Weihnachten ist (wo ja alles so wie immer sein muss), kann man mit ihm machen, was man will . Ein, zwei Zutaten und schon wandelt er seine Nationalität: Mit Olivenöl angemacht, wird er mediterran, mit Kürbiskernöl kommt er plötzlich aus der Steiermark, mit Sesamöl aus Asien. Ein Paar Blättchen Rucola, und er ist italienisch, mit Thunfisch, Oliven und Knoblauch spanisch, mit Lachs und Dill schwedisch, mit Fleischwurst rheinisch, mit Speck bayerisch. Eine Flasche Bier druntergemischt, und er wird badisch (liest man auf www.kochmeister.com). Kartoffelsalat saugt alles gierig auf – weshalb man ihn auch immer ein paar Stunden ziehen und kräftig würzen muss.

Dieses sein chamäleonhaftes Wesen bedeutet allerdings, dass „Kartoffelsalat nie nach Kartoffeln schmeckt“, wie der Schriftsteller David Wagner festgestellt hat, „sondern immer eher nach Mayonnaise, Essiggürkchen, Essig-Öl, Zwiebeln oder sonst was. Mit dem Kartoffelsalat, der nach Kartoffeln schmeckt, kann irgendwas nicht stimmen.“

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