zum Hauptinhalt
Die Bettwäsche von Snurk gibt es im Onlineshop der Agentut. Mehr unter www.heimatdesign.de.

© Tim Stet

"Heimatdesign" - eine Plattform für Kreative im Ruhrgebiet: Kreativ statt Kohle

Stahl und Ruß prägten lange die Identität im Ruhrgebiet. Längst sind die Zechen weg, wie schafft man ein neues Heimatgefühl? Designer und Künstler arbeiten daran.

Strukturkrise, wie nüchtern das klingt. Das Ruhrgebiet hat es schon in den 60ern erwischt, von da an ging’s bergab: der Bergbau am Ende, die Schwerindustrie nur noch ein Leichtgewicht. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang kam die Identitätskrise. Wer war man denn noch, wenn man die Arbeit verlor, die vor einem schon Vater und Großvater gemacht hatten, wenn sich die ganze Landschaft verwandelte, die markanten Fördertürme verschwanden.

Aber halt, bevor eine Zeche nach der anderen Hütte plattgemacht wurde, geschah – ja, fast könnte man es ein Wunder nennen, mit Namen IBA Emscher Park. Die Internationale Bauausstellung (1989 bis 1999) rettete Industriekultur und -architektur und füllte sie mit neuem Leben, vor allem Freizeit und Kultur. Karl Ganser, der kreative, ebenso forsche wie pragmatische Kopf, der mit der IBA ein neues, selbstbewusstes Heimatgefühl schuf, stammt übrigens aus Bayern.

Heimat, was ist das schon. „Etwas Angenehmes“, sagt Marc Röbbecke, 43, „das hat es für mich immer gehabt.“ Heimat, definiert der gebürtige Sauerländer, der heute in Dortmund lebt, „ist da, wo man gerne ist“. Als eher heimatlos beschreibt sich Reinhild Kuhn, 48, seine Partnerin in Leben und Arbeit. Wenn, dann ist es für sie, die in Duisburg geboren wurde und in Münster Kunst studierte, am ehesten der Niederrhein, wo sie aufgewachsen ist – sie mag das Melancholische dort. „Aber Heimat, das sind für mich eher Menschen als ein Ort.“

Heimat, das ist ihr Beruf. Im Jahre 2004, lange bevor das Wort auch unter jungen Großstädtern plötzlich hip wurde, nutzten die beiden das erste Mal den Namen „Heimatdesign“. Damals inszenierten sie eine etwas andere Modeschau junger Designer, im selben Jahr erschien die gleichnamige Zeitschrift zum ersten Mal. Elf Jahre später ist „Heimatdesign“ vielerlei: „Agentur, Magazin, Ausstellungsraum, Shop, Coworking-Space, Veranstalter, Ansprechpartner für Kreative und vor allem Netzwerk“, wie die Macher sagen.

Eine Fortsetzung der IBA mit anderen Mitteln und Protagonisten, einer jüngeren Generation. Von Anfang an war da die Idee, verschiedenste Designer zusammenzubringen, ihnen eine Bühne zu geben. Er wollte, sagt der studierte Wirtschaftsingenieur Röbbecke, der früher Musikevents managte, „dass die Leute hierbleiben. Weil: Hier ist es eigentlich auch ganz gut.“ Wozu hat das Ruhrgebiet denn so viele renommierte Ausbildungsstätten für Kunst und Design? Damit die Absolventen dann alle nach Berlin auswandern?! Wenn es nach Röbbecke ginge, würden die Absolventen nach der Ausbildung nach Berlin, Barcelona, wo auch immer hingehen, um sich umzugucken – und dann zurückkommen.

Nein, an Kreativen mangelt es nicht, auch nicht an günstigen Räumen, eher an Austausch und Aufmerksamkeit. „Was hier fehlt“, sagt Reinhild Kuhn, „ist der Hype.“ Was ja durchaus was Gutes haben kann. Aber viele Firmen, so Röbbeckes Eindruck, gucken oft nach draußen, wenn sie einen Gestalter brauchen.

Das Ruhrgebiet, diese Megacity, 2010 europäische Kulturhauptstadt, ist weitläufig, 4435 Quadratkilometer groß, da läuft man sich nicht schnell mal über den Weg wie in Kreuzberg oder Mitte. Um Austausch und Zusammenarbeit der Kreativen zu fördern, organisiert „Heimatdesign“ daher eine Vielzahl von Ausstellungen und Veranstaltungen. Zum Beispiel in Form eines Speeddatings, wo jeder acht Minuten Zeit hat, seine Arbeit zu präsentieren, mit Bühnenshow, Powerpoint, Lesung oder Soundinstallation.

Vom Fußball zur Lampe

Die Upcycling-Design-Lampe von Karolchicks gibt es bei Heimatdesign.
Die Upcycling-Design-Lampe von Karolchicks gibt es bei Heimatdesign.

© Heimatdesign

Auch Design ist hier ein weit gefasster Begriff: Das können Möbel- oder Objektdesigner sein, Grafik-, Mode- oder Fooddesigner, dazu kommen Künstler, Filme- und Theatermacher, Fotografen, Schriftsteller und Musiker. Die Grenzen zwischen den Disziplinen sind heute eh ziemlich fließend. Da liest man in der hochkarätig gestalteten, auf mattem Papier gedruckten Zeitschrift „Heimatdesign“ zum Beispiel von einem Gestalter, der einen Schrebergarten geschenkt bekommt und plötzlich anfängt, Kräuterliköre für junge Großstädter zu entwickeln, in entsprechender Verpackung. Das Magazin, das gratis ausliegt, ist eine Art Visitenkarte der lokalen Kreativbranche. Da findet man viel Ungewöhnliches – Latexkleider, urbane Fahrradkleidung oder elegante Hemden für Menschen mit Downsyndrom, deren Körpermaße ganz andere sind. Sozial- und umweltfreundlich sind viele der Kreativen. Zu denen, die regelmäßig im Magazin ganzseitige Anzeigen schalten, gehört Jan Kath, Deutschlands angesagtester Teppichhersteller mit Kunden in aller Welt, der sein Büro nach wie vor in Bochum hat.

Heimat, das soll hier nicht etwas Eingrenzendes, Abschottendes sein; schließlich kamen ja schon viele Kumpel von anderswo. Sondern im Gegenteil: Es geht darum, Grenzen zu überwinden. Grenzen zwischen den Disziplinen, Stadtgrenzen – die Ruhrgebietsstädte selbst sind berüchtigt für ihre Kirchturmpolitik –, Landesgrenzen. Sieben Jahre lang stellten die Heimatdesigner etwa, mit Unterstützung der Stadt, je einen Dortmunder Kreativen und einen auswärtigen Gast zusammen in Ausstellungen vor. Einige dieser Duos machten hinterher gemeinsame Projekte.

Auch sonst guckt man nach links und rechts. Ins Rheinland: Zur Kölner Messe organisiert das Büro jedes Jahr die „Designers Fair“ mit jungen Gestaltern. Oder ins Sauerland. Dort ist Gesa Hansen aufgewachsen; inzwischen in Paris zu Hause, lässt die junge Designerin ihre eleganten, skandinavisch geprägten Holzmöbel in der alten Heimat produzieren, wo ihre Familie noch immer wohnt. Die Objekte der „Hansen Family“ kann man im Heimatdesign-Shop kaufen, in einem Heft von „Heimatdesign“ wurde sie porträtiert. So wie das deutsch-polnische Paar, das hinter „Karolchicks“ steht und dessen Fußball-Upcycling-Lampe im Dortmunder Laden hängt. Wenn etwas bis heute identitätsstiftend ist im ganzen Revier, dann der Fußball, und die Idee, aus etwas Altem was Neues zu machen, passt – siehe IBA – perfekt zum Revier.

Glück auf!

Die Seife von Revier Souvenir gibt es bei Heimatdesign.
Die Seife von Revier Souvenir gibt es bei Heimatdesign.

© Heimatdesign

Der Durchbruch für die Organisation kam 2007, als die Heimatdesigner ein verlassenes Hotel aus den 60er Jahren im Dortmunder Rombergpark bespielten, mit Showroom und Lokal, Veranstaltungen und Ausstellungen. Plötzlich hatten sie eine breite Öffentlichkeit, jenseits der eigenen Szene. Das war genau die Zeit, als „die Kreativblase langsam aufging“, wie Röbbecke grinsend erzählt, auch die lokale Wirtschaftsförderung begriff, was die EU offiziell proklamierte: dass die Kreativbranche ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. „Kunst und Kultur rücken ins Zentrum wirtschaftlicher Prosperität“, verkündete selbst Ministerpräsident Rüttgers (CDU): „Sie sind nicht mehr nur Luxus oder Zugabe. Sie sind elementar.“

Inzwischen sind die Netzwerker ins frühere Dortmunder Ordnungsamt am Hohen Wall gezogen, oben sind die Büros des Coworking-Space (der nicht so funktioniert wie erhofft), unten, im alten Fundbüro, werden heute Tische, Stühle, Lampen, Accessoires verkauft. Nicht gerade Shopping-Laufgegend, aber: „40 000 Autofahrer rollen hier jeden Tag auf dem Weg in die Stadt vorbei. Als Werbefläche nicht schlecht.“ Viele Kunden werden angelockt von Ruhrgebiets-Präsenten wie dem Frühstücksbrettchen mit der Aufschrift „Glück auf!“, dem schwarzen Badesalz namens Grubengold.

Im Moment arbeiten Röbbecke und Kuhn auf Hochtouren an ihrem nächsten großen Projekt, einer Onlineplattform, die Designer und mittelständische Auftraggeber miteinander in Verbindung bringen will. „www.designmetropole.ruhr“ soll im Herbst starten. Noch sammeln sie das Geld.

Zur Startseite