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Noch ist alles friedlich. Doch nicht jedes Fußballspiel endet auch ohne übertriebene Aggressionen. Schuld sind oft aufgepeitschte Eltern, Trainer und Spieler.

© Kitty-Kleist-Heinrich

Gewalt im Berliner Amateurfußball: Krawall nach Fußballspiel in Neukölln

Ein Jugendfußballspiel in Berlin endet mit Prügel vor dem Stadion. Beteiligt ist der BSV Hürtürkel – nicht der einzige Problemverein.

Am Ende standen rund 15 Polizisten, zwei Mannschaftswagen, ein Notarzt und ein Krankenwagen auf dem Columbiadamm in Neukölln, ein paar Meter vom Sportplatz des BSV Hürtürkel entfernt. Das Aufgebot am Sonntagnachmittag war der Nachklang des Spiels BSV Hürtürkel gegen den FV Wannsee in der 1. C-Junioren der Fußball-Landesliga. Mindestens ein Spieler von Hürtürkel sowie mehrere Anhänger des Vereins hatten Spieler von Wannsee attackiert. Der Torhüter des Klubs erhielt einen Schlag aufs Ohr und in den Nacken und kam sicherheitshalber zur Untersuchung ins Krankenhaus.

88 abgebrochene Spiele in einer Saison

Christine Lenzen, die Betreuerin von Wannsee, sowie der Vater eines Wannsee-Spielers erklären übereinstimmend, dass die Gewalt von Seiten Hürtürkels ausgegangen sei. Wannsee hatte 2:1 gewonnen, „und danach“, sagt die Betreuerin, „haben mehrere Hürtürkel-Spieler bereits vor unserer Kabine gewartet. Auch vor der Anlage haben welche gewartet.“

"Das Spiel war emotional"

Nach Angaben des Vaters habe sich vor dem Stadion eine aggressive Menge versammelt, aus der sich mehrere Personen („der Älteste war vielleicht 20 Jahre alt“) gelöst hätten. Ziel sei ein kleiner Spieler von Wannsee gewesen. „Die wollten den verprügeln.“ Weil der Torhüter der Größte in der Wannsee-Gruppe war und seinen Mitspieler habe beschützen wollen, habe er die Prügel abbekommen, sagt die Betreuerin. Der Vater sagt: „Wenn die zu dem Kleinen durchgekommen wären, hätten die ihn plattgemacht.“ Erwachsene standen daneben, doch das störte die jungen Angreifer offenbar nicht. "Die gingen trotzdem auf die Jungs los. Die hatten da gar keine Hemmungen." Der Grund für die Aggression ist nicht ganz klar. „Das Spiel war emotional“, sagt Christine Lenzen, aber nicht ungewöhnlich aggressiv.

Zafer Külekci, Jugend- und Fußball-Abteilungsleiter von Hürtürkel, bestätigte dem Tagesspiegel, dass ein Spieler seines Klubs in den Vorfall verwickelt gewesen sei. Ein Freund dieses Spielers, der ebenfalls beteiligt war, sei nicht Mitglied von Hürtürkel. Von anderen Beteiligten auf Hürtürkels Seite sei ihm nichts bekannt. Der betroffene Spieler sei aus dem Verein ausgeschlossen worden. Nach Angaben von Külekci waren Spieler beider Mannschaften an dem Vorfall beteiligt. Er sieht die Alleinschuld nicht bei Hürtürkel.

Hürtürkel für seine Aggressivität bekannt

Der Berliner Fußballverband (BFV) wartet den Bericht des Schiedsrichters und der Polizei ab. „Der Vorfall hat sich außerhalb des Platzes abgespielt, das ist erst mal eine zivilrechtliche Sache“, sagt BFV-Vizepräsident Gerd Liesegang. Ob das Sportgericht eingeschaltet werde, sei noch nicht klar. Wenn ja, treffen die Richter auf einen Klub, der ihnen sehr vertraut ist. In der Berliner Fußball-Szene ist Hürtürkel wegen seiner Aggressivität seit Jahren berüchtigt. Auch Helmut Brückner, der Geschäftsführer des FV Wannsee, betrachtet Hürtürkel seit Langem als rotes Tuch. „Wir haben Eltern, die lassen ihre Kinder nicht mehr zu Hürtürkel-Spielen fahren, weil sie Angst haben. Da ist so viel passiert, der Verband muss den Verein jetzt ausschließen." Auch ein Vertreter eines Vereins im Süden von Berlin beklagt nachdrücklich die Aggressivität von Hürtürkel. Der Verband hatte Hürtürkel vor einiger Zeit auf jeden Fall unter verschärfter Beobachtung, nachdem sich die Vorfälle gehäuft hatten.

Doch Liesegang sagt auch: „Der Verein hat sich zuletzt gebessert.“ Und Hürtürkel-Funktionär Külekci erklärt: „Solche Vorfälle passieren bei jedem Verein. Wir wollen sauberen Fußball. Wer sich daneben benimmt, muss dafür geradestehen.“

Hürtürkel ist ein besonders krasses Beispiel, aber der Verein steht nur stellvertretend für ein Problem. „Es gibt Leute, die betrachten den Fußballplatz als rechtsfreien Raum“, seufzt Liesegang. In der Saison 2015/16 wurden in Berlin 88 Spiele abgebrochen, die Hälfte im Jugendbereich. Aufgeputschte Spieler, randalierende Eltern, Trainer, die brüllen „Hau den Gegner um“, Funktionäre, die einen randalierenden Spieler ihrer Mannschaft erst mit dem Handy filmen, bevor sie ihn stoppen. Solche Szenen meint Liesegang. Aber einer der schlimmsten Vorfälle, die er erlebt hat, betrifft Hürtürkel. 2015 schlug der Vater eines Spielers einem Schiedsrichter mit der Faust ins Gesicht.

Schiedsrichterin mit Begleitschutz

Verglichen damit verlief das Kreisliga- B-Spiel Rehberge II – Berlin Hilalspor II am Sonntag noch glimpflich ab. Die Partie wurde aber nach 28 Minuten abgebrochen: Die Schiedrichterin fühlte sich offenbar von Hilalspor-Spielern bedroht. Die hatten Anstoß an einer gelb-roten Karte genommen, die Frau umringt, verbal attackiert und auf ihre Forderung, Abstand zu halten, nicht reagiert – so schildert es der Rehberge-Trainer. Seine Spieler seien dazwischen gegangen und hätten die Unparteiische in ihre Kabine und später vom Gelände geführt. Hilalspor sagte dagegen, die Schiedsrichterin sei weder beleidigt noch bedrängt worden. Tatsache bleibt: Das Spiel wurde abgebrochen.

Der BFV will die Gewalt mit Fortbildungen eindämmen. Ordner und Stadionsprecher werden in Deeskalation geschult, an Trainer, Betreuer, Funktionäre wird appelliert, aber das hilft nur wenig. Die Vereine müssten mitspielen, sagt Liesegang. „Wenn ein Trainer gesperrt wird, heißt es im Klub: Der Verband ist schuld, dass unsere Kinder ohne Trainer spielen müssen.“ Stattdessen sollten die Funktionäre sagen: „Der hat sich falsch verhalten.“

Betreuerin Lenzen sagt etwas anderes: „Vor dem Rückspiel gegen Hürtürkel habe ich ein mulmiges Gefühl.“ Das kann man verstehen: Sie hatte den Torhüter am Sonntag ins Krankenhaus begleitet. Nicht nur als Betreuerin. Sie ist auch seine Mutter.

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