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Berlin: Abwärts auf dem Weg zum Pudding

Unsere Probierrunde kostete Himbeerjoghurt aus dem Supermarkt - und fand viel Missratenes

Milch, Butter, Sahne und Käse haben sich in den letzten Jahrzehnten enorm verändert. Marketing, Moden und Maschinengängigkeit haben Molkereiprodukte entstehen lassen, die nur noch schattenhaft an den ländlichen Ursprung erinnern. Wir Städter selbst sind ja ein gutes Beispiel dafür, wie weit man sich vom dörflichen Leben entfernen kann, ohne die Bindung zur Natur zu verlieren. Dennoch dürfte der schleichende Prozess der Entfremdung von der eigentlichen Idee, dem heute die meisten Nahrungsmittel ausgesetzt sind, weder dem Genuss noch der Gesundheit dienlich sein. Wenn beispielsweise aus Milchschokolade ein klebriges Schmelzkaramell wird, ist ein Endpunkt erreicht. Dort sind auch die meisten Joghurts angekommen. Seit er in den frühen siebziger Jahren sein Image als Diätkost ablegte, ist aus dem stichfesten Sauermilch-Vorkäse ein vollständiges Dessert geworden.

Der Geist ist schwach, doch das Material ist willig! Diese beiden Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit absonderliche Variationen entstehen können. Heute werden Frucht-Kombinationen angeboten, die sogar mit der avancierten Patisserie wettzueifern scheinen. Dennoch stehen immer noch die Sorten Erdbeere und Kirsch in der ersten Reihe des Kühlregals – vermutlich, weil sie billig herzustellen sind und nicht unbedingt von Früchten abzustammen brauchen.

Die monatliche Testrunde entschied sich für die Himbeere. Sie ist schwer zu synthetisieren und ohnehin eine Edelsorte. Schauplatz des Tests war diesmal kein renommiertes Restaurant, sondern eine Kochschule mit sozialem Auftrag. Bei „Palladin“ am Winterfeldtplatz werden Jugendliche von den Küchenmeistern Bernd Kühnel und Sven Henschel auf die Innungsprüfung vorbereitet.

Die Geschmacksschulung begann mit einem beim Discounter Lidl vertretenen Produkt. „Yogosan Sahnejoghurt mild“ erwies sich als unerwartet guter Einstieg – wenngleich er im Nachgang ein stumpfes Gefühl am Gaumen hinterlässt. Doch die austarierte Säure und der mäßig verwendete Zucker sowie ein Fruchtaroma, das keineswegs unangenehm an Sirup erinnert, gleichen dieses Manko aus. Geradezu als Republik des Mankos könnte man den „Knüller von Müller“ bezeichnen. „Wenn man den blind in den Mund nimmt, kann das auch Schokolade sein oder sonst etwas anderes“, rief Jury-Mitglied Peter Frühsammer.

„Gutes Land“ von Netto wirkt allein schon mit seiner Magentafarbe im Becher wie ein Kunstprodukt. Darum verwundert es nicht, dass dieses dicht beim Trinkjoghurt angesiedelte Erzeugnis Aromen zwischen Erdbeere, Kirsche und allen anderen roten Früchten transportiert. Wie abgebundener Saft, der mit Ahoi-Brause verlängert wurde, kam der Runde Dr. Oetkers „Onken“ vor.

Palladin-Leiterin Petra Haug war von „Ehrmann Almighurt“ enttäuscht. Zu Recht. Obwohl Fruchtzellen Authentizität zu vermitteln trachten, bleibt der säurearmer Körper bloß mehlig und leimig. Auch an „Zott Sahnejoghurt“ richteten sich besondere Erwartungen, die pünktlich enttäuscht wurden. Trotz Fruchtstückchen hält sich die sahnige Creme sehr bedeckt, so dass höchstens noch ein undefinierbares Sekundäraroma deutlich auszumachen wäre. Im Fall von „Der große Bauer“ lässt es sich beschreiben: Überreife Banane. Trotz angenehmer Textur gab es also wenig Himbeere zu entdecken. Bei „Mark Brandenburg“ überzeugte das frische Säurespiel den Auszubildenden Dennis Foltmann. Gleichzeitig aber irritierte ihn eine der Säure nur parallele Süße von eingedickter Beere, die sich nicht zu einem Ganzen verbindet.

Noch deutlicher fällt „Biedermann Swiss Premium Lactosefrei“ auseinander. Es wirkt wie ein Bausatz aus mehlig gestockter Sauermilch, zitroniger Säure und Himbeerkompott. „La Ferme du Manège Framboise“ aus den Galeries Lafayette war noch weiter vom Thema entfernt. Die Food- Journalistin Stefanie Zecheus sprach gar von Lip-Gloss für Halbwüchsige. „Danone Aktivia“ mit patentierten Biokulturen lenkt den Gedanken auf Birne und Möhre – immerhin, möchte man sagen. Am anderen Ende der Molkereiprofession bestätigte „Andechser Natur“ alle Vorurteile, die gegen ökologisch erzeugte Lebensmittel gehegt werden. Ältere könnten sich beim Verzehr von Andechser noch an den morgendlichen Löffel Lebertran erinnert fühlen, Jüngere an Parmesello. „Hätten wir Nudeln dazu kochen sollen?“, frozzelte Petra Haug.

Die zum Campina-Konzern gehörende Marke „Landliebe“ aus dem Plastikkännchen irritierte zunächst mit einem Ton, der ein wenig den Roh-Munsterkäse zu berühren schien und eigentlich zum Joghurt gehört. Allerdings stört bei Landliebe eine Säure, die bereits in Schärfe übergeht. Die Version im Pappbecher fällt dagegen deutlich ab, dokumentiert jedoch den allgemeinen Übergang zum Pudding. Dem stellt sich „Mövenpick“ mit einem Fettanteil von 14 Prozent und einer Sahnequark-Anmutung entgegen. „Emmi Swiss Yoghurt“ aus dem Glas verfolgt die Strategie der Bedachtsamkeit, um sich dem Verfall der Joghurtkultur zu entziehen. Die verwendete Williamette-Himbeersorte kommt eher leise daher und steht dem Rhabarber nicht ganz fern. Wäre die Sauermilchbasis noch prägnanter herausgearbeitet, hätte die Runde einen Favoriten gefunden.

Dazu bestimmt wurde „Weihenstephan Rahmjoghurt“, nicht unbedingt eine Überraschung für die Tafelrunde. Von der Konsistenz her dem Schichtkäse angenähert, überzeugte vor allem seine festliche Cremigkeit. Löffel für Löffel wird der Appetit stimuliert. Weihenstephan flutscht einfach. Nur die Beeren entwickeln keinen charakteristischen Himbeergeschmack, sondern finden sich eher in der Roten Grütze. Nicht nur wegen der typischen Himbeer- Süße belegte „Söbbeke Bio-Joghurt mild, der Cremige“ klar Platz eins. Söbbeke ist und bleibt ein Molkereiprodukt bester Tradition, das sich von den Zeitläuften bislang nicht beirren lässt. Mit seinen 7,5 Prozent Fett und einem entwickelten Milch-Sahne-Aspekt, dem eine perlende Säure Kontur verleiht, füllt er den Mund ganz aus.

Zum Schluss servierte Sven Henschel das Palladin- Joghurt mit passierten und frischen Himbeeren. Gerade die kräutrigen, dem Estragon verwandten Noten, die von den Kernen herrühren, verleihen dem selbst gemixten Dessert eine Tiefe, die kein Fertigprodukt erreichen kann.

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