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Das Colosseum in der Schönhauser Allee 123 in Prenzlauer Berg

© Volker Noth

Berlinale-Start in Berlin: Kino lockt mit der Magie der Dämmerung

Kinos sind das Lieblingsmotiv des Grafikers und Fotografen Volker Noth. Von 1977 bis 2001 entwarf er die Plakate der Berlinale. Am Donnerstag fängt das Festival-Karussell wieder an, sich zu drehen. Zeit, sich mal einige Berliner Kinos durch Noths Linse anzusehen.

Die Tauben waren eine Plage. Impertinentes Flattervieh mit übergroßer Heimattreue. Wollten nicht einsehen, dass der von ihnen jahrzehntelang genutzte Charlottenburger Dachstuhl nun ein Wohngeschoss der Menschen war, ausgebaut nach deren Bedürfnissen. Ziemlich lästige Besucher, erinnert sich Volker Noth, Grafiker, Fotograf, Filmfreund. Doch die Lösung, die er fand, wäre jedes Cineasten würdig: einige schwarze Plastikkrähen, die am Balkon baumeln, Taubenschreck à la Hitchcock – ein langsam wirkendes, aber nachhaltiges Mittel, um das unentwegte Flattern und Gurren auf Abstand zu halten.

Noths Büro: Ein kleines Berlinale-Museum

Auch in der Wohnung stößt man wiederholt auf Filmisches, genauer: Berlinalisches, auf alte Festivalplakate zumeist und im engen Arbeitszimmer Noths auf die ihm 1996 verliehene Berlinale-Kamera, eher versteckt, keineswegs auf dem Präsentierteller. Zwischen Postern und Preis besteht ein enger Zusammenhang: Von 1977 bis 2001 war Volker Noth, heute 73, Chefgrafiker der Berlinale und damit Gestalter des Hauptplakats wie auch der Aushängeschilder für die einzelnen Sektionen. Danach arbeitete er noch eine Zeitlang für die Retrospektive.

Seine Verbundenheit mit dem Film ist so entstanden, die sich auch danach in einer verwandten Leidenschaft erhalten hat: Seit 1977 fotografiert Noth mit großer Beharrlichkeit Berliner Kinos. Es ist nicht sein einziges Thema, Gefallen hat er auch an den Werken der Berliner Street-Art-Künstler gefunden, für ihn vielfach „verschlüsselte Botschaften in der Öffentlichkeit“, oder an Gaststätten mit dem Namen „Deutsches Haus“.

Aber besonders ausdauernd widmet sich Noth den Berliner Kinos. Seine Favoriten? „Das fsk, das Delphi und die Kant-Kinos.“ Schon 2006 hatte er dazu ein nur noch antiquarisch erhältliches Fotobuch veröffentlicht, 2013 ein zweites im Selbstverlag in winzig kleiner Auflage herausgebracht, wie ohnehin Noth für „das Büchermachen zu eigenen Themen in kleinen Auflagen“ ein besonderes Faible entwickelt hat, sieht er doch in solchen kleinen Publikationen einen „selbstbestimmten, von Auftraggebern unabhängigen Seitenweg im Gestaltungsbereich“.

Dass die Fotos dadurch nur eine begrenzte Öffentlichkeit finden, ist schade, gerade bei einem Büchlein wie „Kinos in Berlin. Die großen, die kleinen und die ganz kleinen“, in dem Noth 80 Lichtspielhäuser gezeigt hatte. Entstanden ist eine Dokumentation der reichen, offenbar recht stabilen Berliner Kinoszene – von „Alhambra“ bis „Zoo-Palast“: Nur wenige der abgebildeten Häuser haben sich seither vom Kinomarkt verabschiedet, so die „Kurbel“ in der Charlottenburger Giesebrechtstraße, die zum Biomarkt umgewandelt wurde, oder das „Broadway“ in der Tauentzienstraße. Andere wie der „Zoo-Palast“ bieten heute dagegen ein anderes Bild als in den Momenten, als Noth für das Buch auf den Auslöser drückte. Das Fotoprojekt ist daher mit dem Druck längst nicht abgeschlossen.

Am Abend erwachen die Kinos zu "magischem Leben"

In gewisser Weise wurde das zweite ein Gegenstück zum ersten Buch. Waren in jenem die Häuser bei Tag fotografiert worden, so hat Noth sich nun auf die Dämmerung verlegt, die Zeit, wenn die Häuser zu ihrem eigentlichen magischen Leben erwachen und zu schimmernden, leuchtenden oder strahlenden Traumorten mutieren. Dies alles ist nicht möglichst dekorativ inszeniert, sondern „wie im Vorbeigehen“ fotografiert, so formuliert es Noth – ein Kinoflaneur mit Kamera, der sich den bunten Oasen des Films zum Fotografieren nur noch von außen nähert, unbeobachtet, frei in der Entscheidung, was und wie er fotografiert, von den vorbeihuschenden Passanten unbehelligt, vom Kinobetreiber sowieso. Eine alte Billett- Kasse aus den dreißiger oder vierziger Jahren, die er im Pankower Kino „Blauer Stern“ entdeckte, bleibt da die Ausnahme.

Noth sieht sich selbst weniger als Fotograf, vielmehr „als Grafiker, der fotografiert“. Mittlerweile hat er Gefallen an der digitalen Fotografie und ihren Bequemlichkeiten gefunden, während die beiden Bücher noch klassisch-analog entstanden. Auch als Berlinale-Grafiker hatte er sich den digitalen Techniken anfangs mit Skepsis genähert, ärgerte sich oft über Computerabstürze und durcheinandergewürfelte Grafikprogramme, mochte nach einer gewissen Weile aber auf die Vorzüge des Fortschritts nicht mehr verzichten, zuvor etwa bei der Typographie vom Setzer abhängig, während er nun frei herumspielen und ausprobieren konnte.

Noth verschaffte der Berlinale ihren Ruf als "Schrippen-Spiele"

Bei seinem ersten für die Berlinale entworfenen Plakat war an solche Hilfsmittel noch nicht zu denken. Das war 1977 unter dem frisch gekürten Berlinale-Chef Wolf Donner, der dem Filmfest neue Publikumsschichten zuführen wollte. Dafür kam der ironisch-provokative Entwurf Noths als Visitenkarte gerade recht: ein aufgeschnittenes, sogar schon angebissenes Brötchen, mit Butter bestrichen und als Belag ein herauslappender Filmstreifen. Bald hatte das Festival seinen Spitznamen weg: „Schrippen-Spiele“.

Und noch ein Plakat hat Noth in besonderer Erinnerung: das zur 40., der ersten in West- wie Ost-Berlin gemeinsam gefeierten Berlinale 1990. Ein hell leuchtendes Orange als Grundfarbe, die beiden Ziffern aus Dreieck, Rechteck, Kreis montiert, die Null ein stilisiertes Auge, darunter ein Filmstreifen, gebogen wie ein lächelnder Mund – das kunterbunte Gesicht der Wende-Berlinale, passend zur euphorischen Stimmung dieser Monate und ein im grauen Osten plötzlich überall aufblühender Farbklecks. Noth denkt gerne daran zurück: „Das hat mich berührt.“

Volker Noth
Volker Noth

© Privat

Volker Noth, 73, fotografiert seit Jahrzehnten Berliner Kinos. Der in Charlottenburg wohnende Grafiker entwarf von 1977 bis 2001 die Plakate der Berliner Filmfestspiele. Weiteres unter: www.volkernoth.de

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