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Diese Baumscheibe an der Belforter Straße ließ der Bezirk radikal abräumen.

© privat

Berliner Grünflächenamt gegen Hobby-Gärtner: Das Tulpen-Massaker von Prenzlauer Berg

Das Amt ließ den Blumenschmuck um die Straßenbäume radikal entfernen - ohne Vorwarnung. Stadtrat Kuhn bremst jetzt die eigene Behörde aus.

Plötzlich war die ganze Schönheit weg. Die gerade üppig in Pink aufgeblühten Pfingstrosen – sie wurden herausgehackt, landeten auf der Schubkarre. Die letzten Tulpen, Narzissen und noch zarte Pflänzchen wie das kleinblättrige Immergrün – fort damit. Der Trupp der Arbeiter in der Belforter Straße und Knaackstraße in Prenzlauer Berg hinterließ in der vergangenen Woche nichts als graubraune Erde. Kleine, teils schon bunt blühende Beete machten sie nieder. Es waren die sogenannten „Baumscheiben“ rund um die Straßenbäume, von Anwohnern liebevoll bepflanzt und gepflegt. Das Straßen- und Grünflächenamt begründete den Einsatz mit seiner „Verkehrssicherungspflicht“. Aufgebrachte Anwohner sprachen vom „Tulpen-Massaker“.

Die Rodung kam ohne Ankündigung

Kaum hatte die Kolonne in der „Belforter“ ganze Arbeit geleistet, sprach sich im Kiez in Windeseile herum, dass sie in Kürze auch in der Oderberger Straße „wüten“ wollten – und drumherum. Im Bezirksamt gingen jede Menge Protestanrufe und -mails ein, wenig später zog der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste, Vollrad Kuhn (Grüne), die Notbremse. Er stoppte die Baumscheiben-Rodung in Prenzlauer Berg. Ab sofort schreite man in diesem Sommer nur noch ein, falls die offiziellen Auflagen zur Bepflanzung von Baumscheiben „gravierend“ missachtet würden, ließ er erklären. Offenbar war Kuhn über die Hau-Ruck-Aktion seiner Behörde zuvor nicht informiert worden.

Ebenso wenig wie die Anwohner. „Niemand hatte das angekündigt, keiner hat mit uns gesprochen“, ärgert sich Anja Kühnle, „Eine Rücksichtslosigkeit“. Die junge Frau lebt seit einigen Jahren im Kiez. Seit April hatte sie sich über die Frühlingsboten unter den Bäumen gefreut. Doch als sie nun vormittags ahnungslos aus dem Haus kam und sah, wie die Arbeiter durch eines der Gärtchen pflügten, war sie erstmal „total erschrocken“.

Die niedrigen Bretterumgrenzungen wurden weggerissen, dann machten die Arbeiter sich über das Grün her. Nur zwei Bauminseln habe der Trupp nicht attackiert, erzählt sie: „Das waren ausgerechnet die beiden vor dem Netto-Supermarkt.“ Die seien schon immer verlottert gewesen, Nun sehe es bald überall wieder so trist aus. Außerdem könne man jetzt erneut über Baumwurzeln fallen. „Über die Tulpen bin ich vorher nicht gestolpert.“ Ein Anwohner hat das alles auf Plakaten, die er an Bäume klebte, ironisch so ausgedrückt: „Diese Braunfläche wurde vom Straßenbauamt gesichert, renaturiert und erfüllt jetzt wieder ihre ursprüngliche Funktion als städtisches Hundeklo.“

Baumscheibe in der Knaackstraße in Prenzlauer Berg, dahinter Menschen, die draußen sitzen, und ein Motorrad auf dem Gehweg.
Berlin soll bunt bleiben, hier eine Baumscheibe in der Knaackstraße in Prenzlauer Berg.

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Gärtnern unter strengen Auflagen

Ganz so pessimistisch sieht Pankows Stadtrat Vollrad Kuhn die Situation nicht. Auf Anfrage lobt er erst mal die „engagierten urbanen Straßengärtner, weil sie Berlin schöner und lebenswerter machen“. Den Ärger der Bürger kann er gut verstehen, schon wegen der fehlenden Kommunikation. Grund sei die eklatante Personalnot der Behörde. Das Straßen- und Grünflächenamt könne einfach nicht mehr alles leisten, es sei nur zu zwei Dritteln besetzt. Dennoch hat Vollrad Kuhn angeordnet, dass sich die Behörde künftig bei solchen Konflikten erst mal bemühen soll, über Aushänge und die Medien mit den Bürgern auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen.

Zugleich betont aber auch Kuhn die strengen Auflagen fürs Gärtnern auf Baumscheiben. So sollen die Beete nicht durch Zäunchen eingefasst werden, um Stolper- und Verkehrshindernisse zu vermeiden. Nur maximal 50 Zentimeter hohe Pflanzen sind wegen möglicher „Sichteinschränkung“ erlaubt. Das Erdniveau der Baumscheibe darf nicht über dem Gehweg liegen, um Verschmutzungen vorzubeugen. Damit die regelmäßigen Baumkontrollen des Amtes nicht behindert werden, muss eine Fläche rund um den Stamm im 20-Zentimeter-Abstand freibleiben. Und der Boden darf nur zehn Zentimeter tief aufgelockert werden. Andernfalls könnten Baumwurzeln geschädigt werden. Diese und etliche weitere Auflagen wie Mindestabstände zu Fahrbahnen und Radwegen oder das Verbot stacheliger und giftiger Gewächse sind in einer Liste zusammengefasst, die von der Website des Bezirks ausgedruckt werden kann. Ganz ähnlich regeln auch die anderen Berliner Bezirke das Gärtnern auf Baumscheiben.

Begrünung ist grundsätzlich erwünscht

Friedrichshain-Kreuzberg lobt im Vorwort zu seinen Auflagen erst mal den bürgerschaftlichen Einsatz. „Begrünung vermindert zugunsten der Bäume das Betreten und somit die Verdichtung der Baumscheibe und deren Nutzung als Hundeklo“, heißt es da. Zugleich unterstreicht aber auch das dortige Amt seine Verkehrssicherungspflicht. Wegen mancher Verstöße müsse man kontrollieren und gegebenenfalls Begrünungen entfernen.

In Prenzlauer Berg wurden die Rodungstrupps auch losgeschickt, weil sich die Gärtner nicht registriert hatten, bevor sie loslegten. Denn auch das ist Pflicht. Man muss die Nummer des jeweiligen Baumes notieren – diese steht auf einem Schildchen am Stamm – und sich dann als Pate der dazugehörigen Baumscheibe beim Straßen- und Grünflächenamt per Mail melden. „Wer das in den nächsten Tagen macht und sich an die Auflagen hält, kann in der ,Belforter’ gleich wieder mit dem Gärtnern loslegen“, sagt Stadtrat Kuhn. Ob die Anwohner dazu Lust haben? Manche sind skeptisch. „Zu viel Bürokratie, zu kompliziert für das bisschen Bunt“, sagt Anja Kühne.

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