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Berlin: Cowboy und Indianer

Vor 20 Jahren kam Präsident Reagan nach Berlin. Er wollte die Mauer einreißen – und versetzte die Stadt in einen Ausnahmezustand

Manche Gegensätze bleiben. Wie vor 20 Jahren wollen die Rechten heute ganz anders mit Ronald Reagan umgehen als die Linken. Dass der amerikanische Präsident der Freiheit Berlins und dem Untergang des Sowjetsystems vorangebracht hat, sehen heute nur die Bürgerlichen so – und wollen es entsprechend gewürdigt wissen.

Am 12. Juni 1987 hatte Ronald Reagan mit Blick auf das Brandenburger Tor vom ersten Mann der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, gefordert: „Tear down this wall.“ Heute empört sich CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, dass zu einem Vortrag von Reagans Außenminister George Shultz in der American Academy vor ein paar Tagen kein Senatsvertreter erschienen ist. Nicht minder ärgerlich findet Pflüger, dass der Senat Reagans Witwe Nancy nicht einmal zur Eröffnung der Ausstellung über Reagans Berlin-Besuch 1987 eingeladen hat. Pflüger hatte Reagan schon bei dessen Besuch 1982 kennen gelernt; der CDU-Politiker arbeitete damals für den Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker.

„Charmant“ sei der amerikanische Präsident gewesen, sagt Pflüger, versiert wie viele Amerikaner darin, jedem, mit dem er sprach, das Gefühl von Wichtigkeit zu geben. Und als Politiker ein Mann der großen Linien, einer, der ein „ganz einfaches, klares Weltbild“ hatte. Und eben die Kraft zur Vision, wie auf andere Weise auch Gorbatschow.

Den Umgang des Senats mit Reagan findet Pflüger „geschichtsvergessen, undankbar und stillos“. FDP-Fraktionschef Martin Lindner pflichtet ihm bei. Er will, dass Reagan mindestens durch einen Straßennamen in Berlin geehrt wird. Ähnliches hatte die FDP im Juni 2004, wenige Tage nach Reagans Tod, erfolglos beantragt. Reagan habe mit seiner Politik wesentlich zum Ende des Kalten Kriegs beigetragen, hieß es. Seine Verdienste um die deutsche Hauptstadt müssten im öffentlichen Raum gewürdigt werden.

Im Senat, aber auch bei den Grünen, sieht man Reagan anders. Das Datum 12. Juni 1987 bewegt offenbar niemanden in der Landesregierung oder in der SPD-Fraktion. Senatssprecher Michael Donnermeyer sagt, der Jahrestag des Reagan-Besuchs sei kein Thema, der Senat plane nichts, um an Reagans Aufenthalt zu erinnern. Das Gleiche erklärt SPD-Fraktions- und Landeschef Michael Müller. Kaum einer in der SPD interessiert sich für den Schauspieler, der als großer Kommunikator Weltpolitik gemacht hat.

Der Mann aus Kalifornien provoziert offenbar heute noch genauso wie 1987. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann fällt zu Reagan der „Polizeikessel“ auf dem Nollendorfplatz ein – und dass er an großen Demonstrationen gegen Reagan teilgenommen habe. Wer von links kommt, sieht in Reagan noch immer den Aufrüster, in Michael Gorbatschow aber den großen Abrüster – und deshalb den schöneren Helden. Dass beides miteinander zu tun haben könnte, dass die Aufrüstung zur Abrüstung geführt haben könnte, hat schon lange vor 1987 die Berliner (und die Westdeutschen) heftig polarisiert.

Entsprechend groß war die Krawallbereitschaft in West-Berlin 1987 – und martialisch gingen der Senat und die Polizei mit den „Chaoten“ und „Anti-Berlinern“ um. Die Atmosphäre in Berlin war schon Tage vorher erhitzt, auch jenseits der Mauer. Als Tage vor dem Reagan-Besuch das „Concert for Berlin“ am Reichstag lief – eines der Großereignisse zur 750-Jahr-Feier –, machten ausgerechnet Jugendliche aus dem Ostteil den Mauerfall zum Thema. Die Volkspolizei riegelte den Bereich um das Tor so weit ab, dass ein paar Tausend junge Ostberliner keine Chance hatten, David Bowie oder die Eurythmics oder Genesis zu hören. Sie bekamen Schläge von der Stasi und der Volkspolizei, als sie forderten: „Die Mauer muss weg!“

Dass es junge Ost-Berliner waren, die solches forderten, brachte wohl nur wenige junge West-Berliner von ihrer Überzeugung ab, dass Reagan mit seiner schlichten Weltsicht in der Stadt nichts zu suchen hatte. Das offizielle Berlin in Gestalt des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) rief dazu auf, den Gast mit der „weltoffenen Herzlichkeit der Berliner“ zu begrüßen. Auch Walter Momper, SPD-Landeschef, hieß ihn willkommen. Doch „die SPD- Kreisverbände Zehlendorf und Schöneberg hatten sich entgegen einem Beschluss des Landesvorstandes an dem Aufruf zu der gestrigen Anti-Reagan-Demonstration beteiligt“, schrieb der Tagesspiegel damals.

Mächtiger Ärger bahnte sich an, der innerstädtische Ausnahmezustand. Zentimeterdicke Panzerglasscheiben wurden angebracht, wo Reagan auftreten wollte, in der Nähe des Brandenburger Tores wie auf dem Reichstagsbalkon. Der wurde mit Stacheldraht umgeben. Tage vor dem Besuch gab es scharfe Kontrollen an den Grenzübergängen Dreilinden und Staaken. Autofahrer, die jünger waren als 40 Jahre, wurden überprüft, deren Autos durchsucht, damit kein reisender Autonomer aus der Bundesrepublik unerkannt in die Halbstadt kam. Flugblätter aus dem RAF-Umfeld kursierten: „Kämpft mit uns“. Autonome versprachen auf Flugblättern: „Wir machen den Ku’damm platt“. Am Tag vor Reagans Besuch demonstrierten 50 000 gegen ihn. Bei der Abschlusskundgebung in der Nähe der Urania kam es zu Randale. Es flogen Steine auf s KaDeWe, auf dem Winterfeldplatz brannte es, die Polizei riegelte den Platz vollkommen ab. Volker Ratzmann, heute Grünen-Fraktionschef, erinnert sich: Die Polizei habe um den Platz herum Stacheldraht ausgerollt, zwei Ausgänge offen gelassen, dann sei sie mit Wannen über den Platz gefahren. Aus deren Fenstern hätten Polizisten auf die Demonstranten eingeprügelt.

Bizarrer noch wirkten die Polizeimaßnahmen am Besuchstag. „Verkehr in der City und in Kreuzberg teils lahmgelegt“, hieß es trocken in der Zeitung und „BVG-Linien stundenlang unterbrochen.“ Gemeint waren die U-Bahn-Linien 1 und 8. Bewirkt hatte das die Polizei: Kein Autonomer sollte über Mittag die Chance haben, mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel aus Kreuzberg herauszukommen. Zwischen 12.16 Uhr und 15.15 Uhr sei Kreuzberg nicht per U-Bahn zu erreichen gewesen, stand tags darauf in der Zeitung.

Und nicht nur das: An allen wichtigen Straßen von und nach SO 36 richtete die Polizei Kontrollpunkte ein. Die Einreise nach Kreuzberg war weniger problematisch als die Ausreise aus dem Bezirk der Anti-Reaganisten. Dessen komplette polizeiliche Abriegelung war und blieb einmalig – und es dauerte Tage, bis der Umfang der Polizeiaktion ins West-Berliner Bewusstsein drang. Laut Innenverwaltung ahnte die Polizei am 12. Juni, dass „ein bestimmtes Gewaltpotential sich zum Kurfürstendamm bewegen wollte, um dort nachzuholen, was es gestern versäumt hatte“. Die Kreuzberger Komplett-Abriegelung, durch die auch der Busverkehr zum Erliegen kam, machte den Innensenator Wilhelm Kewenig zur heftig umstrittenen Berühmtheit.

In der westlichen City hatte die Polizei die Lage unter Kontrolle, um so heftiger krachte es in Kreuzberg in den Nächten nach Reagans Besuch. Die Polizei setzte „gepanzerte Sonderfahrzeuge mit Räumschaufeln“ ein. Der Ermittlungsausschuss, der sich mit den Polizeimethoden auseinandersetzte, sprach nach einer Nacht von 20 Verletzten mit Platzwunden nach hartem Schlagstockeinsatz. In der Nacht vom 12. auf den 13. gab es abermals Randale in der Oranienstraße, am Heinrichplatz, in der Adalbertstraße. 82 Festnahmen bilanzierte die Polizei. Autonome hatten sie mit Eisenmuttern und Stahlkugeln aus Katapulten beschossen.

Die Politik stritt heftig mit: Die Alternative Liste erklärte die Anti-Reagan-Demonstration zum Riesenerfolg. Die SPD stellte mit der AL einen Misstrauensantrag gegen Kewenig. Der CDU-Generalsekretär Klaus Landowsky bezeichnete die Ausschreitungen als „Werk von Verbrechern“. Er forderte die SPD auf, sich von denen zu trennen, „die mit Kommunisten, Chaoten, SEW und AL gemeinsame Sache“ machten. Landowsky spielte damit darauf an, dass auch Sozialdemokraten bei der Anti-Reagan-Demo mitmarschiert waren.

Volker Ratzmann erinnert sich noch daran, dass die Frage der Kreuzberger Komplettabriegelung ein juristisches Klausurthema geworden ist. Ratzmann hat ihre Rechtmäßigkeit natürlich bestritten.

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