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Hungerstaffel.

© doris spiekermann-klaas TSP

Berlin: Das Hungern der Anderen

Der Arbeitslose Ralph Boes aus Wedding streikt wieder. Aber jetzt lässt er Mitstreiter gegen die Hartz-IV-Gesetze hungern. Ein Besuch.

43 Tage hat sich Ralph Boes diesmal nur von Tee und Gemüsebrühe ernährt, dann musste er aufgeben. „Starke Ausfallerscheinungen“ hätten sich eingestellt, berichtet der Hartz-IV-Empfänger aus Wedding mit fistelnder Stimme. Tatsächlich sieht der 55-Jährige leicht ausgemergelt aus, der Ledergürtel ist eng um den schmalen Körper geschnallt. Boes allerdings wollte nicht alleine darben: Seit Dienstag hungern nun zwei politische Mitstreiter – anstelle von ihm selbst. „Staffel-Hungern“ nennen sie diese neue Methode des Protests, was seltsam viel nach Sport und seltsam wenig nach Politik klingt. „Ich konnte den Stab weiterreichen“, sagt Boes.

Sechs Wochen lang befand sich der gelernte Ergotherapeut diesmal im Streik. Weil Boes sämtliche Stellenangebote vom Jobcenter ablehnt, wurden ihm vom Amt in Mitte ein Großteil der Leistungen gekürzt. Im November hatte er zum ersten Mal aus Protest zu hungern begonnen, weil ihm nur noch 37,40 Euro im Monat blieben. Der Fall sorgte überregional für Aufmerksamkeit. Als „frechsten Arbeitslosen Deutschlands“ und „Hartz-IV- Schnösel“ wurde Boes tituliert, seine Rolle ist auch bei Kritikern der Sozialgesetze umstritten. Ralph Boes steht aber unabhängig von der Form seines Protests für ein Phänomen: Leistungskürzungen bei Hartz-IV-Empfängern gab es zuletzt in mehr als einer Million Fällen – ein bundesweiter Höchststand.

Den ersten Streik hatte Boes nach knapp einem Monat beendet. Wegen „Formfehlern“ nahm das Jobcenter damals die Sanktionen gegen ihn zurück, Boes bekam ein paar hundert Euro überwiesen. Doch im Frühjahr verhängte das Amt erneut Sanktionen. „Herr Boes ist seinen Pflichten zur Eingliederung in die Arbeitswelt nicht nachgekommen“, sagt Sprecher Andreas Ebeling. Denn die Hartz-IV-Gesetze funktionierten nach dem Grundsatz „Fördern und Fordern“. Boes aber will die angebotenen Jobs im Callcenter oder in einer Leiharbeitsfirma nicht annehmen. Er hält solche Tätigkeiten nicht nur für sinnlos, sondern auch für mit der Menschenwürde unvereinbar.

Aber welche Tätigkeiten hält er für sinnvoll? Ist Hungern das richtige Mittel dagegen? Und warum müssen andere für seine Ziele mithungern? Diese Fragen beantwortet Boes ganz einfach für sich selbst und andere: Er kämpft in einer Bürgerinitiative für das bedingungslose Grundeinkommen. Auf Vorträgen in ganz Deutschland wirbt er für die Idee, deshalb weist er den Vorwurf, er würde nicht arbeiten, rigoros zurück. „Ich arbeite die ganze Zeit“, sagt er, zudem beginne jetzt der Wahlkampf.

In Mitte tritt Boes im September als parteiloser Direktkandidat für die Bundestagswahl an. Sein Programm: ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 Euro im Monat für jeden. Und die Abschaffung des aus seiner Sicht menschenverachtenden „Systems Hartz IV“ und überhaupt aller Vorschriften, irgendeine Arbeit machen zu müssen, die man gar nicht machen will. Bis zum Bundesverfassungsgericht will sich der Rebell aus dem Wedding für dieses Ziel klagen.

Alle politischen Ambitionen wären aber nun in Mitleidenschaft gezogen worden, wenn sich Ralph Boes weiterhin nur von Leitungswasser, Brühe und Tee ernährt hätte. Auf einem Treffen der Bürgerinitiative entstand dann die Idee des „Staffel-Hungerns“. Jetzt hungern zwei andere Arbeitslose für Boes, damit der weiter für die Abschaffung der Hartz-IV-Gesetze kämpfen kann.

„Ich hungere seit gestern Mittag“, berichtet Martin, einer der Aktivisten. Sieben Tage hat sich der passionierte Tangotänzer als Ziel vorgenommen, danach geht der „Stab“ an andere aus der Aktivistengruppe „Wir sind Boes“ weiter. Unterstützer seien willkommen, auch außerhalb von Berlin, sagt Anführer Ralph Boes, der jetzt wieder feste Nahrung zu sich nimmt. „Heute früh habe ich ein Croissant gegessen.“

Haiko Prengel

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