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Protest und Gedenken. Bei der Demonstration in Kreuzberg hält eine Frau ein Plakat mit Bildern von bei den Protesten in Istanbul Getöteten in die Höhe.

© Christian Ditsch/version-foto.de

Demonstration vor der türkischen Botschaft: Auch Berliner Türken wollen ein Ende der Gewalt

Die Türken in Berlin verfolgen die Nachrichten aus der Türkei Tag und Nacht. Sie solidarisieren sich mit den Protesten in ihrer Heimat und fordern ein Ende der Gewalt. Am Sonntag protestierten sie in Kreuzberg und vor der Botschaft Ankaras.

„Als Mutter blutet einem das Herz“, sagt die junge Frau und beruhigt ihr Baby im Kinderwagen. Die ganze Nacht über hat sie in den Medien verfolgt, wie selbst Mütter und Kinder auf dem Gezi-Platz in Istanbul von Polizeibeamten attackiert wurden. „Ich habe nur eine Stunde geschlafen“, sagt die Kreuzbergerin. „Ich habe Angst, dass jetzt noch mehr Blut fließt“. Die Wahl-Berlinerin aus Ost-Anatolien ist mit Freundinnen und Ehemännern am Sonntagnachmittag zur Demo ans Kottbusser Tor gekommen, um gegen das Regime von Recep Tayyip Erdogan und „die Gewalt von Polizei und Militär gegen die eigenen Landsleute“ zu demonstrieren. Am Nachmittag startete vom Kottbusser Tor ein Demonstrationszug zur Türkischen Botschaft nach Mitte, und auch auf dem Oranienplatz gab es Kundgebungen und Proteste.

Es ist die Kreuzberger Mischung an diesem Sonntag im alten Postzustellbezirk SO 36: Unter Hippies mit Gitarre, Punks mit Hunden, Gestrandeten mit Bierpulle, vollverschleierten Frauen und Studenten mit iPad mischen sich am Tag nach der brutalen Räumung des Gezi-Parks in Istanbul vor allem türkische Berliner. „Ich finde keine Worte dafür“, sagt die 54-jährige Elif Arici. „Was die Kinder und Jugendlichen jetzt miterleben müssen, das ist schrecklich und schade.“ Jeden Tag telefoniere sie mir ihren Verwandten, sagt die zweifache Mutter. „Wir waren zuletzt so demokratisch geworden, und jetzt diese brutale Gewalt der Polizei, das ist furchtbar. Ich bedanke mich bei den vielen Deutschen, die solidarisch mit uns sind.“

Ein Polizeibeamter, der die Kundgebung am Kottbusser Tor begleitet, lehnt das Gebaren der Kollegen ebenso ab. Für offizielle Anfragen verweist er an die Pressestelle, aber so viel will er doch loswerden: „Das hat mit demokratischem Verhalten nichts mehr zu tun“, sagt der Polizist, „wir müssen doch die Verhältnismäßigkeit der Mittel berücksichtigen“. Zwar müsse man etwa beim Gebrauch von Gewalt einzelne Personen beispielsweise mit Lautprecherdurchsagen aus der Menge herausholen – aber was jetzt massiv in der Türkei passiere, könne er keinesfalls unterstützen.

„Tayyip, istifa“, so lauten die Sprechchöre in Istanbul, und auch am Oranienplatz und am Kottbusser Tor sind sie zu hören: Erdogan, zurücktreten! Eine weitere Familie schiebt die Kinderwagen mit zum Protest. „Es ist jetzt sogar Militär gegen das eigene Volk im Einsatz, die Wasserwerferflüssigkeit ist mit giftigen Zusätzen vermengt, und es wird weiter Blut fließen“, kritisiert eine 43-Jährige, die vor Jahren aus dem ostanatolischen Varto nach Berlin gekommen ist. „Ich habe selbst nachts ferngesehen, obwohl ich heute früh wieder arbeiten musste“, sagt die Reinigungsfachkraft im Deutschen Herzzentrum Berlin. „Auf vielen Fernsehkanälen konnte man aber gar nichts sehen, ich verstehe nicht, dass die Journalisten sich so unterdrücken lassen.“

Aber die Menschen haben den Ministerpräsidenten Erdogan doch selbst an die Macht gebracht, hält jemand dagegen. „Es waren bei der Wahl so viele Stimmen gekauft“, will eine türkische Wahl-Berlinerin wissen. „Ich kenne Leute in Berlin, denen wurde 200 Euro pro Stimme geboten und der Flug zur Stimmabgabe in die Türkei bezahlt.“ Jetzt werde das gleiche mit türkischen Syrern versucht, sagt sie. Und selbst die Ärzte, die auf dem Gezi-Platz freiwillig helfen wollten seien festgenommen worden. „Das können wir auch hier einfach nicht tolerieren.“

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