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Berlin: Fall Sürücü: Strafzuschlag für den Mörder

Jüngster Bruder des Opfers stand erneut vor Gericht Jetzt ging es um Meuterei, Schläge und Drogen

Ayhan Sürücü: ein verurteilter Mörder, der sich alles erlauben kann – so wäre er wohl von den Mithäftlingen gefeiert worden, wenn sich die Jugendgerichtshilfe und die Verteidiger durchgesetzt hätten. Die Richter aber sahen es wie der Ankläger: Ayhan Sürücü, der im Februar 2005 seiner Schwester Hatun in den Kopf geschossen hatte, bekam am Donnerstag wegen einer Schlägerei in der Jugendstrafanstalt, Gefangenenmeuterei und Drogenbesitzes drei Monate Strafzuschlag. Er solle spüren, dass es Regeln gebe und er in der Haft nicht machen könne, was ihm gefällt, begründete das Gericht.

Als er aus dem Saal geführt wurde, lächelte Ayhan Sürücü. So war es auch vor fast genau einem Jahr. Da war der heute 21-Jährige wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Zwei seiner älteren Brüder dagegen jubelten über ihren Freispruch. Für das Szenario der Anklage, alle drei Angeklagten seien an dem sogenannten Ehrenmord beteiligt gewesen, gab es aus Sicht der Richter keine ausreichenden Beweise.

Als der Mordprozess noch lief, hatte Ayhan Sürücü mit einem Fluchtversuch Aufsehen erregt. Einen Monat vor dem Urteil wäre er beinahe während des Transports von der Jugendhaftanstalt Kieferngrund zur Gerichtsverhandlung im Moabiter Kriminalgericht entkommen. Auf sein Zeichen hin hatte ein Mitgefangener Übelkeit vorgetäuscht und um eine Tüte gebeten. Ayhan gelang es durch dieses Ablenkungsmanöver, den geschlossenen Kabinenbereich zu verlassen. In Höhe Autobahnauffahrt Gradestraße hatte er die Tür nach draußen schon einen Spalt geöffnet. Doch der Fahrer beschleunigte auf Tempo 120.

„Würden Sie sich als Anführer der Aktion bezeichnen?“, wollte nun der Richter wissen. Ayhan Sürücü wehrte ab: „Das war spontan.“ Auch seinen Anteil an der Prügelei wenige Tage zuvor spielte er herunter. Erst war es „nur eine Ohrfeige“, dann möglicherweise ein Faustschlag, später doch drei Hiebe. Und als Opfer stellte er sich bezüglich der 2,2 Gramm Marihuana dar, die man vor einem halben Jahr in seiner Zelle gefunden hatte. Ein Insasse habe ihm das Zeug zugesteckt, ihm so eine Falle gestellt.

Als dann der Mord an seiner Schwester angesprochen wurde, saß Ayhan Sürücü schweigend und kerzengerade auf der Anklagebank. Es war der 7. Februar 2005, als drei Pistolenschüsse durch den Abend an der Tempelhofer Oberlandstraße peitschten. Die Deutsch-Türkin musste sterben, weil Ayhan Sürücü den westlichen Lebensstil seiner Schwester missbilligte, ihn als „Kränkung der Familienehre“ empfand.

Der Angeklagte habe sich inzwischen weiterentwickelt, sagte im Saal ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe. Ihm scheine so langsam das tragische Ausmaß seiner früheren Einstellungen bewusst zu werden. Besonders nachdenklich wirkte Ayhan Sürücü aber auch ein Jahr danach nicht. „Manche Mithäftlinge bewundern mich – ich weiß auch nicht, warum das so ist“, erklärte er aufgeräumt im Gerichtssaal. „Ich habe nichts gemacht, was respektwürdig wäre.“ Er sei überhaupt ein „ganz normaler Insasse“. Seine Grenzen führten ihm die Richter nach kurzer Beratung vor Augen: mit einem Strafzuschlag von drei Monaten.

Kerstin Gehrke

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